Im Fadenkreuz der Justiz
Der Zugriff war genau geplant, das ganze Land sollte die Verhaftung miterleben. Juri Lutsenko verließ am 26. Dezember seine Wohnung in Kiew. Der ehemalige Innenminister wollte mit seinem Hund spazieren gehen, vor dem Haus wartete bereits ein Dutzend Journalisten. Plötzlich tauchten maskierte Männer des ukrainischen Sicherheitsdienstes auf. Vor laufenden Kameras zerrten sie den Ex-Minister in einen Minivan, brachten ihn ins Gefängnis Lukjanowska.
Seit fast zwei Wochen sitzt Lutsenko nun in Untersuchungshaft. Die Justiz ermittelt wegen Machtmissbrauch und Untreue. Als Innenminister soll Lutsenko seinem Chauffeur einen lukrativen Job im Ministerium verschafft haben. Dadurch habe sich der Fahrer eine höhere Rente von insgesamt 4.000 Euro erschlichen, lautet der Vorwurf.
Neben Lutsenko stehen derzeit etliche Minister und Beamte der früheren „Orangenen Regierung“, die im Zuge der Orangenen Revolution 2004 an die Macht gekommen war, im Fadenkreuz der Justiz. Korruption, Machtmissbrauch und Untreue, lauten die Vorwürfe. Insgesamt 18 Strafverfahren hat die Staatsanwaltschaft eröffnet, auch gegen Julia Timoschenko wird ermittelt. Ex-Umweltminister Filiptschuk wurde Mitte Dezember verhaftet. Der ehemalige stellvertretende Minister für Verteidigung steht unter Arrest, seine Kollegen aus dem Justiz- und Transportministerium sitzen hinter Gittern. Staatsbeamte und Manager des Gasversorgers Naftogas befinden sich in Untersuchungshaft. Der ehemalige Wirtschaftsminister Bogdan Danilischin soll mehrere Hunderttausend Euro veruntreut haben. Er wurde im Oktober in Tschechien verhaftet. Zurzeit kämpft er gegen seine Auslieferung in die Ukraine, er hat in Tschechien politisches Asyl beantragt.
Organisationen wie die Charkower Menschenrechtsgruppe werfen der ukrainischen Staatsanwaltschaft „selektive Justiz“ vor, Oppositionelle halten die Ermittlungen für einen „Rachefeldzug“ der Janukowitsch-Regierung. Sie befürchten, dass Timoschenko die Nächste sein könnte, die im Gefängnis landet.
Gegen die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko selbst sind derzeit zwei Strafverfahren anhängig. Timoschenko soll rund 200 Millionen Euro zweckentfremdet haben. Das Geld stammt aus dem Verkauf von Emissionsrechten an Japan und war für das Umweltministerium bestimmt. Anstatt in den Umweltschutz habe Timoschenko die Millionen in die Rentenkasse gesteckt. Timoschenko hat zugegeben, das Geld umgeschichtet zu haben. Dies sei jedoch nicht rechtswidrig gewesen. In der vergangenen Woche eröffnete Generalstaatsanwalt Viktor Pschonka ein zweites Verfahren gegen die Oppositionsführerin. Timoschenko soll während ihrer Amtszeit 1000 Krankenwagen gekauft haben - mit Geld aus der Staatskasse. Die Fahrzeuge habe sie für ihren Präsidentschaftswahlkampf verwendet. „Diese Behauptung ist absurd“, entgegnete die ehemalige Ministerpräsidentin.
„Die Beschuldigten haben jede Möglichkeit, sich zu verteidigen“, sagte Präsident Janukowitsch kürzlich in einem Interview. Zweifel bestehen jedoch an der Unabhängigkeit der Justizorgane. Denn Generalstaatsanwalt Pschonka ist ein loyaler Weggefährte Janukowitschs. „Ich bin im Team des Präsidenten“, hatte Pschonka am 4. November vergangenen Jahres im ukrainischen Fernsehen verkündet.
Eine wichtige Rolle bei den Ermittlungen könnte die tschechische Justiz spielen. Denn ein Gericht in Prag muss demnächst entscheiden, ob der flüchtige Ex-Wirtschaftsminister Danilischin ein politisch Verfolgter ist. Bekommt er politisches Asyl, dürfte das die Behauptung der ukrainischen Opposition unterstützen, dass die laufenden Verfahren politisch motiviert sind.