Bau der Ostsee-Pipeline beginnt
Die „Castoro 6“ hatte schon vor Tagen östlich der schwedischen Insel Gotland Position bezogen. Nun hat das Verlegeschiff in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit seiner Arbeit begonnen. Am späten Dienstagabend ließ die „Castoro 6” die ersten Röhren der künftigen Ostsee-Pipeline auf den Meeresgrund gleiten. Der offizielle Startschuss für das ebenso gigantische wie umstrittene Nord-Stream-Projekt soll bei einem Festakt am Freitag in der Nähe des russischen Wyborg fallen. Auch Kremlchef Dmitri Medwedew hat sein Kommen zugesagt.
Im Hafen von Sassnitz auf Rügen und im finnischen Kotka lagern seit Monaten zehntausende Röhrenteile. Die zweistrangige Pipeline zwischen Wyborg und Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern soll bei Fertigstellung Ende 2012 rund 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr transportieren. Damit könnten 25 Millionen Haushalte versorgt werden, rechnet die Nord Stream AG vor. Zugleich handelt es sich bei der 1220 Kilometer langen Verbindung um die größte Offshore-Gasleitung weltweit. Allein diese Zahlen machen klar, dass der Bau der Pipeline eine logistische und technische Meisterleistung zu werden verspricht.
Die Hauptrolle spielen dabei die drei Verlegeschiffe. Nach der „Castoro 6“, die das Mittelstück der Pipeline „ausrollt“, kommen später die „Castoro 10“ im südwestlichen Abschnitt vor der deutschen Küste und die „Solitaire“ im finnischen Meerbusen zum Einsatz. Bei den mehr als 150 Meter langen Giganten handelt es sich um eine Art schwimmender Fabriken: An Bord durchlaufen die Röhrenteile zwei Fertigungsstraßen. Am Ende werden sie in der „Fire Line“ erhitzt und mit dem Leitungsstrang verbunden. Diesen wiederum lassen die Verlegeschiffe über Führungsschienen auf den Meeresgrund gleiten – das Gewicht der Stahl-Beton-Röhre macht es möglich.
Doch was Technikbegeisterte staunen lässt, ist in wirtschaftlicher, ökologischer und politischer Hinsicht weiterhin umstritten. Der Betreiber Nord Stream geht davon aus, dass die Pipeline bis zum Jahr 2020 rund 25 Prozent des zusätzlichen europäischen Bedarfs an Gas-Importen deckt. Zugleich will das Konsortium, an dem außer dem russischen Mehrheitseigner Gazprom (51 Prozent) die deutschen Versorger Eon-Ruhrgas und BASF-Wintershall zu je 20 Prozent sowie die nierderländische Gasuni mit 9 Prozent beteiligt sind, vor allem die Transitgebühren einsparen, die bei Überlandleitungen fällig werden.
Die Energie-Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, Claudia Kemfert, hält das Absatz-Szenario von Nord Stream für realistisch. „Unsere eigenen europäischen Erdgasreserven in der Nordsee gehen zur Neige“, erläutert sie. „Wir werden erheblich mehr Gas außerhalb Europas einkaufen müssen.” Die Ostsee-Pipeline stärke deshalb die Versorgungssicherheit in der EU. Nach einer Studie des wirtschaftsnahen DIW dürfte der Importanteil am europäischen Erdgasverbrauch von heute 60 auf 80 Prozent im Jahr 2020 steigen.
Der Berliner Russland-Experte Roland Götz setzt allerdings ein dickes Fragezeichen hinter all diese Zahlen. „Verbrauchsprognosen im Energiebereich“, sagt der gelernte Volkswirt, „sind wegen der noch nicht definitiv beschlossenen Klimapolitik mit hoher Unsicherheit behaftet.“ Fakt ist, dass der Pipeline-Bau mit 7,5 Milliarden Euro fast doppelt so teuer wird, wie ursprünglich geplant. Dieses Geld wird Nord Stream erst noch verdienen müssen, zumal rund zwei Drittel der Investitionssumme kreditfinanziert sind. DIW-Expertin Kemfert gibt zudem zu bedenken, dass es „derzeit ein Überangebot an Erdgas gibt“, was die Preise purzeln lassen könnte. Hauptgrund: Die USA haben weitere eigene Erdgasvorkommen erschlossen und kaufen weniger Gas auf dem Weltmarkt ein.
