Bulgarien

Kampf um den Schengen-Beitritt

Am nordrumänischen Grenzübergang Sculeni rollt ein weißer Lada aus der Republik Moldau heran, Baujahr 1990. Fünf ältere Frauen steigen aus, sie haben Mühe, weil die Türen klemmen. Grenzpolizist Florin Stefanescu sammelt die Pässe ein und stellt seine Standardfrage: „Haben Sie Drogen, Waffen, Munition dabei?“ Die Frauen schütteln den Kopf. Ihr Kofferraum ist voll mit Plastiktüten, darin sind Milch, Gemüse und Bonbons – Geschenke für die Verwandtschaft, die die Moldauerinnen in Rumänien besuchen.

Stefanescu geht in sein Wachhaus und prüft, ob der Lada nicht womöglich ein gestohlenes Fahrzeug aus einem EU-Land ist. Seit einigen Monaten kann er hierfür wie 60.000 andere rumänische Grenzer und Polizisten auf ein europaweites Fahndungsregister, das Schengen-Informationssystem SIS, zugreifen, „Nichts Auffälliges“, sagt Stefanescu und entlässt die fünf Frauen zum Zoll.

Um dem gemeinsamen grenzfreien Schengen-Raum beitreten zu können, hat Rumänien in den vergangenen Monaten entlang seiner 2.000 Kilometer langen Grenze neueste Überwachungstechnik eingeführt - angefangen von Wärmebildkameras bis hin zu speziellen Röntgen-Scannern, mit denen man versteckte Waren und Flüchtlinge ausfindig machen kann. Denn eigentlich war der Schengen-Beitritt schon für den 27. März dieses Jahres geplant. Dann wären automatisch die Pass- und Zollkontrollen an den Grenzen zu Rumäniens EU-Nachbarn entfallen. Wer einmal aus der Ukraine, Serbien oder der Republik Moldau nach Rumänien gelangte, wäre ohne Probleme nach Ungarn, Österreich und Deutschland gekommen. Ein Grund, warum das Land seine Außengrenze in den letzten Monaten abgeschottet hat: Wachtürme und Übergänge wurden renoviert und ausgebaut, Personal aufgestockt, in jeder Polizeistation ein Computer zum Datenabgleich aufgestellt. Die Schengen-Vorbereitung kostete rund eine Milliarde Euro, die Rumänien und die EU gemeinsam tragen.



Am nordrumänischen Grenzübergang Sculeni wollten die Grenzer bereits ein Schild gestalten: „Hier beginnt der Schengen-Raum.“ Bis sie das aufhängen können, müssen sie auf unbestimmte Zeit warten. / Annett Müller, n-ost 

Technisch gesehen ist Rumänien nach Einschätzung von EU-Experten reif für den Schengen-Beitritt, anders als Bulgarien. Das weist an seiner Grenze zur Türkei noch Sicherheitsmängel auf. Ob beide Länder in diesem Jahr aber in den Schengen-Raum aufgenommen werden, ist unwahrscheindlich. Fünf EU-Staaten, darunter Deutschland, fordern, dass Sofia und Bukarest zuerst Erfolge im Anti-Korruptionskampf vorweisen müssen. Am Donnerstag (24.2.) beraten die EU-Innenminister in Brüssel über das weitere Vorgehen.

Der Kampf gegen die Korruption hat auch den Grenzübergang in Sculeni erreicht. Grenzpolizist Florin Stefanescu blickt auf die Videokameras in seinem Büro. „Es gibt eine Menge Augen und Ohren, die zusehen und mithören können“, sagt er. Ausgerechnet mit dieser neuen Ausrüstung deckt die hauseigene Antikorruptionsbehörde des rumänischen Innenministeriums seit Wochen Netzwerke zwischen Grenzbeamten, Zöllnern und Zigarettenschmugglern auf. Erst am Montag wurden 15 Grenzbeamte am rumänisch-moldauischen Grenzübergang Albita festgenommen, gegen 53 weitere laufen Ermittlungen. Vermutungen habe man schon lange gehabt, heißt es vom Bukarester Innenministerium, nur hätten bis dahin Beweise gefehlt, die die neuen Kameras nun liefern.

„Seit den Vorfällen sehen uns die Reisenden an, als sei jeder von uns korrupt. Die Konsequenzen haben wir alle zu tragen“, sagt Polizist Florin Stefanescu. Sein Grenzübergang Sculeni blieb von den Razzien verschont, doch weil an der rumänisch-moldauischen Grenze nach jüngsten Ermittlungen offenbar ebenfalls  Zigaretten, Alkohol oder Medikamente geschmuggelt werden, stehen die Grenzbeamten unter Druck. Alle drei Stunden werden sie neu positioniert, ohne vorher zu wissen, wohin. Dieses Pilotprojekt soll Absprachen mit Schmugglern verhindern. „Wer noch Zweifel hat, dass wir nicht ausreichend vorbereitet wären, soll uns besuchen kommen“, sagt Stefan Alexa, Chef der Grenzbehörde im Kreis Iasi, der neben Sculeni noch zwei weitere Grenzpunkte in seiner Obhut hat.

