Oligarchen bangen um ihren Einfluss
In der Ostukraine scheint der Krieg zum Greifen nahe: brennende Barrikaden, besetzte Amtsgebäude und die ersten Toten. In den Wirren hat sich ein prominenter Friedensstifter eingeschaltet: Rinat Achmetow, der reichste Mann der Ukraine. „Nur Verhandlungen können uns aus dieser Krise führen“, so Achmetow in einem Statement auf seiner Homepage. „Die Ukraine ist eine Einheit und unteilbar!“ Achmetow hat angeboten, zwischen den Donezker Separatisten und der Kiewer Übergangsregierung zu vermitteln, um Blutvergießen zu vermeiden. Ob er damit Erfolg hat, ist zweifelhaft: Am Dienstagmorgen lief in Donezk eine „Anti-Terror-Operation“ der Übergangsregierung gegen die Separatisten an.
Knapp 600 Kilometer weiter westlich, in Kiew, will ohnehin niemand so recht an die hehren Absichten des Stahlbarons glauben. Am Wochenende haben Maidan-Aktivisten das Kiewer Büro von Achmetows SCM-Holding mit „Achmetow-Terrorist“ und „Achmetow-Putin“ beschmiert.
Oligarchen wie Achmetow halten in der Ukraine die Fäden in der Hand. In kaum einem anderen Land liegt so viel Kapital in den Händen so weniger Menschen. Laut Forbes kontrollieren die 100 reichsten Ukrainer mehr als ein Drittel des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts. Und Achmetow ist der dickste Fisch im ukrainischen Oligarchenteich: Sein Vermögen wird auf 16 Milliarden US-Dollar geschätzt. Der „Pate des Donezk“, wie ihn ein US-Beamter einmal wenig schmeichelhaft nannte, kontrolliert mit System Capital Investment ein Firmenimperium mit 300.000 Mitarbeitern, die Kohle- und Stahlproduktion, sämtliche Medien und den Fußballclub Schachtar Donezk.
Stahlbaron Achmetow fürchtet Moskau mehr als Kiew
Niemand hat so viel zu verlieren wie er: „Achmetow fürchtet Moskau wohl mehr als das revolutionäre Kiew“, sagt der Politologe Wladimir Fesenko. „In Russland würde er seine heutige unabhängige Vorherrschaft über die Regionen völlig verlieren.“ Die Abnehmer des Stahlbarons Achmetow sitzen zudem im Westen. „Wenn sich die Region in ein neues Transnistrien verwandelt, gibt das große Probleme für seinen Export – das kann nicht in seinem Interesse sein“, sagt Fesenko. Die von der Republik Moldau abtrünnige Region Transnistrien hat Mitte März um den Anschluss an Russland gebeten.
Eine Föderalisierung der Ukraine, über die es nach dem entsprechenden Vorschlag von Interimspräsident Alexander Turtschinow ein landesweites Referendum geben könnte, käme Achmetow indes sehr entgegen: „Dann könnte er noch mehr Einfluss auf die regionalen politischen Eliten ausüben als jetzt – falls mehr Einfluss überhaupt noch möglich ist“, sagt Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche.
Politik und Wirtschaft sind in der Ukraine eine unheilvolle Symbiose eingegangen: Die Oligarchen kooperieren mit der korrupten Bürokratie. Im Gegenzug halten ihnen die Behörden Konkurrenten aus dem Ausland mit bürokratischen Schikanen vom Hals. Dass sich Achmetow als Vermittler im Konflikt angeboten hat, könnte somit eine Absicherungsstrategie sein. „Er hatte doch – milde ausgedrückt – sehr starke Verbindungen zum Regime Janukowitsch“, sagt Astrov. Für Janukowitschs Partei der Regionen saß Achmetow sogar einige Jahre im Parlament. „Das Ziel der Oligarchen in der jetzigen Situation ist es, zu überleben, politisch und ökonomisch, und ihr Geschäft, aber auch ihre Freiheit zu behalten“, sagt auch Politologe Fesenko.