Und die Pipeline könnte noch teurer werden. Die Umweltorganisationen WWF und BUND haben vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald Klage gegen das Bergamt Stralsund als Genehmigungsbehörde eingereicht. Die im Planfeststellungsbeschluss geforderten Zahlungen, die Nord Stream als Ausgleich für Eingriffe in das Ökosystem Ostsee zu leisten habe, seien viel zu niedrig bemessen, begründet WWF-Sprecherin Britta König das juristische Vorgehen. Ein Urteil erwartet der WWF nicht vor Mitte April.
Umweltschützer betrachten die neue Gasleitung, die auch Meeresschutzgebiete durchquert, ohnehin mit großer Skepsis. So wirbelten die Bauarbeiten Stickstoffe und Phosphate auf. Dies könne zu einer Überdüngung führen, bestätigt der Kieler Meeresforscher Heye Rumohr. „Algen und Plankton gedeihen und sinken vermehrt auf den Grund. Dort gammelt alles vor sich hin, bis der Meeresboden biologisch stirbt.“ Rund 20 Prozent des Ostseegrundes gelten derzeit als tot. In der Pipeline selbst sieht Rumohr dagegen keine Gefahr. Während WWF-Sprecherin König vor Schäden durch unentdeckte Weltkriegsmunition warnt, sagt Rumohr: „Selbst wenn die Röhre leckschlägt – was soll passieren? Dann blubbert es ein wenig, na und?“
Unklar ist unterdessen, welche „Kollateralschäden“ das Nord-Stream-Projekt auf politischem Feld verursachen könnte. Polen und die baltischen Staaten, die sich von den westeuropäisch-russischen Plänen ausgebootet und um Transit-Einnahmen geprellt fühlen, haben inzwischen zwar Zurückhaltung signalisiert. Vergessen sind Ausfälle wie der legendäre Nazi-Vergleich des damaligen polnischen Verteidigungsministers Radoslaw Sikorski. 2006 hatte der heutige Warschauer Außenamtschef das von Berlin und Moskau vorangetriebene Pipeline-Projekt mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 verglichen. Und doch: Kaum zufällig hat Warschau zusammen mit den Balten kürzlich Pläne für ein gemeinsames Atomkraftwerk auf den Weg gebracht. Es wäre das erste in Polen. Zugleich setzt die Regierung von Donald Tusk weiter auf den Klimakiller Kohle als Hauptenergieträger.
DIW-Expertin Kemfert sieht darin den „legitimen und nachvollziehbaren Versuch, sich aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas zu befreien“. Die Gesamtentwicklung lässt jedoch darauf schließen, dass sich Russen und Westeuropäer in Energiefragen näher sind als die EU-Partner untereinander. In jedem Fall gilt dies für die beteiligten Unternehmen. So engagiert sich BASF-Wintershall nicht nur bei Import und Weiterverarbeitung russischen Gases. In Joint Ventures mit Gazprom ist der deutsche Versorger auch an der Förderung in Sibirien sowie an der Erschließung neuer Öl- und Gasfelder beteiligt. Wintershall-Vorstandschef Rainer Seele kündigte vor diesem Hintergrund für 2010 „trotz des schwächeren Wirtschaftsumfeldes“ für sein Unternehmen einen Wachstumskurs an, nicht ohne hinzuzufügen: „Das verdanken wir vor allem dem Geschäft mit Russland.“
Ulrich Krökel
ENDE
Nachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost Büro unter (030) 259 3283 - 0
