Kroatien

„Die EU ist unser einziger Weg”

ostpol: Herr Schmidt, das Filmfestival Cottbus zeigt in diesem Jahr vier Produktionen von Ihnen, die die Geschichte Kroatiens seit den späten 1980-er Jahren bis heute widerspiegeln. In „Rückkehr nach Vukovar“ porträtieren Sie eine Familie, die während des Unabhängigkeitskrieges von serbischen Streitkräften und Milizen aus ihrer Heimatstadt Vukovar vertrieben wird. Was hat Ihnen geholfen, den Krieg zu überstehen?

Branko Schmidt: Ich komme aus dem Osten Kroatiens, nahe der serbischen Grenze. Die Menschen in meiner Heimat Osijek mussten sehr viel leiden. Meine Familie gehört zur deutschen Minderheit. Als der Krieg ausbrach, lebte ich mit meiner Frau in Deutschland. Ich konnte aber nicht einfach hier sitzen und zusehen, was in Kroatien passiert. Ich habe die Kamera in die Hand genommen und von 1991 bis 1992 an vorderster Front etwa 20 Dokumentationen gedreht. Ich habe an die kroatische Unabhängigkeit geglaubt und gedacht, dass wir besser leben würden, wenn wir uns von Jugoslawien trennen.


Branko Schmidt, 1957 im kroatischen Osijek geboren, drehte bereits mit 14 Jahren seine ersten Amateurfilme. Anschließend studierte er Regie an der Filmhochschule in Zagreb. Zu seinen 17 Filmen zählen neben Fernsehproduktionen und Dokumentationen auch neun abendfüllende Spielfilme und TV-Serien für Kinder. Branko Schmidt arbeitet zudem als Theater-Regisseur. Sein aktuelles Werk „Cannibal Vegetarian“ geht als kroatischer Beitrag ins Rennen um den Oscar für den besten nichtenglischsprachigen Film. Der 55-jährige Regisseur lebt in der Nähe von Zagreb.


Haben sich Ihre Hoffnungen erfüllt?

Schmidt: Nein. Das spiegeln auch meine vier Filme wider, die in Cottbus gezeigt werden. In meinem Debüt habe ich die Anfänge der nationalen Bewegung in Kroatien dargestellt. In „Rückkehr nach Vukovar“ leiden die Menschen, hoffen aber, dass es besser wird. Dann kommt die Zeit der Nostalgie. In meinem neusten Film „Cannibal Vegetarian“ kollabieren die Hoffnungen.

In „Cannibal Vegetarian“, der für den besten Auslands-Oscar ins Rennen geht, arbeiten Regierungsmitglieder, Verbrecher und ein korrupter Gynäkologe Hand in Hand. Ist das typisch für die kroatische Gesellschaft?

Schmidt: Korrupte Mediziner sind in anderen Ländern eher untypisch. Sie würden in Deutschland sicher nicht ins Krankenhaus gehen und den Arzt für seine Hilfe bezahlen, bei uns hier ist das normal. Außerdem ist mein Drehbuchautor selbst Gynäkologe. Der Kern des Filmes basiert auf wahren Begebenheiten aus Krankenhäusern.

Warum ist die Korruption in Kroatien so präsent?

Schmidt: Weil die Polizei korrupt ist und niemand sie verurteilen würde. Auch die Mitarbeiter in Verwaltungen und der Justiz sind bestechlich. Sie alle fühlen sich total sicher. Jeden Tag berichten die Zeitungen von neuen Verstrickungen zwischen Politik und organisiertem Verbrechen. Korruption ist unser Krebs. So kommt das ganze System zum Erliegen. Ich denke, dass wir deshalb Teil der EU werden müssen. Dort gibt es Regeln. Es gibt keinen anderen Weg für Kroatien, um ein normales Land zu werden.

Was denken die Kroaten über den EU-Beitritt?

Schmidt: Die Hälfte der Kroaten sind Euroskeptiker. Sie kommen aus allen Gesellschaftsschichten. Die jungen Menschen stehen Europa meist offen gegenüber, auch weil sie in ihrer Heimat keine Perspektiven haben. Kroatien steckt in einer Wirtschaftskrise, die jungen Leute finden keine Arbeit. Es gibt eine ganze verlorene Generation, die auswandert nach Australien, Kanada und Deutschland.


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