Ukraine

Bedroht: Journalisten in der Ostukraine

ostpol: Sie arbeiten als Fotograf für die unabhängige Kyiv Post. Vor kurzem waren Sie in der von Separatisten kontrollierten Städten Donezk und Slowjansk in der Ostukraine. Wie gefährlich war Ihre Arbeit dort?

Konstantin Chernichkin: Ich war im März bereits in der Ostukraine gewesen, da war die Lage noch relativ ruhig. Jetzt hatte sich die Situation stark verändert: Die prorussischen Aktivisten waren nun schwerer bewaffnet, aggressiver und feindseliger gegenüber der ukrainischen Presse.

ostpol: In welcher Situation hatten Sie die größte Angst?

Chernichkin: Angst hatte ich, als ich bewaffneten Separatisten in Slowjansk gegenüberstand. Sie hielten Maschinenpistolen in den Händen – und konnten damit machen, was sie wollten. Sie agieren außerhalb der Gesetze. Einer dieser Kämpfer überprüfte vor dem besetzten Milizrevier die Personalausweise von mir und einem Kollegen. Er vertrieb uns mit den Worten: „Kiewer Journalisten brauchen wir hier nicht. Ich will euch hier nicht mehr sehen.“ Dabei richtete er seine Maschinenpistole auf uns.

ostpol: Was haben Sie dann gemacht?

Chernichkin: Ich habe versucht, die Kämpfer vor dem Milizrevier von der anderen Seite aus zu fotografieren. Plötzlich wurden zwei Journalisten vom ukrainischen Fernsehkanal Hromadske TV und vom unabhängigen russischen Hörfunksender Echo Moskwy von den Bewaffneten ergriffen und ins Milizrevier gezogen. Direkt neben mir. Da begriff ich, dass es höchste Zeit war, abzuhauen.


72

ostpol: Sind Sie offen mit Ihrer Kiewer Herkunft umgegangen oder haben Sie versucht, sich als Ostukrainer auszugeben?

Chernichkin: Zu Beginn habe ich mich noch wahrheitsgemäß als Mitarbeiter einer Kiewer Zeitung vorgestellt. Aber so konnte ich nicht arbeiten. Doch meine Herkunft zu verschleiern ist schwierig – mein Akzent verrät sofort, dass ich nicht aus Donezk stamme. Deshalb habe ich gesagt, dass ich freiberuflich für ausländische Medien arbeite.

ostpol: Und das hat funktioniert?

Chernichkin: Die Separatisten wollten ständig herausfinden, auf welcher Seite ich stehe. Ich musste ausweichend antworten. Positiv über die Maidan-Bewegung zu sprechen, wäre gefährlich geworden.

ostpol: Wie haben die Menschen auf der Straße auf Sie reagiert?

Chernichkin: Eigentlich friedlich. Doch als ich in Donezk bei einer Kundgebung vor dem besetzten Gebäude der Gebietsverwaltung war, riefen die Organisatoren der Versammlung plötzlich dazu auf, alle Kiewer Journalisten zu bekämpfen – sie zu identifizieren und zu vertreiben. Sofort umringten mich die Anwesenden und griffen mich mit Fragen an: „Wer bist du? Woher kommst du? Für wen arbeitest du? Wo ist dein Ausweis? Fotografieren verboten!“

ostpol: Waren das auch ganz normale Bürger?

Chernichkin: Es waren maskierte Aktivisten mit Schlagstöcken, aber auch ganz normale Männer und Frauen. Besonders aggressiv waren die älteren Frauen. Ich wurde beinahe verprügelt und bin schnell gegangen.

ostpol: Sie sind Ukrainer aus Kiew und haben sicherlich eine eigene Meinung zur Krise. Können Sie die Entwicklungen in der Ostukraine dokumentieren, ohne Partei zu ergreifen?

Chernichkin: Natürlich habe ich eine Meinung zum Konflikt. Ich habe damals mit den Menschen auf dem Maidan sympathisiert. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Ukraine als einheitlicher Staat gestärkt und gereift aus dieser Krise herausfindet. Ich bin davon überzeugt, dass sich dies auch die normalen Menschen in der Ostukraine wünschen.


Weitere Artikel