125 Millionen Euro Kaution für einen Milliardär
Die Freiheit eines anderen Oligarchen steht derzeit auf der Kippe. Dmytro Firtasch, der Kopf des zweiten großen ukrainischen Oligarchen-Clans, wurde im März in Wien festgenommen. Er hat seine Milliarden im Gashandel mit Russland und Turkmenistan gemacht. Das FBI fahndet schon seit 2006 wegen Bestechung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Verbindung nach ihm. Nach Zahlung einer Kaution von 125 Millionen Euro – der höchsten Summe der österreichischen Rechtsgeschichte – wurde Firtasch vorerst aus der Haft entlassen, doch das Auslieferungsverfahren an die USA läuft.
Es wird zwar betont, dass der Zeitpunkt nichts mit der Situation in der Ukraine zu tun hat. Der Fall Firtasch könnte im geopolitischen Poker zwischen den USA und Russland aber ein mahnendes Beispiel für Achmetow sein: „Das, was Firtasch passiert, kann auch allen anderen Oligarchen passieren“, sagt der Politologe Wadim Karasew. Das kann eine implizite Drohung an Achmetow sein, die Souveränität der Ukraine nicht anzutasten.
Insgesamt war die Maidan-Bewegung eine heikle Situation für Firtasch und Achmetow. Bis jetzt haben sie den richtigen Riecher bewiesen und es geschafft, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen: Als sich abzeichnete, dass Janukowitsch nicht mehr zu halten ist, haben sie rasch die Seiten gewechselt.
Nur 50 der 450 Parlamentarier sind unabhängig von Oligarchen
Der Arm der Oligarchie reicht bis tief in die ukrainische Politik hinein: Der ukrainische Investigativjournalist Sergej Leschtschenko schätzt, dass im ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada, von 450 nur 50 Parlamentarier sitzen, die von den Oligarchen unabhängig sind. So sollen Firtasch und Achmetow jeweils rund 40 bis 50 Parlamentarier kontrollieren. Das Stimmverhalten dieser Abgeordneten soll die parlamentarische Absetzung Janukowitschs erst ermöglicht haben.
Indes sind Spekulationen darüber aufgetaucht, ob Achmetow, der der Partei der Regionen immer noch sehr nahe steht, auch die Vaterlandspartei von Julia Timoscheko unterstützt. Zuletzt gab es auch Berichte, dass Firtasch die Kandidatur von Petro Poroschenko unterstütze. Poroschenko, selbst einer der einflussreichsten Unternehmer des Landes, ist vor Timoschenko der aussichtsreiche Kandidat für die Präsidentenwahl am 25. Mai.
Der Einfluss der Oligarchen auf die Politik ist auch unter der derzeitigen Politik ungebrochen. So wurde Ihor Kolomojskij – mit einem Vermögen von rund drei Milliarden US-Dollar einer der reichsten Ukrainer – Anfang März zum Gouverneur der Region Dnipropetrowsk ernannt. Er galt lange als Unterstützer Timoschenkos und ist Miteigentümer der Privatbank, der größten Bank der Ukraine. Über die Privat-Gruppe mischt er kräftig im ukrainischen Öl-, Stahl- und Energiesektor mit.
Für das Business-Portfolio der Oligarchen könnte der Sturz Janukowitschs gar nicht so schlecht sein. Immerhin hatte Janukowitsch seit seinem Machtantritt 2010 den Vertrauten seines Sohnes Oleksander, der sogenannten „Familie“, immer mehr Pfründe zugeschanzt und so den Alt-Oligarchen Firtasch und Achmetow ernstzunehmende Konkurrenz gemacht. Die Neo-Oligarchen der „Familie“ haben in den Wirren der Revolution aber Hals über Kopf das Land verlassen. Jetzt werden die Karten neu gemischt.