Tschechien

„Ich habe eine alte Seele!“

ostpol: In Ihrem neuen Werk geht es um einen jungen Anthropologen, der sich auf die Suche nach einem vor 60 Jahren in der Taiga verschollenen Forscher macht. Wie kommt man als Pragerin darauf, einen Roman in Sibirien anzusiedeln?

Petra Hulová: Seit ein paar Jahren reise ich vor allem im Sommer dorthin und kenne daher Sibirien und auch die Transsibirische Eisenbahn daher ganz gut. Die in dem Buch beschriebene Geschichte basiert auf einer Begebenheit, die einem meiner Bekannten widerfahren ist.

Gibt es eine Verbindung zwischen Sibirien und Ihrer Heimat?

Hulová: Was die Menschen in Sibirien und Tschechien verbindet, ist die Erfahrung, die sie mit dem Kommunismus gemacht haben. Dabei denke ich an den Prozess der Sowjetisierung und die postkommunistische Zeit. Diese präsentieren sich in Sibirien allerdings in radikaleren und tragischeren Formen.

Sie waren 23, als Sie mit Ihrem Debüt „Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe“ großen Erfolg hatten.

Hulová: Mich hat das verwirrt. Es gab viel Druck von außen. Aber dann kam der Moment, in dem ich Lust bekam, nur mit mir alleine zu sein und zu schreiben, und all diese Dinge sind davongeschwommen.

Sie haben einmal gesagt, dass Ihre Texte mit Ihnen machen, was sie wollen. Wie viel in Ihrer Arbeit ist spontanes Sprachspiel und wie viel ist komponiert?

Hulová: Ich beginne immer, einen Text zu schreiben, indem ich mir eine bestimmte Vorstellung vom Geist, dem Thema und der Atmosphäre mache, die das Buch haben soll. Der Rest entsteht im Laufe des Schreibens. Das macht das Ganze zu einem kleinen Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Oft enden meine Arbeiten mit Seiten voller Texte, die ich nicht zu Ende schreibe. Das liegt daran, dass ich am Anfang nur eine vage Vorstellung hatte, die dann nicht aufgegangen ist.


„ENDSTATION TAIGA“
Der dänische Forscher Hablund Doran bricht 1946 in die sibirische Eiswüste auf, in das kleine Dorf Charyn. Er ist fasziniert von dem so fremd anmutenden Leben der völlig abgeschiedenen Bewohner und möchte einen Dokumentarfilm über sie drehen. Doch er kommt nie wieder zurück. 60 Jahre später macht sich sein Landsmann, der Anthropologie-Student Erske Jenkel, auf den Weg nach Sibirien um herauszufinden, was damals geschah.
Petra Hulová, „Endstation Taiga“, Luchterhand Literaturverlag 2010, 478 Seiten

VITA
Petra Hulová wurde am 12. Juli 1979 in Prag geboren. Nach dem Abitur studierte sie an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Kulturwissenschaft und Mongolistik. Für einige Zeit lebte sie in der Mongolei und in New York. Zurzeit widmet sie sich ihrer Promotion in Kulturwissenschaft. Die zweifache Mutter hat bereits mehrere Romane veröffentlicht und gilt als eine der begabtesten Schriftstellerinnen Tschechiens.



Was brauchen Sie, um von einem Ort erzählen zu können und sich dort einzufühlen?

Hulová: Ich muss den Ort kennen und dort eine Zeit lang gelebt haben. Bei mir gibt es keine Schauplätze, an denen ich nicht selbst schon einmal war. Außerdem brauche ich zu dem Ort einen eigenen emotionalen Bezug und muss getrieben sein von einem persönlichen Interesse.

Bereits Ihr erster Roman hat eine sehr ausgeprägte, erwachsene Handschrift. Ihre Literatur lässt sich nur schwer mit den Werken anderer junger Autorinnen wie der Polin Dorota Maslowska vergleichen, die vornehmlich für ein junges Publikum schreibt. Woran liegt das?

Hulová: Ich glaube, ich habe eine alte Seele und mich deshalb auch nie als besonders jung wahrgenommen. Selbst mit 15 hatte ich nie ein Gefühl von Jugend, wie ich es mir bei anderen vorstelle. Mich hat immer die Welt der alten Menschen interessiert. So etwas wie Generationenromane für junge Leute sind mir immer eher ein bisschen lächerlich vorgekommen.

Wie haben Sie das Zusammensein mit Gleichaltrigen empfunden?

Hulová: Ich hatte nie das Gefühl, dass ich dazu gehöre.


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