Der aufgeschobene Schengenbeitritt sorgt bei der Regierung in Bukarest für Frust. Denn im parallel zum EU-Beitritt ausgehandelten Schengen-Abkommen von 2007 ist von Korruptionsbekämpfung nicht die Rede. Dort sind ausschließlich technische Sicherheitskriterien als Aufnahmebedingung aufgeführt. „Wir haben uns am Ziel geglaubt, doch jetzt merken wir, dass in der EU auch ungeschriebene Gesetze gelten“, sagt Staatssekretär Marian Tutilescu, der im Bukarester Innenministerium für die Schengen-Vorbereitungen zuständig ist.

Dabei hat die Regierung im Kampf gegen Bestechung und Schmuggel selbst Fehler gemacht. Seit Jahren verspricht Rumänien, allen voran Staatschef Traian Basescu, der Korruption den Garaus zu machen. Zwar habe es Fortschritte gegeben, doch sei noch viel zu tun, kritisiert Brüssel in seinem jüngsten Fortschrittsbericht vom Freitag. Dass eine Verschiebung des Schengen-Beitritts nun den entscheidenden Reformdruck auf die Politik auslösen könnte, hält EU-Parlamentarierin und Ex-Justizministerin Monica Macovei allerdings für ausgeschlossen: „Man kann Reformen auch wieder rückgängig machen. Wir haben das nach dem EU-Beitritt schon einmal erlebt.“

In Bulgariens Hauptstadt Sofia zeigt man zumindest nach außen hin Einsicht. Denn das Land ist auf den Schengen-Beitritt noch schlechter vorbereitet als sein Nachbar Rumänien. Premierminister Bojko Borissow hatte zwar versprochen, gegen Korruption und organisierte Kriminalität vorzugehen. Nun aber steckt er wegen ausbleibender Ergebnisse innenpolitisch in einer Zwangslage. Doch auch hier sind politische Beobachter skeptisch, dass die EU-Auflagen etwas bringen. Sie warnen sogar vor zusätzliche, Druck, den jetzt die EU jetzt ausübt. „Das provoziert in erster Linie PR-Aktionen“, sagt Assya Kavrakova, Leiterin des europäischen Programms beim Open Society Institut in Sofia. „Menschen werden trotz mangelhafter Beweislage verhaftet, um dadurch die EU zufrieden zu stellen, die mehr Verurteilungen sehen möchte.“ Auch durch die Vereinfachung und Aushöhlung juristischer Prozesse steige die Gefahr politischer Einflussnahme.



An einer Bukarester Polizeistation wirbt ein Plakat des rumänischen Innenministeriums für den Kampf gegen Korruption. / Annett Müller, n-ost

Umfragen zufolge begrüßt derzeit die Mehrheit der rumänischen und bulgarischen Bevölkerung, dass die EU ihren Druck auf den Antikorruptionskampf erhöht, auch wenn man sich längst wünscht, wie die übrigen 400 Millionen EU-Bürger ohne Pass durch Europa zu reisen. Noch gelten Bulgaren und Rumänen als EU-euphorisch, doch könnte die Stimmung kippen. Nämlich dann, wenn die Messlatte für den Antikorruptionskampf zu hoch gehängt und der Schengen-Beitritt damit um Jahre verschoben werden würde. „Das kann in EU-Skepsis umschlagen. Man sollte sich bei der angespannten Stimmung in Europa überlegen, ob man das wirklich will“, warnt die stellvertretende Chefredakteurin der rumänischen Tageszeitung „Romania Libera“, Sabina Fati.

Das Open Society Institut in Sofia verlangt deswegen, dass sich die EU-Innenminister bereits am Donnerstag (24. Februar) ihre Generalkritik am fehlenden Anti-Korruptionskampf in beiden Ländern konkretisieren. „Diese Solidarität ist man uns als EU-Land schuldig, sonst gleicht die Verschiebung des Schengen-Beitritts nur einem politischen Gefeilsche“, sagt Assya Kavrakova. Auch könnte man sich darauf einigen, zum Flugplanwechsel im Oktober bereits die Flughäfen beider Länder in den Schengen-Raum aufzunehmen. Eine zeitlich getrennte Aufnahme der Grenzkontrollpunkte gab es bereits Anfang 2008 beim Schengen-Beitritt von neun anderen Ländern.


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