Geflüchtet nach Donezk

Wladimir und Iwan stapfen in Badeschlappen den Donezker Schewtschenko-Boulevard entlang. Die beiden haben einen unbeschwerten Nachmittag verbracht, waren schwimmen im Fluss Kalmius, der durch das Zentrum von Donezk fließt. Bei diesen hohen Temperaturen ist es besser, die Zeit im Freien zu verbringen als im stickigen, überfüllten Wohnheim.
Wladimir und Iwan sind Binnenflüchtlinge, „internally displaced people“, wie es im Jargon der Hilfsorganisationen heißt. Zwei von 117.000. So viele Menschen, schätzen die Vereinten Nationen, sind derzeit innerhalb der Ukraine von ihrem Wohnort vertrieben. Noch mehr, nämlich 168.000, sollen ins benachbarte Russland geflüchtet sein. Wladimir, ein untersetzter Kumpel, ist 35 Jahre alt und stammt aus der Bergarbeiterstadt Schachtarsk. Der 16-jährige Iwan, einen Kopf größer und von schmaler Statur, hat gerade die Schule abgeschlossen. Doch seine Pläne, Arbeit zu suchen, sind erst einmal verschoben.
Die beiden sind aus ihrer Heimatstadt nach Donezk geflohen. Auch die anderen im Wohnheim, in dem sonst Studenten leben, stammen aus dem 60 Kilometer entfernten Schachtarsk. Es sind arme Familien, die keine andere Heimat als den Donbass kennen.
Donezk ist noch vergleichsweise sicher
In Schachtarsk haben die Kriegsparteien über den sowjetischen Mehretagenbauten „Volleyball“ gespielt. Volleyball – so nennen sie den gegenseitigen Artilleriebeschuss. „Einmal flogen Geschosse von dieser Seite, dann wieder von der anderen“, sagt Iwan. Tagelang haben sie in Kellern gesessen, bis die Lebensmittel knapp wurden. Es gab kein Licht und kein Gas, und zum Schluss auch kein Brot mehr.
Vor einer Woche sind sie in Donezk eingetroffen. Auch hier gehen bei den Kämpfen zwischen Armee und Separatisten immer wieder Geschosse in Wohnvierteln nieder. Dennoch fühlen sich die jungen Männer vergleichsweise sicher. „Es ist kein Vergleich zu dem, was wir erlebt haben“, sagt Wladimir.
Dramatischer als in Donezk ist die Lage im weiter östlich gelegenen Luhansk: Flüchtlinge berichten von ständigem Artilleriebeschuss. Seit Wochen gibt es keinen Strom mehr, Telefon- und Internetverbindung reißen immer wieder ab. Die Menschen harren in Kellern aus, gekocht wird auf offenem Feuer. Auf den Straßen sollen Leichen liegen. Tote müssten notdürftig in Gärten bestattet werden.
Alte, Kranke, Mittellose harren in den umzingelten Städten aus
Die ukrainische Armee hat einen Ring um Luhansk gebildet, um die Kämpfer der „Luhansker Volksrepublik“ von der Versorgung abzuschneiden. Die Separatisten verschanzen sich auch in bewohnten Gebieten. Die ukrainische Militärführung fordert die Menschen auf, die belagerten Städte zu verlassen. Doch die „humanitären Korridore“ sind prekär. Vor allem betagte Menschen, Kranke und Mittellose harren weiter in den umzingelten Städten aus.
Die angespannte humanitäre Lage in der Ostukraine hat nun Russland auf den Plan gerufen. Doch der am Montagabend angekündigte Hilfskonvoi, der sich am Dienstag von Moskau aus in Bewegung setzte, sorgt für Unruhe. Russische Medien berichteten von 280 weißen Lastkraftwagen, gefüllt mit 2.000 Tonnen Hilfsgütern, die in die Ukraine unterwegs seien. Die Ladung solle in zwei bis drei Tagen an der ukrainischen Grenze ankommen, hieß es.
Den russischen Hilfstransport will Kiew nicht ins Land lassen
Doch selbst dem Internationalen Roten Kreuz sind offenbar nicht alle Details der Hilfslieferung bekannt. „Wir warten noch immer auf wichtige Informationen über die Menge und die Art der Güter sowie darüber, wie und wo sie verteilt werden sollen“, erklärte Sprecherin Anastassija Isjuk gegenüber Itar-Tass. Die Regierung in Kiew und westliche Politiker befürchten, dass die Hilfsgüter Russland als Tarnung dienen, um in der Ostukraine direkt militärisch einzugreifen. Die ukrainische Führung pocht darauf, dass die Güter aus Russland nur bis zur Grenze gebracht und dort umgeladen werden. Einen bewaffneten Transport werde man nicht auf ukrainisches Territorium lassen.
Wladimir und Iwan sind im relativ sicheren Zentrum von Donezk gestrandet. Doch die Bewohner von Donezk, vor allem jene in den dem Kampfgeschehen ausgesetzten Randbezirken, versuchen ihrerseits die Stadt zu verlassen. Frauen und Kinder werden ans Asowsche Meer östlich der Krim geschickt, nach Mariupol und Berdjansk. In Krasnoarmijsk, Wolnowacha und Swatowe – diese Kleinstädte sind unter ukrainischer Kontrolle – wurden „Transitzentren“ eingerichtet für die Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet. Hier gibt es medizinische Erstversorgung und Notunterkünfte. Auch in Kiew befindet sich am Bahnhof ein Krisenzentrum für Binnenvertriebene.
Wer aus dem Konfliktgebiet abreisen will, braucht nicht nur Geld, sondern auch Geduld: Am Donezker Busbahnhof „Süd“ bildeten sich auch am Dienstag wieder lange Schlangen vor den Kassen. Am Dienstag war die Ausreise mit dem Zug erstmals nicht mehr möglich, da in den nächtlichen Kämpfen Schienenabschnitte zerstört wurden, wie die lokale Pressestelle der Eisenbahn bekanntgab. Passagiere wurden gebeten, auf den Bahnhof Jasinuwata außerhalb der Stadtgrenze auszuweichen. Doch die Fahrt dorthin ist alles andere als ungefährlich: Jasinuwata liegt hinter der Frontlinie.