Im Hafen von Sassnitz auf Rügen und im finnischen Kotka lagern seit Monaten zehntausende Röhrenteile. Die zweistrangige Pipeline zwischen Wyborg und Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern soll bei Fertigstellung Ende 2012 rund 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr transportieren. Damit könnten 25 Millionen Haushalte versorgt werden, rechnet die Nord Stream AG vor. Zugleich handelt es sich bei der 1220 Kilometer langen Verbindung um die größte Offshore-Gasleitung weltweit. Allein diese Zahlen machen klar, dass der Bau der Pipeline eine logistische und technische Meisterleistung zu werden verspricht.Die Hauptrolle spielen dabei die drei Verlegeschiffe. Nach der „Castoro 6“, die das Mittelstück der Pipeline „ausrollt“, kommen später die „Castoro 10“ im südwestlichen Abschnitt vor der deutschen Küste und die „Solitaire“ im finnischen Meerbusen zum Einsatz. Bei den mehr als 150 Meter langen Giganten handelt es sich um eine Art schwimmender Fabriken: An Bord durchlaufen die Röhrenteile zwei Fertigungsstraßen. Am Ende werden sie in der „Fire Line“ erhitzt und mit dem Leitungsstrang verbunden. Diesen wiederum lassen die Verlegeschiffe über Führungsschienen auf den Meeresgrund gleiten – das Gewicht der Stahl-Beton-Röhre macht es möglich.Doch was Technikbegeisterte staunen lässt, ist in wirtschaftlicher, ökologischer und politischer Hinsicht weiterhin umstritten. Der Betreiber Nord Stream geht davon aus, dass die Pipeline bis zum Jahr 2020 rund 25 Prozent des zusätzlichen europäischen Bedarfs an Gas-Importen deckt. Zugleich will das Konsortium, an dem außer dem russischen Mehrheitseigner Gazprom (51 Prozent) die deutschen Versorger Eon-Ruhrgas und BASF-Wintershall zu je 20 Prozent sowie die nierderländische Gasuni mit 9 Prozent beteiligt sind, vor allem die Transitgebühren einsparen, die bei Überlandleitungen fällig werden.Die Energie-Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, Claudia Kemfert, hält das Absatz-Szenario von Nord Stream für realistisch. „Unsere eigenen europäischen Erdgasreserven in der Nordsee gehen zur Neige“, erläutert sie. „Wir werden erheblich mehr Gas außerhalb Europas einkaufen müssen.” Die Ostsee-Pipeline stärke deshalb die Versorgungssicherheit in der EU. Nach einer Studie des wirtschaftsnahen DIW dürfte der Importanteil am europäischen Erdgasverbrauch von heute 60 auf 80 Prozent im Jahr 2020 steigen.
Im Hafen von Sassnitz auf Rügen und im finnischen Kotka lagern seit Monaten zehntausende Röhrenteile. Die zweistrangige Pipeline zwischen Wyborg und Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern soll bei Fertigstellung Ende 2012 rund 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr transportieren. Damit könnten 25 Millionen Haushalte versorgt werden, rechnet die Nord Stream AG vor. Zugleich handelt es sich bei der 1220 Kilometer langen Verbindung um die größte Offshore-Gasleitung weltweit. Allein diese Zahlen machen klar, dass der Bau der Pipeline eine logistische und technische Meisterleistung zu werden verspricht.Die Hauptrolle spielen dabei die drei Verlegeschiffe. Nach der „Castoro 6“, die das Mittelstück der Pipeline „ausrollt“, kommen später die „Castoro 10“ im südwestlichen Abschnitt vor der deutschen Küste und die „Solitaire“ im finnischen Meerbusen zum Einsatz. Bei den mehr als 150 Meter langen Giganten handelt es sich um eine Art schwimmender Fabriken: An Bord durchlaufen die Röhrenteile zwei Fertigungsstraßen. Am Ende werden sie in der „Fire Line“ erhitzt und mit dem Leitungsstrang verbunden. Diesen wiederum lassen die Verlegeschiffe über Führungsschienen auf den Meeresgrund gleiten – das Gewicht der Stahl-Beton-Röhre macht es möglich.Doch was Technikbegeisterte staunen lässt, ist in wirtschaftlicher, ökologischer und politischer Hinsicht weiterhin umstritten. Der Betreiber Nord Stream geht davon aus, dass die Pipeline bis zum Jahr 2020 rund 25 Prozent des zusätzlichen europäischen Bedarfs an Gas-Importen deckt. Zugleich will das Konsortium, an dem außer dem russischen Mehrheitseigner Gazprom (51 Prozent) die deutschen Versorger