Litauen

EU-Referendum in Litauen

Vilnius (n-ost). Nachdem die litauischen Politiker sich monatelang darauf beschränkt haben, die Europäische Union als den Teil des Kontinents zu beschreiben, auf dem Milch und Honig fließt, kämpfen sie jetzt mit härteren Bandagen. Massive Informationskampagnen, eine Verlängerung des Abstimmungszeitraums auf zwei Tage und schließlich sogar eine Änderung des Volksabstimmungsgesetzes sollen dafür sorgen, dass das EU-Referendum auf keinen Fall zum Misserfolg wird.

Und tatsächlich wird die Sache langsam heiß: In nur wenigen Wochen, am 10. und 11. Mai, findet in Litauen das Referendum über den EU-Beitritt statt, und von Tag zu Tag wird die litauische Regierung nervöser. Zwar liegt die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft in den Umfragen inzwischen bei 66 Prozent - Tendenz steigend - und damit höher als in den beiden anderen baltischen Staaten Lettland und Estland. Aber dennoch weiß man, dass die Litauerinnen und Litauer immer für eine Überraschung gut sind. Nur zu genau erinnert man sich an die vergangenen Präsidentschaftswahlen im Januar. Damals lag die Wahlbeteiligung bei nur 52 Prozent; angeblich hatten die arktischen Temperaturen von bis zu minus 30 Grad die Litauer davon abgehalten, sich auf den beschwerlichen Weg in die Wahllokale zu machen. „Wahrscheinlich heißt es dann diesmal, sie mussten irgendwas aussäen oder sich um ihre Kartoffeln kümmern“, spottet die Vilniusser Studentin Ausra Miltenyte. Aber auch für sie waren die Wahlergebnisse unerwartet. Ihr Kommilitone Justinas Racinskas bestätigt: „Hier in Vilnius haben alle, die ich kenne Adamkus gewählt. Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte.“ Dabei war genau das der Knackpunkt: Während in den größeren Städten der zu derzeit amtierende Präsident Valdas Adamkus eindeutig vorne lag, lief ihm der Liberaldemokrat Rolandas Paksas mit prominenten Themen wie Sicherheit und Armutsbekämpfung in den ländlichen Gebieten mit großem Vorsprung den Rang ab.

Diese beiden Handicaps bestehen weiter: Die allgemeine Trägheit und das starke Stadt-Land-Gefälle könnten auch diesmal dazu führen, dass sich einige über die Ergebnisse wundern werden. Tatsächlich ist die Sorge um die Wahlbeteiligung größer als die um ein positives Votum. Grundlegende Unklarheiten sind außerdem dadurch entstanden, dass sich bisher die Angaben über die Zahlen der Wahlberechtigen widersprechen: Während die Oberste Wahlkommission von 2,7 Millionen wahlberechtigen Litauern ausgeht, spricht die Umfrageorganistion „Vilmorus“ von gerade einmal 2 Millionen. Außerdem steht zu befürchten, dass die zahlreichen Litauer, die im Ausland leben – in den meisten Fällen illegal – sich nicht an der Abstimmung beteiligen werden. Und sogar soziale Randgruppen sind durch die Problematik inzwischen vermehrt ins Scheinwerferlicht gerückt. „Gestorbene Seelen auf der Stimmenwaage“, titelte am 2. April die Zeitung „Lietuvos Rytas“. Damit meint sie die sehr wohl wahlberechtigten, aber vermutlich nicht wahlwilligen Obdachlosen des Landes, die teilweise unter bedauernswerten Umständen in Baracken am Stadtrand, auf den Dörfern oder gar auf Müllhalden hausen.

Damit diese „gestorbenen Seelen“ nicht auch zu „gestorbenen Stimmen“ werden, haben sich Regierung und Parlament nun gleich zwei Neuerungen einfallen lassen. Zum einen wurde der Zeitraum für die Stimmabgabe auf zwei Tage verlängert – damit auch wirklich niemand die Abstimmung verschläft und ganz sicher Zeit hat, sein Kreuz in das „Ja“-Kästchen zu setzen. Und Ende Februar hat das Parlament schließlich noch eilig eine Gesetzesänderung beschlossen: Bisher war eine Volksabstimmung nur gültig, wenn sich 50 Prozent der wahlberechtigten Litauer daran beteiligen und außerdem 30 Prozent aller Wahlberechtigen mit „Ja“ stimmen. Nach der neuen Regelung müssen zwar immer noch 50 Prozent der Wahlberechtigen zur Abstimmung erscheinen, aber nur noch die Hälfte aller teilnehmenden Wähler ihre Zustimmung geben, d.h. effektiv 25 Prozent der Wahlberechtigten.

Ansonsten lautet die Strategie: Information, Information, Information. Ganz gezielt und den am häufigsten diskutierten Problemen entsprechend richten sie sich an die litauischen Landwirte, die Jugendlichen, die Mütter, die Rentner und die Arbeitslosen - sprich an alle, die sich vom EU-Beitritt Vorteile erhoffen und Nachteile befürchten. Von allen Seiten hagelt es nun Europa-Werbung. Seit Anfang April tuckert der „Eurobus“ durchs Land. An Bord eine Europa-versierte Besatzung, deren Aufgabe es ist, die Leute auch in den etwas abgelegeneren Gebieten des Landes über die EU zu informieren. Denn der Ruf nach Bürgernähe wird immer lauter. Erst kürzlich beschwerte sich die eher konservative Tageszeitung „Respublika“, dass der EU-Beitrittsvertrag zwar ins Litauische übersetzt und veröffentlicht sei, ihn aber der Großteil der Bevölkerung schlicht nicht lesen geschweige denn verstehen könne.

