Sotschi: Zwischen den Zeiten
ostpol: Auf deinen Bildern wirken die neuen Eisstadien, Hotels, Autobahnen und Wohnhäuser wie Fremdkörper, woran liegt das?
Vitus Saloshanka: Russland tut alles dafür, der Welt die Winterspiele auf höchstem Niveau zu präsentieren und sich ein anderes Gesicht zu geben. So entstehen Parallelwelten: An der einen Stelle wird etwas Futuristisches, etwas Neues und Glänzendes gebaut, in einer Nebenstraße fallen Häuser zusammen, bekommen Menschen kein Trinkwasser und die Umwelt wird zerstört. Diese Situation war für mich der Auslöser, als ich vor vier Jahren das erste Mal als Tourist nach Sotschi fuhr: Ich fühlte mich selbst durcheinander, der Ort schien zwischen die Zeiten geraten.
Das Fotobuch wird den Titel „High Hopes“ tragen. Welche Hoffnungen richten die Menschen in Sotschi auf die Olympischen Spiele?
Ich habe darüber vor allem mit den jungen Leuten gesprochen. Die Regierung sagt, dass in Sotschi für die nächste Generation eine neue Zukunft gebaut werde. Tatsächlich profitieren viele junge Menschen von neuen Schulen und Sportclubs. Der Junge mit den blauen Sporthosen zum Beispiel ist für mich so ein Hoffnungsträger. Er freut sich, dass er jetzt auf eine Sportschule gehen kann. Das Mädchen in der grünen Bluse lebt hingegen in einem entlegenen Dorf. Hier spürt man nichts von den positiven Veränderungen, dafür umso stärker die von den vielen Baumaßnahmen verursachte Umweltzerstörung. Auf solche Orte wird wenig Rücksicht genommen.
In Sotschi, einer subtropischen Stadt, entstehen Eisstadien, Skipisten und Rodelbahnen. Dafür müssen Tausende Einwohner umgesiedelt werden, die Natur leidet. Was bedeuten die Olympischen Spiele für Sotschi?
Die Spiele bedeuten neue Möglichkeiten, einen neuen Lebensstandard, Tourismus. Sotschi braucht diese Veränderungen und ich hoffe, die Menschen werden davon profitieren und neue Jobs, Straßen, Kanalisation, Trinkwasser und vielleicht Gasanschlüsse bekommen. Aber das sind Grundbedürfnisse, die anderswo selbstverständlich sind. Die Frage ist: Warum wurden sie bisher nicht befriedigt? Die Ziele, über die die Regierung spricht, sind groß. Sotschi soll ein Schaufenster für das neue Russland sein. Die Menschen sind von diesem Kontrast, dieser Widersprüchlichkeit umgeben: Einerseits wird ihnen viel versprochen, andererseits wird keine Rücksicht auf sie genommen.
Wie wird Sotschi nach den Olympischen Spielen aussehen?
Sotschi wird die Olympischen Spiele bestimmt mit Glanz ausführen, aber es ist eine gute Frage, was Mensch und Umwelt langfristig von den Olympischen Spiele und ihren Versprechen haben werden, was passiert, wenn sie nach zwei Wochen vorbei sind. Die Regierung hat das Blaue vom Himmel versprochen und muss die Verantwortung tragen. Ich habe meine Zweifel, aber die Hoffnung habe ich nicht ganz aufgegeben.