Eon-Ruhrgas und BASF-Wintershall zu je 20 Prozent sowie die nierderländische Gasuni mit 9 Prozent beteiligt sind, vor allem die Transitgebühren einsparen, die bei Überlandleitungen fällig werden.Die Energie-Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, Claudia Kemfert, hält das Absatz-Szenario von Nord Stream für realistisch. „Unsere eigenen europäischen Erdgasreserven in der Nordsee gehen zur Neige“, erläutert sie. „Wir werden erheblich mehr Gas außerhalb Europas einkaufen müssen.” Die Ostsee-Pipeline stärke deshalb die Versorgungssicherheit in der EU. Nach einer Studie des wirtschaftsnahen DIW dürfte der Importanteil am europäischen Erdgasverbrauch von heute 60 auf 80 Prozent im Jahr 2020 steigen.Der Berliner Russland-Experte Roland Götz setzt allerdings ein dickes Fragezeichen hinter all diese Zahlen. „Verbrauchsprognosen im Energiebereich“, sagt der gelernte Volkswirt, „sind wegen der noch nicht definitiv beschlossenen Klimapolitik mit hoher Unsicherheit behaftet.“ Fakt ist, dass der Pipeline-Bau mit 7,5 Milliarden Euro fast doppelt so teuer wird, wie ursprünglich geplant. Dieses Geld wird Nord Stream erst noch verdienen müssen, zumal rund zwei Drittel der Investitionssumme kreditfinanziert sind. DIW-Expertin Kemfert gibt zudem zu bedenken, dass es „derzeit ein Überangebot an Erdgas gibt“, was die Preise purzeln lassen könnte. Hauptgrund: Die USA haben weitere eigene Erdgasvorkommen erschlossen und kaufen weniger Gas auf dem Weltmarkt ein.Und die Pipeline könnte noch teurer werden. Die Umweltorganisationen WWF und BUND haben vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald Klage gegen das Bergamt Stralsund als Genehmigungsbehörde eingereicht. Die im Planfeststellungsbeschluss geforderten Zahlungen, die Nord Stream als Ausgleich für Eingriffe in das Ökosystem Ostsee zu leisten habe, seien viel zu niedrig bemessen, begründet WWF-Sprecherin Britta König das juristische Vorgehen. Ein Urteil erwartet der WWF nicht vor Mitte April.Umweltschützer betrachten die neue Gasleitung, die auch Meeresschutzgebiete durchquert, ohnehin mit großer Skepsis. So wirbelten die Bauarbeiten Stickstoffe und Phosphate auf. Dies könne zu einer Überdüngung führen, bestätigt der Kieler Meeresforscher Heye Rumohr. „Algen und Plankton gedeihen und sinken vermehrt auf den Grund. Dort gammelt alles vor sich hin, bis der Meeresboden biologisch stirbt.“ Rund 20 Prozent des Ostseegrundes gelten derzeit als tot. In der Pipeline selbst sieht Rumohr dagegen keine Gefahr. Während WWF-Sprecherin König vor Schäden durch unentdeckte Weltkriegsmunition warnt, sagt Rumohr: „Selbst wenn die Röhre leckschlägt – was soll passieren? Dann blubbert es ein wenig, na und?“Unklar ist unterdessen, welche „Kollateralschäden“ das Nord-Stream-Projekt auf politischem Feld verursachen könnte. Polen und die baltischen Staaten, die sich von den westeuropäisch-russischen Plänen ausgebootet und um Transit-Einnahmen geprellt fühlen, haben inzwischen zwar Zurückhaltung signalisiert. Vergessen sind Ausfälle wie der legendäre Nazi-Vergleich des damaligen polnischen Verteidigungsministers Radoslaw Sikorski. 