Klarer ist da die Botschaft einer Kampagne des Europakomitees der litauischen Regierung: „Bukime Europieciai“ – „Lasst uns Europäer sein“, schallt sie den Litauern an jeder Bushaltestelle, jeder Litfass-Säule entgegen. Dazu das Bild einer glücklichen schwangeren Frau; an der Hand hält sie ihren 5jährigen Sohn, und zuversichtlich lächelnd sagt sie in die Kamera: „Ich möchte vier davon“. Die kurze Bildunterschrift erläutert: Die Mitgliedschaft in der EU bedeutet soziale Sicherheit. Es wird für Frauen leichter sein, sich selbst zu verwirklichen, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen, Mutterschaftsurlaub zu bekommen. Eine andere Zielgruppe dieser Plakataktion: die Landwirte. Da steht er, ein gestandener Bauer mit wettergegerbten Gesicht, hinter ihm auf einem Traktor sein kleiner Sohn und sagt: „Ich will, dass mein Sohn auch Bauer wird.“ Wie in den meisten anderen Beitrittsländern ist auch in Litauen die Sorge um die Zukunft der Landwirtschaft groß. Deshalb versichert auch hier der Informationstext: In der EU werden unsere Bauern Direkthilfen bekommen, daher ist jegliche Zukunftsangst unbegründet. Und damit auch das jugendliche Klientel das Referendum nicht versäumt, zeigt ein weiteres Motiv eine Partygemeinschaft fröhlicher Teenager, denen versprochen wird: In der EU könnt ihr überall studieren, reisen, wohin ihr wollt und eure Träume verwirklichen.

Wie diese Aktion verfolgen auch die meisten anderen Kampagnen das Ziel, die Menschen von den Vorteilen der Mitgliedschaft zu überzeugen. Dabei versuchen sie, denen am weitesten verbreiteten Ängsten der Menschen zu begegnen und appellieren dabei vor allem an deren Vernunft. „Was, wenn wir der EU nicht beitreten?“, lautete der überraschende Titel eines Informationsheftchens des Informationszentrums der EU-Delegation in Litauen. Eine rhetorische Frage, denn dem Titelblatt folgen 20 bunt bebilderte und eng beschriebene Seiten, die erklären, warum das eigentlich gar nicht möglich ist. Als Beweis dienen umfangreiche Tabellen über zukünftige Finanzhilfen, Agrarquoten und Erfolgsgeschichten wie die der Entwicklung Irlands nach seinem EU-Beitritt im Jahr 1973.

Mehr an Werte und Grundprinzipien appelliert eine EU-Broschüre für die über zwei Millionen litauischen Katholiken, die zur Zeit in den unzähligen Kirchen des Landes ausliegt. Dass überhaupt versucht wird, die Bevölkerung über diesen Kanal zu erreichen, mag den Westeuropäer verwundern. In Litauen ist jedoch die Meinung der Kirche durchaus noch entscheidend. „Wenn der Pfarrer auf dem Land den Leuten in der Kirche sagt, sie sollen so oder so abstimmen, dann machen die das“, weiß die Studentin Asta Murauskaite, die selbst aus einem kleinen Dorf kommt. So meldet sich denn schon im Vorwort dieses Heftchens die gesamte kirchliche Prominenz Litauens mit einem „Liebe Gläubige!“ zu Wort, und im Interview orakelt Seine Eminenz Kardinal Audrys Juozas Backis: "Wie wir in Litauen leben werden und was im 21. Jahrhundert bei uns auf den Tisch kommt, hängt vom Referendum am 10. und 11. Mai ab." Natürlich darf in einer solchen Veröffentlichung auch der Papst nicht fehlen, der die Europäische Union als Garant des Friedens bezeichnet und von der Unterstützung der Großen für die Kleinen spricht. Und da die Kirchgänger in Litauen wie in den meisten Ländern dieser Erde nicht immer die Jüngsten sind, widmet das Heft auch den Rentnern noch einen Extra-Absatz, allerdings mit einer überraschenden Versprechung: „Dass es den Rentnern in der EU gut geht, sieht man daran, wie viele von ihnen jedes Jahr hierher in Urlaub fahren. Der Tag wird kommen, an dem unsere Rentner sich in Spanien oder Bayern erholen und Bier trinken.“

Eins aber haben all diese Veröffentlichungen gemeinsam: In bester didaktischer Manier können die Leser am Ende ihrer Lektüre noch einmal überprüfen, was sie denn nun über die EU gelernt haben. Wunderbar übersichtlich und in gelb und blau gehalten finden sie jeweils auf der letzten Seite das große EU-Kreuzworträtsel: "Welche europäische Stadt könnte man als Hauptstadt der EU bezeichnen? EU-Land, berühmt für seine Tulpen und seinen Käse? Name des spanischen Präsidenten? Gar nicht so leicht... Aber immerhin ist das Lösungswort schon vorgegeben. Es lautet "Europos Sajunga" - "Europäische Union".


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