Bosnien-Herzegowina

Solidarität zwischen ehemaligen Kriegsgegnern

Sechs Hände halten sich gegenseitig fest. Auf jeder ist die Flagge einer der Nachfolgestaaten Jugoslawiens abgebildet, darüber Wolken, unter denen geschrieben steht: „Yes, we can!“ Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien teilen dieses Foto auf Facebook und rufen zu Solidarität zwischen den ehemaligen Kriegsparteien auf.

Kroatische Soldaten sind in Bosnien-Herzegowina aktiv, um Menschen aus den Fluten zu retten und bei der Versorgung und den Aufräumarbeiten zu helfen. Bosniakische Soldaten helfen serbischen Zivilisten, serbische Soldaten helfen bosniakischen Zivilisten – vor zwanzig Jahren noch bekämpften sich diese Volksgruppen im Krieg.

Hubschrauberlärm, Soldaten, Hilfspakete aus dem Westen. Einige der von der Katastrophe betroffenen Menschen fühlen sich an die Kriegszeiten erinnert, mit einem Unterschied: Die Menschen kämpfen füreinander und nicht gegeneinander.

Nun helfen sich sogar Soldaten unterschiedlicher Armeen gegenseitig. Das kroatische Webportal forum.tm lobt den Zusammenhalt zwischen den Volksgruppen und fragt sich, warum das Hochwasser die Region nicht schon 1990 treffen konnte, als man sich auf den Krieg vorbereitete.

Solidarität besteht nicht nur zwischen den von den Fluten betroffenen Ländern, auch die Nachfolgestaaten Jugoslawiens, die nicht direkt von der Katastrophe betroffen sind, senden Hilfe. Slowenien hat Kräfte des Zivilschutzes, Ausrüstung und Ressourcen in die von den Fluten betroffenen Gebiete entsandt.

In Mazedonien trafen sich am vergangenen Sonntag Tausende Menschen auf öffentlichen Plätzen, um Spenden für die Flutopfer zu sammeln. Allein an diesem Tag hat das rote Kreuz in Skopje über 20 Tonnen Lebensmittel, 60.000 Liter Trinkwasser und 1000 Paar Schuhe eingesammelt.

„Wir sind überwältigt von der Spendenbereitschaft“, sagt Stefanija Stanojkovska, eine freiwillige Helferin des roten Kreuzes in Skopje. Auch das kleine Montenegro, das sich 2006 von Serbien abgespalten hatte, sendet tonnenweise Hilfsgüter, Lebensmittel und Hunderte Freiwillige in die Krisenregion.

Mit dem EU-Beitritt Kroatiens wurde die Save zur EU-Außengrenze zu Bosnien. Nun ist der Fluss über die Ufer getreten und überschwemmt Orte auf beiden Seiten der Grenze. „Wenn du in den Fluten sitzt und ein Rettungsboot kommt, um dich da raus zu holen, dann fragst du nicht nach, welche Abzeichen die Leute in dem Boot auf ihrer Uniform haben“, sagt der 31-jährige Vuk Bacanovic aus Sarajevo, der als freiwilliger Helfer in den Krisenregionen hilft.

Dabei war die Zerstrittenheit verschiedener Gruppen und ethnische Trennlinien gerade in Bosnien mit ein Grund dafür, dass die Flut das Land so hart getroffen hat. Die ethno-nationalistischen Parteien im Land betreiben Klientel-Politik für die jeweils eigene Volksgruppe und verhindern vielerorts eine effektive Zusammenarbeit, die Bürokratie ist hochkorrupt.

In manchen Orten können sich die Parteien nicht einmal darauf verständigen, die Wasserversorgung und Kanalisation gemeinsam zu organisieren. Die Streitigkeiten zwischen Bosniaken, Kroaten und Serben sind einer der Hauptgründe dafür, dass die marode Infrastruktur nicht erneuert wurde.

Umso überraschender ist für viele, wie schnell, unbürokratisch und über ethnische Grenzen hinweg Hilfe organisiert wurde - untypisch für Bosnien-Herzegowina. Kroatien ist inzwischen Mitglied der Europäischen Union und Serbien Beitrittskandidat, weswegen beide einen privilegierten Zugang zu EU-Mitteln haben. „Auch Bosnien-Herzegowina wird Hilfe erhalten, aber die Finanzierung wird etwas komplizierter“, betonte Kristalina Georgieva, EU- Kommissarin für humanitäre Hilfe und Krisenschutz.

Dennoch versuchen, wie bereits im Krieg, skrupellose Geschäftemacher Profit aus dem Leid der Menschen zu ziehen. Teilweise werden Hilfsgüter zu horrenden Preisen verkauft. Im bosnischen Maglaj, das besonders schwer von den Fluten getroffen wurde, werden Hilfslieferungen an Trinkwasser für bis zu 5 Euro pro Flasche verkauft, obwohl diese kostenfrei an die Bevölkerung weitergegeben werden sollten.

Mirza Valjevac, dessen Haus überflutet wurde, kritisiert: „Manche Leute nutzen die Situation aus und verkaufen Trinkwasser und Essen zu überteuerten Preisen, wie damals im Krieg.“ Vuk Bacanovic, der in Maglaj geholfen hat, betont hingegen: „So etwas geschieht, aber es ist nicht die Regel. Die meisten Menschen hier versuchen, ehrlich zu helfen“.

Am Mittwochmorgen fahren wieder drei Busse aus Sarajevo nach Doboj in Nordbosnien. Es sind hauptsächlich Bosniaken aus Sarajevo, die Serben in Doboj helfen werden, die Stadt wieder in Ordnung zu bringen. Auch Vuk Bacanovic wird wieder vor Ort sein: „Die Fluten haben alle getroffen, was für einen Nachnamen jemand hat, ist den Helfern egal“, betont er.

Zum Beitrag: Ein Drittel Serbiens steht unter Wasser


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