2006 hatte der heutige Warschauer Außenamtschef das von Berlin und Moskau vorangetriebene Pipeline-Projekt mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 verglichen. Und doch: Kaum zufällig hat Warschau zusammen mit den Balten kürzlich Pläne für ein gemeinsames Atomkraftwerk auf den Weg gebracht. Es wäre das erste in Polen. Zugleich setzt die Regierung von Donald Tusk weiter auf den Klimakiller Kohle als Hauptenergieträger.DIW-Expertin Kemfert sieht darin den „legitimen und nachvollziehbaren Versuch, sich aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas zu befreien“. Die Gesamtentwicklung lässt jedoch darauf schließen, dass sich Russen und Westeuropäer in Energiefragen näher sind als die EU-Partner untereinander. In jedem Fall gilt dies für die beteiligten Unternehmen. So engagiert sich BASF-Wintershall nicht nur bei Import und Weiterverarbeitung russischen Gases. In Joint Ventures mit Gazprom ist der deutsche Versorger auch an der Förderung in Sibirien sowie an der Erschließung neuer Öl- und Gasfelder beteiligt. Wintershall-Vorstandschef Rainer Seele kündigte vor diesem Hintergrund für 2010 „trotz des schwächeren Wirtschaftsumfeldes“ für sein Unternehmen einen Wachstumskurs an, nicht ohne hinzuzufügen: „Das verdanken wir vor allem dem Geschäft mit Russland.“ENDE
Im Hafen von Sassnitz auf Rügen und im finnischen Kotka lagern seit Monaten zehntausende Röhrenteile. Die zweistrangige Pipeline zwischen Wyborg und Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern soll bei Fertigstellung Ende 2012 rund 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr transportieren. Damit könnten 25 Millionen Haushalte versorgt werden, rechnet die Nord Stream AG vor. Zugleich handelt es sich bei der 1220 Kilometer langen Verbindung um die größte Offshore-Gasleitung weltweit. Allein diese Zahlen machen klar, dass der Bau der Pipeline eine logistische und technische Meisterleistung zu werden verspricht.Die Hauptrolle spielen dabei die drei Verlegeschiffe. Nach der „Castoro 6“, die das Mittelstück der Pipeline „ausrollt“, kommen später die „Castoro 10“ im südwestlichen Abschnitt vor der deutschen Küste und die „Solitaire“ im finnischen Meerbusen zum Einsatz. Bei den mehr als 150 Meter langen Giganten handelt es sich um eine Art schwimmender Fabriken: An Bord durchlaufen die Röhrenteile zwei Fertigungsstraßen. Am Ende werden sie in der „Fire Line“ erhitzt und mit dem Leitungsstrang verbunden. Diesen wiederum lassen die Verlegeschiffe über Führungsschienen auf den Meeresgrund gleiten – das Gewicht der Stahl-Beton-Röhre macht es möglich.Doch was Technikbegeisterte staunen lässt, ist in wirtschaftlicher, ökologischer und politischer Hinsicht weiterhin umstritten. Der Betreiber Nord Stream geht davon aus, dass die Pipeline bis zum Jahr 2020 rund 25 Prozent des zusätzlichen europäischen Bedarfs an Gas-Importen deckt. Zugleich will das Konsortium, an dem außer dem russischen Mehrheitseigner Gazprom (51 Prozent) die deutschen Versorger Eon-Ruhrgas und BASF-Wintershall zu je 20 Prozent sowie die nierderländische Gasuni mit 9 Prozent beteiligt sind, vor allem die Transitgebühren einsparen, die bei Überlandleitungen fällig werden.Die Energie-Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, Claudia Kemfert, hält das Absatz-Szenario von Nord Stream für realistisch. „Unsere eigenen europäischen Erdgasreserven in der Nordsee gehen zur Neige“, erläutert sie. „Wir werden erheblich mehr Gas außerhalb Europas einkaufen müssen.” Die Ostsee-Pipeline stärke deshalb die Versorgungssicherheit in der EU. Nach einer Studie des wirtschaftsnahen DIW dürfte der Importanteil am europäischen Erdgasverbrauch von heute 60 auf 80 Prozent im Jahr 2020 steigen.Der Berliner Russland-Experte Roland Götz setzt allerdings ein dickes Fragezeichen hinter all diese Zahlen. „Verbrauchsprognosen im Energiebereich“, sagt der gelernte Volkswirt, „sind wegen der noch nicht definitiv beschlossenen Klimapolitik mit hoher Unsicherheit behaftet.