Russland

Wie Putin den Westen täuscht

Wladimir Putin mag das Internet nicht, deshalb bekommt er jeden Morgen eine Mappe mit Presseberichten auf seinen Schreibtisch. Damit der launische Kreml-Chef nicht allzu schlecht gestimmt in den Tag startet, legen seine Gehilfen oben in den Stapel gerne etwas Positives. Früher taten sie sich oft schwer, Stimmungsförderndes aus dem Ausland zu finden. Seit Beginn der Krim-Krise stehen sie wohl vor einem völlig neuen Problem – einem Überangebot an Nachrichten, die Putins Laune heben: Viele Medien und Politiker zeigen im Krim-Konflikt Einfühlungsvermögen für den Kreml-Herren und folgen seinen Argumenten.

Ob ein namhafter Kommentator fordert, Putin zu „umarmen“, ob Philipp Mißfelder (CDU) vor Sanktionen warnt oder CSU-Vize Peter Gauweiler Beifall von seinen Parteifreunden erntet, wenn er Verständnis für Russland anmahnt – all diese Berichte dürften den Staatschef in der Einschätzung bestätigen, die ein Kreml-Insider drastisch auf den Punkt bringt: „Putin hält die Mehrzahl der westlichen Politiker für naive Weicheier, die leicht um den Finger zu wickeln sind; unter Vertrauten verspottet sie er schon mal als ,Impotente' - die moderne Vision von dem, was Lenin ,nützliche Idioten' nannte.“


Telefonmitschnitte und Gerüchte

Nur wenige im Westen sind sich bewusst, wie stark Putin, dessen Großvater als Koch bei Stalin arbeitete, bis heute vom Denken des KGB geprägt ist. Wie sich das auswirkt auf sein Handeln, beschrieb der frühere Geheimdienst-Offizier einst selbst: Ein Tschekist – also KGB-Mann – hat seine Zunge nicht, um seine Gedanken zu äußern, sondern um sie zu verschleiern.

Auch Putins Handeln auf der Krim trägt die Handschrift des KGB – ähnlich wie in Georgien 2008. Nur die Ausführung ist schlampiger als einst. So ließ der Kreml-Herr seine Soldaten schon aufmarschieren, bevor die neue Krim-Regierung das Hilfsersuchen an ihn richten konnte. Die Männer hatten zwar keine Hoheitszeichen auf ihren Uniformen, einige erzählten aber bereitwillig, dass sie aus Russland kommen – während Putin in Moskau der Weltöffentlichkeit erklärte, er habe keine Truppen auf der Krim, es handle sich um „Selbstverteidigungskräfte“.

Die Propaganda-Maschine läuft auf Hochtouren: So streute Moskau, dass die rechten Gruppen in Kiew die bestimmende Kraft hinter den Protesten seien und die ukrainischen Juden jetzt um ihr Leben fürchten müssten. Da klagten Russen bei Demos gegen Diskriminierung vor Ort – die gleichen Frauen in unterschiedlichen Städten. Plötzlich tauchte der Mitschnitt eines Telefongesprächs auf, das belegen sollte, die Opposition stünde selbst hinter den Todesschüssen in Kiew. Russische Hacker meldeten, ukrainische Nationalisten hätten Tataren auf der Krim zu Anschlägen gegen Russen angestiftet. All das und vieles mehr fand Widerhall im Westen.


Putin ist der Sieger an der Sprachfront

Im Internet-Zeitalter sind die Propaganda-Mittel aus dem vergangenen Jahrhundert leicht zu enttarnen. Nur schauen viele nicht so genau hin. Sieger an der Sprachfront ist bisher denn auch Putin. Statt von Militäraktion oder Besetzung ist von Krise die Rede. Oft wird die Kreml-Rhetorik eins zu eins übernommen: „Putin gegen Eskalation“ oder „Putin: Militäreinsatz nicht notwendig“ heißt es in Schlagzeilen, als Putins Truppen schon tagelang alle strategisch wichtigen Punkte besetzt haben.

An Mahnungen hat es nicht gefehlt. Putinkenner wie sein Ex-Berater Andrej Illarionow warnen seit Jahren vor einem Szenario wie jetzt auf der Krim. Wirklich überraschend ist nicht Putins Vorgehen – sondern wie überrascht die Verantwortlichen im Westen sind. „Ich bin erschüttert und muss zugeben, dass ich viele Dinge, die da passieren, nicht nachvollziehen kann“, bekannte Gernot Erler (SPD), Russland-Koordinator der Bundesregierung, der seit Jahren weniger Kritik und mehr Verständnis für Putin fordert.

Diese Verständnisprobleme hindern Erler aber nicht daran, Schlussfolgerungen zu ziehen: „Ich warne davor, zum jetzigen Zeitpunkt zum Instrument der Sanktionen zu greifen.“ Dabei sind genau die nach Ansicht vieler Moskauer Kreml-Kritiker notwendig. Putin verstehe nur die Sprache der Stärke, glaubt etwa Ex-Schachweltmeister Garry Kasparow: „Man braucht nicht 140 Millionen unschuldiger Russen zu bestrafen, es reicht aus, etwas gegen die 140 Oligarchen aus dem Umfeld Putins zu tun.“


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