Tschechien

Eine Frau als letzter Pfeil im Köcher

In tiefsten Krisenzeiten scheint in Tschechien alles möglich: Die von reichlich Machos geprägte Politikergilde der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) nominiert eine Frau für das Amt des Regierungschefs. Miroslava Nemcova könnte die erste Premierministerin des Landes werden.

Es ist der 61-jährigen Politikerin aus Südmähren nicht leicht gefallen, dem Ruf der Parteiführung zu folgen. Aber nach Rücksprache mit ihrer Familie sagte sie doch zu. „Ich bin jetzt 15 Jahre Abgeordnete. Es ist kein schlechter Zeitpunkt, gerade jetzt etwas zurückzugeben, was ich immer bekommen habe: Vertrauen und Unterstützung“, sagte sie nach ihrer Nominierung.

Als man sie im vergangenen Jahr überreden wollte, für das Präsidentenamt zu kandidieren, hatte sie der ODS noch einen Korb gegeben. Dabei hätte sie sich gute Chancen ausrechnen können. Nemcova ist seit Jahren bei den Wählern sehr beliebt. Sie unterscheidet sich in einem Punkt ganz wesentlich von fast allen ihren männlichen Kollegen aus der ODS-Führungsriege: Sie ist nicht im Geringsten durch einen Skandal belastet. Logisch, dass die oppositionellen Sozialdemokraten sie sofort als „Feigenblatt“ für ihre korrupten Kollegen herabzuwürdigen versuchten.


Niemand der kuscht

Die Mutter eines Arztes, die seit ihrem 18. Lebensjahr mit ihrem Mann zusammen ist, ist niemand, der kuscht. Zwar bemühte sie sich als Parlamentspräsidentin, mit allen Parteien im Abgeordnetenhaus gut auszukommen. Aber sie kann auch auf den Tisch hauen. So legte sie sich wiederholt mit dubiosen Praktiken von Parteifreunden an und kritisierte auch als einzige aus der ODS massiv den Deal zwischen Premier Necas und den drei Rebellen der ODS, die ihr Mandat aufgaben und dafür mit lukrativen Posten in halbstaatlichen Unternehmen „abgefunden“ wurden. Eben jenen Deal, gegen den derzeit Ermittlungen laufen, die in Tschechien beispiellos sind.

Sie hat sich auch mit dem jetzigen Präsidenten Milos Zeman angelegt und den Stil seiner Kampagne vor der Stichwahl gegen Karel Schwarzenberg scharf kritisiert. Befürchtungen, dass Zeman sich jetzt dafür rächen und sie nicht zur Regierungschefin ernennen könnte, hat sie nicht: „Ich vertraue auf seine Professionalität. Persönliche Dinge dürfen keine Rolle spielen, wenn es um das weitere Schicksal des Landes geht“, sagte sie am Donnerstag in einem Zeitungsinterview.


Nemcova – Eine Kämpferin

Dass sie kämpfen kann, hat sie auch in ihrem Leben vor der Politik bewiesen, als sie eine Krebserkrankung überwand. Nach der Samtrevolution 1989 verzichtete sie auf die ihr zustehende Invalidenrente und verwirklichte ihren Traum von einem kleinen eigenen Buchladen. 1994 ging sie schließlich in die Politik und ist seit 1998 durchgängig Mitglied im Abgeordnetenhaus, seit 2010 ist sie Parlamentspräsidentin.

Für Nemcova spricht ihre Erfahrung in der Politik. Gegen sie, dass sie immer nur Funktionen im Parlament hatte, auch wenn ihr das auf internationalem Parkett helfen dürfte. Sie hat aber nie einer Regierung angehört und gilt auch nicht eben als Wirtschaftsexpertin. Allerdings ist sie der letzte Pfeil, den die ODS im Köcher hat. Sollte sie nun Regierungschefin werden, ergibt sich jedoch automatisch ein anderes Problem: Dann müsste sich Tschechien einen neuen Parlamentspräsidenten suchen.


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