“ Fakt ist, dass der Pipeline-Bau mit 7,5 Milliarden Euro fast doppelt so teuer wird, wie ursprünglich geplant. Dieses Geld wird Nord Stream erst noch verdienen müssen, zumal rund zwei Drittel der Investitionssumme kreditfinanziert sind. DIW-Expertin Kemfert gibt zudem zu bedenken, dass es „derzeit ein Überangebot an Erdgas gibt“, was die Preise purzeln lassen könnte. Hauptgrund: Die USA haben weitere eigene Erdgasvorkommen erschlossen und kaufen weniger Gas auf dem Weltmarkt ein.Und die Pipeline könnte noch teurer werden. Die Umweltorganisationen WWF und BUND haben vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald Klage gegen das Bergamt Stralsund als Genehmigungsbehörde eingereicht. Die im Planfeststellungsbeschluss geforderten Zahlungen, die Nord Stream als Ausgleich für Eingriffe in das Ökosystem Ostsee zu leisten habe, seien viel zu niedrig bemessen, begründet WWF-Sprecherin Britta König das juristische Vorgehen. Ein Urteil erwartet der WWF nicht vor Mitte April.Umweltschützer betrachten die neue Gasleitung, die auch Meeresschutzgebiete durchquert, ohnehin mit großer Skepsis. So wirbelten die Bauarbeiten Stickstoffe und Phosphate auf. Dies könne zu einer Überdüngung führen, bestätigt der Kieler Meeresforscher Heye Rumohr. „Algen und Plankton gedeihen und sinken vermehrt auf den Grund. Dort gammelt alles vor sich hin, bis der Meeresboden biologisch stirbt.“ Rund 20 Prozent des Ostseegrundes gelten derzeit als tot. In der Pipeline selbst sieht Rumohr dagegen keine Gefahr. Während WWF-Sprecherin König vor Schäden durch unentdeckte Weltkriegsmunition warnt, sagt Rumohr: „Selbst wenn die Röhre leckschlägt – was soll passieren? Dann blubbert es ein wenig, na und?“Unklar ist unterdessen, welche „Kollateralschäden“ das Nord-Stream-Projekt auf politischem Feld verursachen könnte. Polen und die baltischen Staaten, die sich von den westeuropäisch-russischen Plänen ausgebootet und um Transit-Einnahmen geprellt fühlen, haben inzwischen zwar Zurückhaltung signalisiert. Vergessen sind Ausfälle wie der legendäre Nazi-Vergleich des damaligen polnischen Verteidigungsministers Radoslaw Sikorski. 2006 hatte der heutige Warschauer Außenamtschef das von Berlin und Moskau vorangetriebene Pipeline-Projekt mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 verglichen. Und doch: Kaum zufällig hat Warschau zusammen mit den Balten kürzlich Pläne für ein gemeinsames Atomkraftwerk auf den Weg gebracht. Es wäre das erste in Polen. Zugleich setzt die Regierung von Donald Tusk weiter auf den Klimakiller Kohle als Hauptenergieträger.DIW-Expertin Kemfert sieht darin den „legitimen und nachvollziehbaren Versuch, sich aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas zu befreien“. Die Gesamtentwicklung lässt jedoch darauf schließen, dass sich Russen und Westeuropäer in Energiefragen näher sind als die EU-Partner untereinander. In jedem Fall gilt dies für die beteiligten Unternehmen. So engagiert sich BASF-Wintershall nicht nur bei Import und Weiterverarbeitung russischen Gases. In Joint Ventures mit Gazprom ist der deutsche Versorger auch an der Förderung in Sibirien sowie an der Erschließung neuer Öl- und Gasfelder beteiligt. Wintershall-Vorstandschef Rainer Seele kündigte vor diesem Hintergrund für 2010 „trotz des schwächeren Wirtschaftsumfeldes“ für sein Unternehmen einen Wachstumskurs an, nicht ohne hinzuzufügen: „Das verdanken wir vor allem dem Geschäft mit Russland.“ENDE
