Ungarn

Abendschule - Fibel für Erwachsene

Chemie - Leibesertüchtigung - Wechselersetzung

Ihr Haar ist verschwitzt, ihre Trikots, ihre Schuhbänder. Sie spielen Pingpong. Ein hartes Match, es geht um etwas. Die Namen der Spieler sind: Charlotte (im Freundeskreis: Schatzi), Eduard (im Freundeskreis: Dudi), Ottilie (im Freundeskreis: Otti) und Otto (im Freundeskreis: Hauptmann).

Der Name des Freundeskreises im Freundeskreis ist: die Kontrollgruppe. Das Spiel läuft seit Stunden, ebenso der Schweiß die Rücken hinab. Service hier, Platztausch dort. Die Chemie zwischen ihnen stimmt, denkt Dudi. Er verengt die
Augen zu einem Schlitz, wenn er den Ball schlägt. Er schlägt ihn, als hinge viel davon ab. Er schlägt ihn, dass es weh tut. Schatzi, verfickt, rück mir nicht so auf die Pelle, wenn ich serviere, sagt Dudi. Die Situation fängt an, ihn zu ärgern, sehr sogar. In der Kontrollgruppe sind sie die Unschlagbaren, die Musterpaarung, das Schaudirdiemalan-Duo. Und jetzt kommt diese Niete mit ihrem kleinen Findelkind daher und versucht, sie plattzumachen. Und es gelingt ihnen. Konzentrier dich, verdammt. Nicht, dass der Hauptmann mit dieser Schmallippigen noch den Sieg einstreicht.

Wen der alles daherbringen kann. Das nächste Mal taucht er mit einer Nonne auf. Die macht einen nur befangen mit ihrem verträumten, gutmütigen Lächeln, man überlegt es sich zweimal, bevor man in ihrer Gegenwart flucht. Und wie soll man so spielen, wenn man statt des Spiels auf die Scheiße achten muss. Das fehlt noch. Drauf geschissen. Soll sie sich anpassen und sich freuen, wenn wir sie in den Freundeskreis aufnehmen. Wenn. Denn so weit ist es noch lange nicht.


Wenn sie einen nicht so anglotzen würde!

Die Baronesse zum Beispiel hat eine ausgesprochen negative Meinung von ihr, und wenn die Baronesse an jemandem was auszusetzen hat, dann hat derjenige einen mehr als schweren Stand. Natürlich hat die Baronesse mit ihren fünfzig Lenzen an jeder was auszusetzen, die unter dreißig ist. Ich mag den Hauptmann, aber wenn es so weit kommen sollte, sage ich ihm, er soll seine kleine Holzfotze woanders grasen lassen. Wenn sie einen nur nicht immer so anglotzen würde, mit ihren großen, braunen Augen. Geht mir auf die Nerven. 11:6 für sie. So wird das nichts. Netz! Scheiße aber auch.

Hm, denkt Schatzi. Scheinbar stimmt die Chemie zwischen ihnen. Das Zusammenspiel ist gut, aber ob sie auch gut zueinander passen . . . Kante! Na endlich, einmal kann auch mir das Glück zulächeln, sorry, meine Lieben, tut mir total leid. Beide sind so präzise, so nett, das hilft natrlich beim Zusammenspiel. Obwohl mir die Kleine ein bisschen verdächtig vorkommt, sie wirkt wie jemand, der in bestimmten Mischungen explodiert, bis dahin aber vollkommen harmlos erscheint. Wie jedes gegen sich selbst einen Bezug hat, so muss es auch gegen andere ein Verhältnis haben. Und das wird nach Verschiedenheit der Wesen verschieden sein.

Eigentlich sind die verwickelten Fälle die interessantesten. Erst bei diesen lernt man die Grade der Verwandtschaften, die nähern, stärkern, entferntern, geringern Beziehungen kennen; die Verwandtschaften werden erst interessant, wenn sie Scheidungen bewirken. Service hier, Platztausch dort! Gleich gewinnen sie den Satz. Dudi tobt natürlich, aber bis jetzt hat er sich noch ganz gut im Griff. Ein wütender, platzender Mann kann so erbärmlich sein; tränenreiche Männer sind gut. Die Scheidungen hervorbringenden Verwandtschaften hat man frher Scheidekünste genannt – charmant. Obwohl,was das anbelangt, das Vereinigen ist eine größere Kunst. Denn wer könnte nicht etwas scheiden? Alles nur eine Frage der Kraftanstrengung.


Die Chemie zwischen ihnen stimmt

Es strapaziert schon ein bisschen die Nerven, wie der Hauptmann und sein kleiner Liebling mich stänädig fixieren. Beide haben große, braune Hundeaugen, eine komische Ähnlichkeit. Oder sind es gar nicht die Augen, die ähnlich
sind, sondern etwas anderes? Aber was? Na, die erste Runde haben sie, 21:18. Dabei haben wir ganz gut aufgeholt. Dudis permanentes Wüten stört mich allerdings in der Konzentration. Und noch was anderes. Aber was?

Die Chemie zwischen uns stimmt, denkt der Hauptmann, aber ist das ein ausreichender Grund, glücklich zu sein? Wie jedes gegen sich selbst einen Bezug hat, so muß es auch gegen andere ein Verhältnis haben. Und das wird nach Verschiedenheit der Wesen verschieden sein. Bald werden sie sich als Freunde und alte Bekannte begegnen, die schnell zusammentreten, sich vereinigen, ohne aneinander etwas zu verändern, wie sich Wein mit Wasser vermischt.
Aber sindWasser und Wein für sich nicht edler denn ein Gespritzter?

Na, das saß, 1:0 für uns. Aber darum geht es ja: Braucht man eine Vereinigung, die nichts Neues hervorbringt? Sollten wir uns wirklich wünschen, dass nichts und niemand etwas an uns ändert? Sollten wir derart erfüllt sein von unserer eigenen Vollkommenheit? Sollten wir derart an der Unveränderlichkeit hängen? Sind es denn nicht gerade die Veränderungen, die ein Leben erträglich machen? Ist es nicht die Veränderung, die uns in die Zeit hineinwirft,
die das Sein spürbar macht, anstatt dass wir gefangen wären im ewigen Kreislauf? Würde jeder Tag derselbe sein, wäre nicht der Tod wünschenswerter? Otti und ich, wir haben uns problemlos vereint, wie Wein und Wasser, und das Ergebnis ist in der Tat: ein schwacher Gespritzter. Netz!


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