Rumänien

Wo Kinder leichte Opfer sind

„Er war wie ein Robin Hood hier bei uns im Dorf“, sagt die Mutter eines Opfers gegenüber der rumänischen Nachrichtenplattform The Black Sea. Doch er war ein Robin Hood, der seine Pfleglinge ausbeutete: Jahrelang filmte der Deutsche Markus R. nackte Kinder in Rumänien. Sein Material verkaufte er an den kanadischen Anbieter, über den auch der SPD-Politiker Sebastian Edathy Filme bestellt hat. Im Herbst vergangenen Jahres war der Anbieter bei der Zerschlagung eines internationalen Rings aufgeflogen.

Das Material von Markus R. gehörte offenbar zu nachgefragtesten Filmen des kanadischen Händlers Azov-Films. Bei den Ermittlungen „Project Spade“, die der Deutsche nach seiner Festnahme mit seinen Aussagen ins Rollen brachte, wurde Rumänien zu einem Schlüsselland für die kanadischen Fahnder.


12 Euro fürs Filmen in Unterwäsche

Weltweit betrachtet wird das meiste kinderpornografische Material zwar in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, in Südostasien und in Afrika produziert. Doch in Rumänien häufen sich die Meldungen über kinderpornografische Inhalte im Internet. Der rumänische Verein „Focus“ erhielt im vergangenen Jahr 265 Hinweise auf illegale Videos, davon befanden sich 111 auf rumänischen Servern. Ein Plus von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, erklärt Mihai Olaru von Focus. Der Verein gehört zum internationalen Inhope-Netzwerks von Hotlines in mehr als 40 Ländern, die gegen Kinderpornografie kämpfen.

Ob die gewachsene Zahl an Hinweisen auf eine erhöhte Produktion, einen häufigeren Tausch oder auf eine erhöhte Sensibilisierung von Internetusern zurückzuführen ist, kann Olaru nicht sagen. Fest steht aber, dass die Kinderpornoindustrie in dem armen EU-Land leichtes Spiel hat. Umgerechnet zwölf Dollar für Aufnahmen in Unterwäsche soll ein Junge von Markus R. bekommen haben – viel Geld in einer Region, in der der Nettodurchschnittslohn bei umgerechnet 350 Euro liegt. Zog der Junge sich aus, bekam er das Doppelte, besagt eine Recherche der Nachrichtenplattform The Black Sea.

Das Gebiet um das Städtchen Satu Mare im Norden Rumäniens gehört zu den strukturschwächsten Regionen Europas. Hier und in den umliegenden Dörfern hat Markus R. ab 2001 gelebt und das Vertrauen der jungen Burschen durch Ausflüge, Süßigkeiten und Beschäftigung gewonnen. Die Region hat die Transformation zur Marktwirtschaft nicht geschafft. Viele Menschen bauen selbst die Lebensmittel an, die sie zum Leben brauchen.


Die Familien brechen auseinander

Hinzu kommt, dass die sozialen Strukturen in Rumänien wegen der massenhaften Arbeitsmigration nach Westeuropa auseinanderbrechen. Schätzungen zufolge leben zehntausende Kinder bei Großeltern und Verwandten, weil ihre Eltern ihr Geld im Ausland verdienen. Diese Kinder werden im rumänischen Sprachgebrauch „Eurowaisen“ genannt. Die einzige Verbindung ermöglicht das Skype-Telefonat. Täglich kehren Schätzungen zufolge drei Kinder ihrem „Elternhaus“ freiwillig den Rücken. Die Ausbrecher geraten leicht in die Hände von verbrecherischen Banden und werden ausgebeutet: In der Bettlerei ebenso wie in der Prostitution.

Die Kinder geraten oft in eine ausweglose Abhängigkeit, wie der Fall von drei Mädchen in Bukarest von 2008 zeigt. Die damals Minderjährigen lebten damals halb auf der Straße, halb unter Kontrolle eines Zuhälters, für den sie sich prostituierten. Nach monatelangen Ermittlungen willigten sie ein, gegen den Zuhälter auszusagen. Nach dem Prozess brachten die rumänischen Behörden sie in ein anonymes Mädchenheim mit professioneller Betreuung. Umsonst: Die Mädchen flohen nach wenigen Tagen in ihr altes Leben zurück.

Rumänien hat seine Gesetze im Kinderschutz längst internationalen Standards angepasst. Wie aus den Tätigkeitsberichten der Staatsanwaltschaft für die Bekämpfung von Organisierter Kriminalität und Terrorismus (DIICOT) hervorgeht, werden kinderpornographische Inhalte in Rumänien selbst weniger nachgefragt: „Rumänien ist kein Konsumentenland“, so DIICOT. Die rumänische Polizei ist derselben Meinung. Was die Produktion von solch verbotenem Material angeht, gibt es keine gesicherten Zahlen.


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