Der Berliner Russland-Experte Roland Götz setzt allerdings ein dickes Fragezeichen hinter all diese Zahlen. „Verbrauchsprognosen im Energiebereich“, sagt der gelernte Volkswirt, „sind wegen der noch nicht definitiv beschlossenen Klimapolitik mit hoher Unsicherheit behaftet.“ Fakt ist, dass der Pipeline-Bau mit 7,5 Milliarden Euro fast doppelt so teuer wird, wie ursprünglich geplant. Dieses Geld wird Nord Stream erst noch verdienen müssen, zumal rund zwei Drittel der Investitionssumme kreditfinanziert sind. DIW-Expertin Kemfert gibt zudem zu bedenken, dass es „derzeit ein Überangebot an Erdgas gibt“, was die Preise purzeln lassen könnte. Hauptgrund: Die USA haben weitere eigene Erdgasvorkommen erschlossen und kaufen weniger Gas auf dem Weltmarkt ein.Und die Pipeline könnte noch teurer werden. Die Umweltorganisationen WWF und BUND haben vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald Klage gegen das Bergamt Stralsund als Genehmigungsbehörde eingereicht. Die im Planfeststellungsbeschluss geforderten Zahlungen, die Nord Stream als Ausgleich für Eingriffe in das Ökosystem Ostsee zu leisten habe, seien viel zu niedrig bemessen, begründet WWF-Sprecherin Britta König das juristische Vorgehen. Ein Urteil erwartet der WWF nicht vor Mitte April.Umweltschützer betrachten die neue Gasleitung, die auch Meeresschutzgebiete durchquert, ohnehin mit großer Skepsis. So wirbelten die Bauarbeiten Stickstoffe und Phosphate auf. Dies könne zu einer Überdüngung führen, bestätigt der Kieler Meeresforscher Heye Rumohr. „Algen und Plankton gedeihen und sinken vermehrt auf den Grund. Dort gammelt alles vor sich hin, bis der Meeresboden biologisch stirbt.“ Rund 20 Prozent des Ostseegrundes gelten derzeit als tot. In der Pipeline selbst sieht Rumohr dagegen keine Gefahr. Während WWF-Sprecherin König vor Schäden durch unentdeckte Weltkriegsmunition warnt, sagt Rumohr: „Selbst wenn die Röhre leckschlägt – was soll passieren? Dann blubbert es ein wenig, na und?“Unklar ist unterdessen, welche „Kollateralschäden“ das Nord-Stream-Projekt auf politischem Feld verursachen könnte. Polen und die baltischen Staaten, die sich von den westeuropäisch-russischen Plänen ausgebootet und um Transit-Einnahmen geprellt fühlen, haben inzwischen zwar Zurückhaltung signalisiert. Vergessen sind Ausfälle wie der legendäre Nazi-Vergleich des damaligen polnischen Verteidigungsministers Radoslaw Sikorski. 2006 hatte der heutige Warschauer Außenamtschef das von Berlin und Moskau vorangetriebene Pipeline-Projekt mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 verglichen. Und doch: Kaum zufällig hat Warschau zusammen mit den Balten kürzlich Pläne für ein gemeinsames Atomkraftwerk auf den Weg gebracht. Es wäre das erste in Polen. Zugleich setzt die Regierung von Donald Tusk weiter auf den Klimakiller Kohle als Hauptenergieträger.DIW-Expertin Kemfert sieht darin den „legitimen und nachvollziehbaren Versuch, sich aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas zu befreien“. Die Gesamtentwicklung lässt jedoch darauf schließen, dass sich Russen und Westeuropäer in Energiefragen näher sind als die EU-Partner untereinander. In jedem Fall gilt dies für die beteiligten Unternehmen. So engagiert sich BASF-Wintershall nicht nur bei Import und Weiterverarbeitung russischen Gases. In Joint Ventures mit Gazprom ist der deutsche Versorger auch an der Förderung in Sibirien sowie an der Erschließung neuer Öl- und Gasfelder beteiligt. Wintershall-Vorstandschef Rainer Seele kündigte vor diesem Hintergrund für 2010 „trotz des schwächeren Wirtschaftsumfeldes“ für sein Unternehmen einen Wachstumskurs an, nicht ohne hinzuzufügen: „Das verdanken wir vor allem dem Geschäft mit Russland.“ENDE
Ulrich Krökel
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