Litauen

Miteinander reden – aber wie?

Vilnius (n-ost). Wie soll das weitergehen? „So nicht“, hat sie Klaus Bischoff bereits vor einigen Jahren gesagt. Er ist schon lange Konferenzdolmetscher bei der EU-Kommission und arbeitet dort in der dänischen Kabine. Vor einigen Jahren hat er den sogenannten „Baltic Desk“ gegruendet, sozusagen ein Soforthilfe-Programm für die baltischen Staaten. Sein Ziel: spätestens bis zum EU-Beitritt genügend geeignete Dolmetscher aus Litauen, Lettland und Estland zu rekrutieren. Keine leichte Aufgaben, wie er schon in den vergangenen Jahren feststellen musste. Trotzdem will Bischoff bei der Qualität keine Kompromisse eingehen: „Dolmetschen ist nicht gleich Dolmetschen, und was wir bei der Kommission brauchen, sind hoch qualifizierte Konferenzdolmetscher“.

Das leuchtet unmittelbar ein, wenn man einmal die Arbeit der Dolmetscher bei der Kommission unter die Lupe nimmt. Während man sich im Europäischen Parlament in politischen Debatten mit ausgefeilter Rhetorik ergeht, dreht es sich in die Brüssel um die harten Fakten. Hier wird all die technische Detailarbeit geleistet. Oft weiß der Dolmetscher am Vorabend noch nicht, in welchen Ausschuss es ihn am nächsten Tag verschlägt. „Das kann dann am Morgen Milchwirtschaft sein, am Nachmittag Architektur, und dann noch mal Telekommunikation“, erklärt Bischoff. „Die Dolmetscher müssen deshalb zwar noch keine Fachleute sein, aber sie sollen doch verstehen können, worum es geht und das verarbeiten. Absolute Sprachprofis eben.“

Für die Dolmetscher aus den EU-Beitrittsländern gelten sogar noch verschärfte Bedingungen. Normalerweise arbeiten die EU-Dolmetscher nur aus den verschiedenen Sprachen der Union in ihre eigene Muttersprache. Bei Litauisch, Lettisch oder Estnisch wird das problematisch, denn wer spricht im „alten“ Europa schon diese Sprachen? Deshalb werden die Dolmetscher aus diesen Laendern vorerst auch in die großen EU-Sprachen arbeiten muessen, am Besten ins Englische, Deutsche oder Französische. Und zu allem Überfluss erwartet man von ihnen auch noch, dass sie diese Sprachen beherrschen wie Muttersprachler. Was das heißt, kann jeder beurteilen, der schon einmal verursacht, im Ausland mit seinen Fremdsprachenkenntnissen als Einheimischer anerkannt zu werden...

An der Universität Vilnius hat man das große Glück, dass es am Lehrstuhl direkt mehrere deutsche und französische Muttersprachler gibt, die bei der Ausbildung helfen können. Die werden allerdings nicht von der Universität vor Ort bezahlt. Die beiden deutschen Lektoren sind Teilnehmer des Lektorenprogramms der Stuttgarter Robert Bosch Stiftung. Die französische und die belgische Lektorin haben jeweils Stipendien ihrer Regierungen. In der englischen Abteilung sieht es schon schlechter aus, weil bisher weder britische noch amerikanische Einrichtungen ähnliche Unterstützung zur Verfügung stellen. Und die Universität selbst hat schlicht kein Geld, um ausländische Lektoren mit attraktiven Angeboten nach Litauen zu locken.

