Gas-Ehe wird zur Chefsache
Die russische Regierung versucht ihr Interesse am ukrainischen Gasversorger Naftogas herunterzuspielen. Es sei keine komplette Übernahme geplant, betont Russlands Präsident Dmitri Medwedew immer wieder. Möglich sei lediglich die Zusammenlegung bestimmter Unternehmensteile.
In Wirklichkeit ist der Deal für die russische Regierung aber enorm wichtig. So wichtig, dass Medwedew ihn zur Chefsache erklärt hat und am 17. und 18. Mai persönlich zu den Verhandlungen nach Kiew gekommen ist. Die Regierung sträubt sich gegen eine komplette Übernahme von Naftogas, die Opposition fürchtet bereits den Ausverkauf des Landes. Demonstrationen gegen den Zusammenschluss der Gaskonzerne wurden im Vorfeld per Gerichtsbeschluss verboten.
Auf den ersten Blick scheint in Einstieg bei Naftogas wenig attraktiv. Der Staatskonzern ist hoch verschuldet, gilt als undurchsichtig und korrupt. Dreieinhalb Milliarden Dollar Schulden hat Naftogas im vergangenen Jahr angehäuft, zurzeit steht das Unternehmen bei sieben ausländischen Banken in der Kreide. Um das Unternehmen am Leben zu halten, muss die Ukraine jährlich Millionen Dollar aus dem Staatshaushalt locker machen. Die miserable Finanzlage ist hausgemacht: Naftogas ist per Gesetz verpflichtet, teuer importiertes Erdgas weit unter Marktwert an einheimische Energiewerke abzuführen.
Andererseits ist Naftogas der größte Steuerzahler der Ukraine. Der Staatskonzern besitzt wertvolle Aktivposten, die für Gasprom interessant wären. Das Filetstück sind die Pipelines, durch die Erdgas nach Europa, in die Türkei und an ukrainische Verbraucher weitergeleitet wird. Achtzig Prozent des von Russland nach Europa exportierten Erdgases fließen durch die Ukraine. Sollte Gasprom die Kontrolle über das Transportsystem erlangen, wäre das "die größte Schattenprivatisierung in der Geschichte der Ukraine", sagt Oppositionsführerin Julia Timoschenko.
Am 30. April hatte Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin eine Fusion von Gasprom und Naftogas vorgeschlagen. Die ukrainische Regierung zeigte sich überrascht und erklärte, über das Angebot nachdenken zu wollen. In der vergangenen Woche flog Energieminister Juri Boyko nach Moskau und sprach dort mit Gasprom-Chef Alexej Miller. "Eine Fusion wäre eine pragmatische Entscheidung", sagte Miller nach dem Treffen. Die ukrainische Regierung lehnt eine komplette Übernahme von Naftogas ab. "Wir werden nur einer gleichberechtigten Fusion zustimmen", erklärte Außenminister Gryzenko.
Russland könnte die Ukraine auch von einer anderen Seite in die Zange nehmen. Bis 2013 ist die Inbetriebnahme von South-Stream geplant, einer Pipeline, die unter Umgehung der Ukraine von Russland durch das Schwarze Meer nach Bulgarien führt. Um konkurrenzfähig zu bleiben, will die Ukraine die Kapazität ihres Pipelinenetzes erhöhen – von zurzeit 125 Milliarden Kubikmeter pro Jahr auf 200 Milliarden Kubikmeter. Zur Finanzierung wurde die Gründung eines Konsortiums vorgeschlagen, an dem Russland, die Ukraine und die EU beteiligt sein sollen. Das Konsortium habe nichts mit den aktuellen Gesprächen über eine teilweise Zusammenlegung von Gasprom und Naftogas zu tun, erklärte Gasprom-Chef Alexej Miller. Auch halte Russland am Bau von South-Stream fest. Der Gasprom-Chef machte vergangene Woche noch einmal deutlich, wie sehr die Ukraine von russischen Gaslieferungen abhängt: "Das ukrainische Pipelinesystem ist nur wertvoll, wenn es mit Gas gefüllt ist."