Ukraine

Feilschen um Julia Timoschenko

In die Geheimnisse der Geopolitik Osteuropas war US-Rocker Jared Hasselhoff sicher nicht eingeweiht, als er sich unlängst im ukrainischen Odessa eine russische Flagge in die Unterhose stopfte. Der Skandal um den Auftritt seiner Band „Bloodhound Gang“ schlug hohe Wellen. Russische Kommentatoren forderten Gulag-Haft für Hasselhoff.

Verräterische Details blieben allerdings unbeachtet: So feuerten die ukrainischen Fans Hasselhoff an; seinem johlenden Publikum raunte der Rocker verschwörerisch zu: „Erzählt das nicht Putin!“ Hasselhoff bediente in Odessa unter Jubel antirussische Ressentiments.


Auch Janukowitsch will sich Moskau nicht unterwerfen

Das sagt viel aus über das Verhältnis zwischen den „slawischen Bruderstaaten“, deren „Blutsbande“ Kremlchef Wladimir Putin erst kürzlich beschworen hat. „Unsere geistige Einheit ist unzertrennlich“, erklärte er auf einer Feier der orthodoxen Kirche in Kiew.

Die meisten Ukrainer sehen das anders. Für sie zählt vor allem die Unabhängigkeit ihrer Nation. „Es gibt niemanden mit Einfluss in diesem Land, der sich wieder der Moskauer Herrschaft unterwerfen möchte“, sagen Eingeweihte, die dem angeblich prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch nahestehen.

Diese Erkenntnis ist von wegweisender geostrategischer Bedeutung. Seit dem Zerfall der Sowjetunion ringt die Ukraine um ihre Rolle zwischen Ost und West. Im Herbst soll eine Entscheidung fallen. Die EU will mit Kiew einen Vertrag über eine enge Anbindung unterzeichnen. Gegen dieses Assoziierungsabkommen macht der Kreml mobil. Putin lockt und droht. Er will die Ukraine in eine postsowjetische Eurasische Union einbinden.


Timoschenko zur OP nach Berlin?

Janukowitsch und die finanzstarken Oligarchen, die hinter ihm stehen, haben sich jedoch gegen Putin entschieden. „Unser Ziel ist die Vollmitgliedschaft in der EU“, sagte Ministerpräsident Mykola Asarow. Den Verantwortlichen in Kiew geht es vor allem um freien Handel. In Brüssel erwartet man dagegen politischen Wandel von der Ukraine. Insbesondere soll Janukowitsch seine Erzrivalin freilassen, die inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko.

In dieser Situation hat zwischen Moskau, Kiew und Brüssel ein heftiges geostrategisches Ringen eingesetzt. Vor allem die Abgesandten des Europaparlaments, der Pole Alexander Kwasniewski und der Ire Pat Cox, entfalten eine rege Reisediplomatie. Soeben besuchten sie Timoschenko im Gefängnis in Charkiw, wo die Oppositionsführerin wegen angeblichen Amtsmissbrauchs eine siebenjährige Haftstrafe verbüßt. Die EU ist überzeugt: Es war ein politisch motiviertes Urteil.


Sie könnte auch ihre Märtyrerrolle im Gefängnis vorziehen

Hinter den Kulissen des Ost-West-Wettstreits ist zu hören, dass Brüssel und Kiew unter Hochdruck an einem „Deal“ arbeiten. Auf dem Tisch liegt eine Vereinbarung, die der rückenkranken Timoschenko die Ausreise nach Berlin erlaubt, wo sie sich einer Operation unterziehen könnte. Janukowitsch würde mit dieser „humanitären Geste“ sein Gesicht wahren. Der Nachteil: Niemand weiß, wie es mit Timoschenko weiterginge. Niemand, der die einstige Revolutionärin in Orange kennt, glaubt daran, dass die Kämpferin zurückstecken könnte.

„Sie wird alles daransetzen, von Deutschland aus Politik zu betreiben“, sagen Insider. Schon deshalb werde die Entscheidung über Timoschenkos Schicksal frühestens nach der Bundestagswahl fallen. Nicht auszuschließen ist auch, dass die Oppositionsführerin die Märtyrerrolle im Gefängnis vorzieht – zumal die Janukowitsch-Regierung von der Timoschenko-Familie Schadenersatz in dreistelliger Millionenhöhe verlangt. Das würde der 52-Jährigen viele Chancen auf ein politisches Comeback rauben.


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