Die Holzmafia in den Karpaten
Dicke Regentropfen prasseln auf den erdigen Boden vor Jolan Kerekes‘ Haus. Die 74-jährige tritt vor ihre Tür und studiert die graumelierten Wolkenschwaden. Besorgt runzelt sie die Stirn. Wird es auch in diesem Jahr wieder eine Flutwelle im ostrumänischen Dorf Ghimea-Faget geben? Es wäre die sechste. In sechs Jahren.
Im vergangenen Sommer überraschte sie die Flut am 4.Juli. Jolan Kerekes weiß es noch genau, weil sie und ihr Mann György in ihrem Haus gerade neue Dielen verlegt hatten. Die Wände waren weiß gekalkt, sie dufteten nach gebeiztem Holz. Dann kam das Wasser. Noch heute zeichnen sich Wasserflecken an den Wänden ab. Die Dielen verströmen einen muffigen Geruch. „Es hat tagelang wie aus Eimern geregnet“, erinnert sich Jolan Kerekes, „nichts konnte die Flut aufhalten.“ Sie ist den Tränen nahe. „Eigentlich könnten die Wälder ungeheuer viel Wasser aufsaugen“, sagt sie, „aber hier wird ja alles abgeholzt.“
Wie der Familie Kerekes ergeht es vielen im Dorf Ghimes-Faget in den ostrumänischen Karpaten. Früher war die Gegend bekannt für ihre dichten Wälder. Nach dem Sturz des Diktators Nicolae Ceausescus holzten die Bewohner die Waldflächen, die sie durch die Privatisierung zurückerhalten hatten, ab, und verkauften das Land an Holzunternehmer. Schon bald waren die Folgen spürbar: Nach der Jahrtausendwende kam es jährlich zu schweren Überschwemmungen. Das Tal, durch das der Fluss Trotus fließt, wurde zum Synonym für die Kahlschlagkatastrophe in Rumänien.
„Der Wald: unerschöpfliche Quelle von Nahrung und Gesundheit“ steht auf dem Schild am Waldesrand. Foto: Keno Verseck
Nicht nur hier, sondern überall in den rumänischen Karpaten sind in den letzten anderthalb Jahrzehnten massiv Wälder gerodet worden. Armut, Wirtschaftskrise und eine lasche Forstpolitik haben den Kahlschlag begünstigt. Die Folge: Hunderte von Todesopfern bei Fluten. Die Schäden gehen in die Milliardenhöhe.
In Ghimes-Faget sind die Schäden noch immer sichtbar. In Flussnähe hat das Hochwasser Brücken beschädigt und Teile der Landstraße weggerissen, überall stehen beschädigte Häuser und eingeknickte Holzhütten, auf Brachflächen türmen sich angeschwemmtes Holz und Geröll.
So sieht es auch auf dem Gelände hinter Viorel Olteans Stall aus. Manchmal packt den Bauern bei dem Anblick die Wut. „Es wird gerodet und gerodet”, ruft er verbittert, „und niemand schreitet ein!“ Er hat versucht, etwas gegen den rücksichtslosen Kahlschlag zu unternehmen, als einziger im Dorf. Es hätte ihn fast seine Existenz gekostet.
Viorel Oltean ist 45 Jahre alt, ein kleiner, stämmiger Mann. Er ist hier geboren und aufgewachsen. Er hält Milchkühe, eine Herde urwüchsiger Wollschweine und Geflügel. Außerdem betreiben er und seine Frau Livia einen kleinen Lebensmittelladen im Ort.
In den ersten Jahren nach dem Sturz der Ceausescu-Diktatur, sagt Oltean, habe er für die Rodung noch Verständnis aufbringen können. Viele Menschen in der Gegend hätten nach dem Verlust ihrer Arbeitsplätze nur Geld verdienen können, indem sie illegal Bäume fällen. Doch mit der Zeit, so Oltean, habe sich im Ort eine regelrechte „Holz-Mafia“ mit einem kleinen Kreis von Profiteuren herausgebildet.
Rücksichtsloser Kahlschlag: An die Konsequenzen für die Umwelt denkt kaum jemand. Foto: Keno Verseck
Es ist stadtbekannt, dass der Bürgermeister des Ortes, Vilmos Gârbea, einen florierenden Holzgroßhandel betreibt. Jahrelang wurde gegen ihn ermittelt - auch Viorel Oltean stieß viele Verfahren an. Oltean wurde 2004 in den Gemeinderat gewählt und sammelte Beweise über illegale Holzgeschäfte. Diese reichten von gefälschten Grundbucheinträgen über Missachtung von Forstvorschriften bis hin zur Korruption bei öffentlichen Ausschreibungen. Doch die meisten Verfahren wurden eingestellt. In einigen Fällen kam es zwar zur Anklageerhebung, vor Gericht wurde der Bürgermeister aber freigesprochen. Das Vertrauen in die Justiz und in seinen Staat hat Oltean seitdem verloren. „Ich hätte nicht geglaubt, dass unser System so funktioniert“, sagt er hilflos.
Schließlich gab Oltean auf - das war im Herbst 2009. Viele Leute im Dorf hatten den Kontakt zu ihm abgebrochen, sein Lebensmittelladen wurde zeitweilig boykottiert. Immer wieder hörte er Gerüchte, er sei ein Verräter, er wolle die Dorfgemeinschaft zerstören. Doch sein Scheitern ist nur ein vorläufiges, betont Viorel Oltean. Eines Tages wird er wieder gegen die „Holz-Mafia“ kämpfen.
Eine der seltenden
Inspektionen im Trotuser Tal. Foto: Keno Verseck
Indirekt macht er schon jetzt weiter. Zusammen mit anderen Bauern aus der Gegend hat er eine Genossenschaft gegründet, er träumt von ökologischer Landwirtschaft. Man müsse den Menschen in der Region neue Perspektiven aufzeigen, nur so könne man die gnadenlose Waldabholzung beenden. „Das Vernünftigste für unsere Gegend wäre es, wenn man Tierzucht, Tourismus und eine sanfte, nachhaltige Forstwirtschaft miteinander verbinden würde“, sagt er. „So könnte man bei uns gut wirtschaften, ohne der Umwelt zu schaden.“
Keno Verseck
ENDE
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