Bauwut auf Moskaus Bürgersteigen
In diesem Sommer ist Moskau eine einzige Baustelle. Der Asphalt, selbst der tadellose, wird gnadenlos abgetragen. Tag und Nacht brummen die Bagger und wummern die Presslufthammer. Gastarbeiter aus Zentralasien schuften im Akkord. Auf Anweisung von Oberbürgermeister Sergej Sobjanin werden die Bürgersteige in der Innenstadt komplett mit Steinen gepflastert. 1,1 Millionen Quadratmeter stehen in diesem Sommer auf der Agenda. Immer wieder erzählt Sobjanin, wie umweltfreundlich und schön der Kunststeinplattenbelag sei. „Alle Städte in Russland haben das schon gemacht“, behauptet er.
Die Bürgersteige in russischen Städten werden in der Tat gerne mit Kunststeinplatten bepflastert. Dabei werden die Aufträge durch die Firmen übernommen, an welchen der jeweilige Bürgermeister oder dessen Verwandtschaft beteiligt ist. Auch in der sibirischen Stadt Tjumen, wo Sobjanin vorher amtierte, schmücken bereits Marmorfliesen und Granitkanten die Bürgersteige. Seine Frau, diplomierte Bauingenieurin und Inhaberin einer Straßenbaufirma, wird dort nur noch mit dem Spitznamen „Bordstein-Irina“ bezeichnet.
Sobjanin widerspricht indes vehement, seine Frau könnte von seinem Bauprojekt profitieren. „Meine Frau betreibt kein Straßenbaubusiness“, beteuert er. „Sie arbeitet als Erzieherin im Kindergarten“. Noch vor seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr wurde Sobjanin von der Antikorruptionsorganisation Transparency International gewarnt, dass die Moskauer keine zweite bauwütige Gemahlin akzeptieren. Die Erinnerung an Elena Baturina, die Frau von Ex-Bürgermeister Luschkow, sitzt ihnen immer noch im Nacken. Der einstige Liebling der Moskauer, der als leidenschaftlicher Hobby-Imker Moskau mit Honigjahrmärkten übersäte, wurde zunehmend zur verhassten Person. Nicht zuletzt wegen seiner Frau, die mit ihren umstrittenen Bauprojekten in Moskau Millionen verdiente. Zu seiner Rechtfertigung behauptete Luschkow damals, seine Ehegattin betreibe ihr Business ohne seine Hilfe. Sie sei eben eine kluge Frau.
Sein Nachfolger Sobjanin wählt nun einen anderen Weg: „Meine Frau ist zum Business überhaupt nicht fähig!“ sagt er den Journalisten. „Sie ist genauso Businessfrau wie ich Primaballerina“, ergänzt er. Tatsächlich kann niemand offiziell nachweisen, dass Irina an den Unternehmen beteiligt ist, die mit der Pflasterung Moskaus beauftragt sind. Die Firma habe ihren Namen geändert und auf diese Weise Irinas Namen von der Liste der Besitzer verschwinden lassen, vermuten Kritiker.
Aber nicht nur die Verstrickung von Baubusiness und Politik ärgert die Moskauer. Denn es gibt genügend andere Probleme in der Metropole. Während Sobjanin für seinen Kachelwahn über vier Milliarden Rubel aus dem Stadthaushalt veranschlagt hat, wird der Etat für den dringend benötigen Sozialwohnbau und für die Sanierung der Plattenbauten zurückgefahren.
Die Gegner des Projekts organisieren sich. Die „Bürgerbewegung der Moskauer Eltern“, die „Bewegung Mossowet“ und die „Inlineskater Moskaus“ sammeln Unterschriften gegen das Projekt. Sie veranstalten Protestaktionen und kontrollieren die Qualität der Straßenarbeiten. Sie weisen auf die schlechte Substanz der Kunststeinplatten und die fehlende Qualifikation der Billigarbeiter hin, die diese verlegen. Bereits jetzt bröckeln viele der frisch gelegten Fliesen.
Mit Grauen denken viele Moskauer an den kommenden Winter, denn auf den Fliesen bildet sich eine dickere Eisschicht als auf Asphalt. Auch die Rollstuhlfahrer protestieren: Moskau ist ohnehin keine behindertenfreundliche Stadt, sagt die Pressesprecherin der Moskauer Abteilung des Allrussischen Verbandes der Behinderten Nadeschda Lobanova. Nun wird es für sie noch schwieriger, sich fortzubewegen. Einige Moskauer Frauen, die gerne Schuhe mit hohen Absätzen tragen, befürchten, auf dem schlecht gepflasterten Bürgersteigen hinzufallen.
Nun wurde auch noch öffentlich, dass die Straßenarbeiten nicht bis Ende August fertig gestellt sein werden. Die Steinvorräte sollen bereits zu Ende sein. Lediglich ein Drittel der geplanten Arbeit ist gemacht worden, im nächsten Jahr geht es weiter. Vorausgesetzt, die bereits gelegten Kacheln überstehen den Winter.