Lettland

Mein Riga

Es war eine plötzliche Erkenntnis, die mich an einem Herbstmorgen vor knapp zehn Jahren ereilte. Ich zog den Vorhang meines Hotelzimmers in der Rigaer Neustadt zur Seite, blickte auf eine geschäftige, vierspurige Straße und wusste, was ich zuvor vermisst hatte, ohne dass es mir richtig bewusst war.


Essen
Der Name „Galerija Istaba“ bedeutet auf Deutsch schlicht „Galerie Zimmer“. Im Obergeschoss der Galerie in der Neustadt befindet sich eines der interessantesten Restaurants Rigas. Eine Speisekarte gibt es nicht, der Koch zaubert aus frischen Zutaten jeden Abend spontan ein neues Gericht, das man als vegetarische Variante, mit Fisch oder Fleisch bestellen kann. Krisjana Barona iela 31a, Tel. +371 67281141. Galerija Istaba auf Facebook

Innehalten
Dom und Petrikirche in der Altstadt gehören ebenso zum Pflichtprogramm in Riga wie die prächtige orthodoxe Christi-Geburt-Kathedrale in der Neustadt. Ein Geheimtipp ist dagegen das Grebentschikow-Gebetshaus der Rigaer Altgläubigengemeinde, dessen Besichtigung nur während der Gottesdienste mit ihren beeindruckenden Gesängen möglich ist. Maza Krasta iela 73. Tram 3, 7 oder 9 bis Haltestelle „Daugavpils iela“

Übernachten
Das Hanza Hotel liegt wenige Gehminuten vom Zentralmarkt entfernt, dessen frische Waren beim Frühstücksbuffet auf den Tisch kommen. Idealer Ausgangspunkt für Erkundungen der Moskauer Vorstadt, und die Preise sind für ein Hotel der gehobenen Klasse mehr als fair. Elijas iela 7, Tel. +371 67796040, www.hanzahotel.lv


Schon einige Monate lebte ich damals in einer sympathischen Kleinstadt im benachbarten Estland. Beim Blick aus dem Fenster auf das pralle Rigaer Leben wurde mir schlagartig klar: Ich bin wieder in einer Stadt, besser noch – in einer Metropole. Heute weiß ich: Riga ist die einzige und wahre Metropole des Baltikums.

Beeindruckende Straßenzüge ganz im Jugendstil

Obwohl sich Riga nur mit großzügig dazu gerechneten Vororten eine Millionenstadt nennen kann, beeindruckt es mich mit seinen vielen ganz im Jugendstil gestalteten Straßenzügen. Für einige der schönsten unter den prachtvollen Fassaden war Michail Eisenstein verantwortlich, Vater des bekannten sowjetischen Regisseurs Sergei Eisenstein. Was der Stadt an der Ostsee an Einwohnern zur Metropole fehlt, macht sie schon allein mit der Zahl der Jugendstilgebäude wett, in der sie Städte wie Barcelona hinter sich lässt.

Doch das gewisse Etwas, das eine Metropole von einer Stadt unterscheidet, hat wenig zu tun mit Größe und Zahlen. Den Geist der Stadt kann man spüren; in den schnurgeraden Straßen der Neustadt ebenso wie in den verwinkelten Gassen der Altstadt. In der Altstadt sehe ich auf Schritt und Tritt, wie stark über Jahrhunderte der deutsche Einfluss auf die Hansestadt war – symbolisch etwa bei den Bremer Stadtmusikanten an der Petrikirche, einem beliebten Foto-Motiv. Den Stolz der Letten auf ihre junge Nation spüre ich eindrücklich, wenn beim Flanieren am Stadtkanal plötzlich das monumentale Freiheitsdenkmal emporragt.

Die Moskauer Vorstadt, ein verkannter Stadtteil

Ein Puzzlestück wird in Reiseführern gern übersehen. Die Moskauer Vorstadt, das Schmuddelkind unter den Rigaer Stadtteilen, beginnt hinter riesigen Markthallen, die einst als Hangar für Luftschiffe konstruiert wurden. Ich dringe gern tiefer in diesen Stadtteil vor und finde dort alte Holzhäuser im Dornröschenschlaf neben vor sich hin bröckelnden Mietskasernen. Letzte Spuren vom einst reichen jüdischen Leben in dem Stadtteil oder eine nagelneue armenische Kirche unweit eines Gotteshauses der im Zarenreich verfolgten Altgläubigen: In der Moskauer Vorstadt spüre ich, dass das Verschmelzen der Kulturen vielleicht die entscheidende Zutat war, die das baltische Städtchen zu einer internationalen Metropole werden ließ.

  Robert Kalimullin, Martin Brand:
  CityTrip Riga
  Reise Know-How Verlag, 144 Seiten
  ISBN 9783831722136, 9,95 Euro.


Weitere Artikel