Dabei ist diese Art der Förderung von Fremdsprachenkenntnissen sowie die hohen Maßstäbe an die Sprachkompetenz mehr als angemessen, denn schon so funktioniert das Dolmetschen bei der Union haeufig nach „Stille-Post“-Prinzip, weil nicht alle Dolmetscher alle Sprachen sprechen. Gintaras Morkunas ist in Litauen Dolmetscher für Französisch und gerade von einem Einsatz aus Brüssel zurückgekehrt. Auch er kann ein Lied davon singen, wie schnell sich Fehler in der Verdolmetschung potenzieren können und wie häufig in Verhandlungen durch die unendlich vielen aufeinander folgenden Übersetzungen manchmal der Inhalt einer Rede auf den Kopf gestellt wird: „Diesmal ging es um Verhandlungen über die Beitrittsbemühungen Rumäniens. In diesem Zusammenhang wurde dann diskutiert, was in der Zukunft mit den Atomkraftwerken geschehen soll. Der rumänische Delegierte wurde erst ins Englisch gedolmetscht. Die französischen Dolmetscher, von denen keiner Rumänisch sprach, hörten den englischen Dolmetschern zu und übersetzten deren Version weiter ins Französisch. Ich habe dann das Französisch ins Litauische gedolmetscht. Schon auf halbem Wege durch die Dolmetschkabinen hatte sich die Zahl der Atomkraftwerke verdoppelt. Das stellte sich heraus, weil es plötzlich zu Aufruhr und Verwirrung unter den Delegierten kam. Dann berichtete ein litauischer Abgeordneter von den schwierigen Verhandlungen Litauens über die Stilllegung der beiden Reaktoren des Kraftwerks in Ignalina (Bedingung für den EU-Beitritt Litauens war, dass dieses Atomkraftwerk vom Bautyp des Tschernobyl-Reaktors aus Sicherheitsgründen bis 2009 stillgelegt werden muss, Anmerk. d. A.). Was bei den rumänischen Kollegen ankam, war: ‚Man sollte lieber ein neues Atomkraft bauen, statt zwei zu schließen’.“

„Was bei technischen Themen alles daneben gehen kann, ist gar nicht vorzustellen“, bestätigt Vytautas Vaisnoras, Lehrstuhlleiter am Institut für Übersetzen und Dolmetschen der Universität Vilnius. „In diesen Verhandlungen wird alles diskutiert bis zur letzten Schraube“. Deshalb versucht er an seinem Institut auch, in der Ausbildung der Dolmetscher die verschiedensten Themen abzudecken. Geduldig plagen sich die Studierenden durch Diskont- und Lombardsätze, führen medizinische Untersuchungen durch und verhandeln über die Bedingungen des EU-Beitritts.

In Vilnius ist 1996 der Lehrstuhl für Übersetzen und Dolmetschen gegründet worden. Dort hat man sich von der traditionellen Germanistik, Anglistik oder Romanistik getrennt und konzentriert sich ausschließlich auf die Ausbildung von Übersetzern und Dolmetschern, „Konferenzdolmetschern“, wie Vaisnoras immer wieder betont. Eine ähnliche Entwicklung gab es in Estland, wo sich ebenfalls ein Professor von den alten Philologien losgesagt hat, um sich an der Pädagogischen Hochschule Tallinn einzig und allein auf Dolmetschen und Übersetzen zu spezialisieren. In Lettland dagegen sieht es momentan, zumindest für die Ausbildung von Dolmetschern mit Deutsch als Fremdsprache, etwas heikler aus. Zwar stellt man auch dort fest, dass die Philologie in eine Sackgasse geraten ist und neue Arbeitsfelder erschließen muss, wenn sie attraktiv bleiben will. Dennoch hat diese Erkenntnis allenfalls dazu geführt, dass verschiedene Universitäten vereinzelt Dolmetsch- oder Übersetzungskurse anbieten, um im Kampf um die Studenten die Nase vorn zu haben. Vielerorts werden die Lehrkräfte, auch altgediente und nicht mehr ganz junge Dozenten, sogar dazu „gezwungen“, solche Veranstaltungen anzubieten – ob sie das Knowhow dazu besitzen oder nicht. So ist es zum Beispiel Inta Vingre und Ludmila Nalenko an der Universität Daugavpils ergangen: „Plötzlich hieß es, wir sollen ab nächstem Semester Dolmetschen anbieten, aber wir haben eigentlich keine Ahnung, wie man das macht.“ Hier ist guter Rat teuer, denn eine „Monopolisierung“ des Wissens und der Methoden hat zumindest für die Ausbildung von Deutsch-Dolmetschern in Lettland noch nicht stattgefunden.

„Manchmal verstehe ich das nicht“, seufzt Klaus Bischoff. „Hier könnte man wirklich Leute ausbilden, die dann Top-Jobs bekommen können, viel Geld verdienen. Eigentlich eine Super-Chance“. Dabei schaut er auf die Ausschreibungsunterlagen für die nächsten Aufnahmeprüfungen für EU-Dolmetscher. Die finden für die baltischen Länder Ende Juni statt. Vielleicht kann er dann endlich einmal mit guten Nachrichten im Gepäck nach Hause fahren.


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