Russland

Gesteinsbrocken am Himmel

Alle sprechen sie von gleißendem, unwirklichem Licht. Von einem verstörenden Feuerball am Himmel. An diesem eigentlich schummrigen Morgen, so schummrig, wie eben ein Wintermorgen sein kann, auch am Ural, in der Region Tscheljabinsk, fast 1.500 Kilometer von Moskau entfernt.

Doch plötzlich ist in der Stadt, in den Dörfern, den Schulen, Fabriken und Krankenhäusern, in der ganzen Region, wo mehr als vier Millionen Menschen leben, nichts mehr typisch. „Meteoritenregen“, meldet das örtliche Katastrophenschutzamt am Mittag. Da kehren die Menschen noch die Überbleibsel der durch die enorme Druckwelle zerborstenen Fensterscheiben in ihren Wohnungen zusammen.


Ein Schutzssystem muss her

In Krankenhäusern verbinden Ärzte die Wunden der kosmisch Getroffenen. Mindestens 500 Verletzte gibt es, die meisten kommen mit Schnittwunden zum Arzt. Kinder sind aus den Schulen nach Hause geschickt worden, zu kalt sei es ohne Fenster, draußen herrschen minus 18 Grad. Die Stadt ruft den Notstand aus, Gebietsgouverneur Michail Jurewitsch bricht seine Dienstreise nach Moskau ab.

Ein Meteorit war in den Morgenstunden in die Erdatmosphäre geschossen – und überrascht gegen 9.20 Uhr Ortszeit (4.20 MEZ) Menschen und Behörden in der Region gleichermaßen. Schon spricht sich Russlands Vizeregierungschef Dmitri Rogosin für eine internationale Initiative zur Errichtung eines Schutzsystems aus, mit dem nicht nur frühzeitig vor gefährlichen Objekten aus dem Weltall gewarnt, sondern diese auch zerstört werden können.

Während in sozialen Netzwerken Witze vom Weltuntergang und „Armageddon in Tscheljabinsk“ die Runde machen, rätseln Wissenschaftler über die Ursache des „Regens“ in fünf russischen Regionen und Kasachstan. Nach Angaben deutscher Weltraumexperten habe er nichts mit dem 50 Meter großen Asteroiden 2012 DA14 zu tun, der am gestrigen Freitagabend knapp an der Erde vorbeigerast ist – in 28.000 Kilometern Höhe. In kosmischen Maßstäben ist das ein Beinahe-Zusammenstoß.


Atomanlagen nicht getroffen

„Dass Meteoritenteile zu einer bestimmten Zeit auf die Erde fallen, kann man voraussagen - aber wo und in welchem Ausmaß sie eintreffen, weiß man nicht“, sagt Andrej Lukaschew von der Moskauer Staatsuniversität. Der jetzige Meteorit schlug in den See Tschebarkul etwa 80 Kilometer westlich von Tscheljabinsk ein. Nach Angaben der Gebietsverwaltung waren sieben Flugzeuge und 20.000 Angehörige des Zivilschutzes im Einsatz.

Atomanlagen der Gegend seien nicht zerstört worden, versichert der Staatskonzern Rosatom. Vor zehn Jahren war ein vergleichbarer Meteoritenregen im Norden der Region Irkutsk niedergegangen. „Solch‘ schwere Meteoriten fallen vielleicht alle 20, 30 Jahre auf die Erde“, sagte der Tscheljabinsker Astrophysiker Sergej Samosdra der russischen Internetzeitung gazeta.ru.

Verwackelte Videoaufnahmen und Bilder zeigen einen weiß-grauen Schweif über den Plattenbauten der Stadt. „Ich sah grelles Licht, spürte danach einen enormen Donner und kauerte mich vor Schreck auf dem Autoboden zusammen“, berichtete ein Augenzeuge im Staatsfernsehen. Ein anderer zeigte den Kameraleuten die zerborstenen Scheiben, heruntergefallene Blumentöpfe und Küchentassen in seinem Büro. Der Schreck sitze ihnen noch allen in den Gliedern.


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