Russland

Der Diktator als Autor

Der Diktator als Autor
Im russischen Verlag "Amfora" erschien ein Roman Saddam Husseins

Thomas Keith
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Samara (n-ost). Politische Korrektheit ist in Russland weit gehend ein Fremdwort. So ist "negr" nach wie vor die gängige Bezeichnung für Menschen afrikanischer Abstammung und das russische Wort für "Schwuchtel" außerhalb der dünnen Schicht der Gebildeten & Kultivierten ein geläufiges Schimpfwort. Rassismus und Antisemitismus mögen nicht ausgeprägter sein als in Westeuropa, doch sind entsprechende Äußerungen auch jenseits der Stammtische integrale Bestandteile politischer Stellungnahmen und Diskussionen, Hohmann ist sozusagen überall.
Andererseits verdanken wir der russischen Gleichgültigkeit gegenüber politischer Korrektheit die literarische Neuerscheinung, von der im Folgenden die Rede sein soll. Denn es ist schwer vorstellbar, dass ein westeuropäischer Verlag (von den USA ganz zu schweigen) eine Übersetzung eines Romans veröffentlichen würde, als dessen Autor Saddam Hussein angegeben ist. Vor einigen Wochen hat der Sankt-Peterburger Verlag "Amfora" genau das unternommen: "Sabiba i zar", "Sabiba und der König" heißt das Werk im Taschenbuchformat, das 250 in einer großen Schrifttype bedruckte Seiten umfasst und umgerechnet etwa 5 EUR kostet, für russische Verhältnisse nicht wenig.
Im selben Verlag erschienen in letzter Zeit durchaus ernst zu nehmende Werke, so Romane einer Gruppe von Schriftstellern in den Vierzigern (Dmitrij Grigorev, Pavel Krusanov, Vadim Nazarov, Aleksandr Sekackij), die zur gegenwärtigen Elite des literarischen Petersburg gehören. Die Aufmachung ihrer Bücher ähnelt der von "Sabiba und der König": die Buchdeckel sind knallbunt und jeweils mit einer überdimensionalen plakativen, fast kitschig anmutenden Illustration versehen – die Ikonographie der Massenkultur dringt in Russland zunehmend auch in seriöse Buchausgaben ein. Der Deckel des Romans von Saddam Hussein hat als Grundfarbe ein intensives Blau, davon hebt sich eine sehr rote Rosenblüte ab, in deren Mitte drei Dolche stecken, die Griffe verziert mit bedrohlich dreinblickenden Physiognomien. Auf der gelben Rückseite prangt ein stilisiertes Saddam-Porträt vor der irakischen Flagge, darunter die Feststellung, das Schicksal Saddams sei schon ein Mythos. Er habe den Siegern keine Chance gegeben, als er selbst in diesem Roman seinen Tod voraussagte. "Und dort sagte er noch: 'Helden haben immer viele Feinde. Derjenige, der sich vor der Masse hervorhebt, ruft immer Neid hervor'." Jetzt haben sie ihn – falls es kein Doppelgänger war – doch lebendig gekriegt, der Mythos ist verblasst.
Die zitierten Sätze offenbaren, dass die Veröffentlichung nicht frei von Parteinahme für den gestürzten Diktator ist. Motiviert ist sie sicherlich eher durch die Spekulation auf sensationslustige Käufer/innen. Das Nachwort schlägt weniger proirakische als antiamerikanische Töne an; am Schluss steht eine verdeckte Warnung an Russland: Alle, die den Amerikanern nicht gefallen, hätten in nächster Zeit eine Menge Probleme; und das Verfallsdatum der russischen Atomsprengköpfe läuft 2012 aus.
Am Anfang des Buchs steht eine Einleitung: 2000 habe Saddam Hussein die Schriftsteller des Irak aufgefordert, Romane zu schreiben, die alle Aspekte des menschlichen Lebens umfassen. Hadschi Gujura habe das verinnerlicht und den vorliegenden Roman verfasst. Darauf folgt die editorische Fußnote, der Verlag habe es für unentbehrlich gehalten, den Roman unter dem wirklichen Autornamen – also Saddam Hussein – zu publizieren. Woher er den kennt, erfahren die Leserinnen und Leser nicht.
Der eigentliche Romantext beginnt mit einer blumigen Hymne auf den Irak als uraltes Kulturland, verbunden mit einem Ausfall gegen den Zionismus und dessen Bündnis mit den Amerikanern, das die arabische Nation schwächt. Danach wird eine lebenserfahrene Großmutter als Erzählerin eingeführt, als eine für die irakische Kultur typische Erscheinung, wobei aber betont wird, dass es im Irak nicht üblich sei, Lügengeschichten zu erzählen. Der Wert solcher Erzählungen, die die guten und weisen Traditionen der Vorfahren weiter geben, sei, so heißt es im Text zivilisationskritisch, um ein Vielfaches höher als der des Fernsehens, das an ihre Stelle getreten ist.
Die Großmutter erzählt Kindern und Erwachsenen – ihr ausladender und oft in orientalischer Manier poetisch gefärbter Vortrag sei hier ganz knapp zusammengefasst – von einem mächtigen König, der vor langer Zeit im Irak lebte und sich in eine Frau aus dem Volk namens Sabiba verliebte. Diese außerordentlich verständige, couragierte, zugleich tief gläubige Frau überzeugt den König in langen Gesprächen und Diskussionen während ihrer Besuche zu Hofe Schritt für Schritt davon, dass er sich dem Volk öffnen, auf es hören, für es regieren und sich vor ihm legitimieren müsse, anstatt sich in seinem Palast mit seinen Hofschranzen und seinem Gesinde abzuschotten und Äußerlichkeiten zu huldigen. Die Liebe beider zueinander wächst, Sabiba will zu Gunsten des Königs ihren Mann verlassen, der sie nur als Sexualobjekt benutzt, will aber nicht Königin werden, um nach wie vor glaubhaft als Verbindung zwischen König und Volk fungieren zu können. Gegen den König läuft eine Verschwörung mehrere Adliger, gipfelnd in einem offenen Aufstand, dem Sabiba als eine Art irakischer Jeanne d'Arc an der Spitze eines Volksheers entgegentritt. Dieses Heer siegt, Sabiba aber fällt und wird zur Heldin. Nach diesem Sieg nimmt das Volk auf einer einberufenen Versammlung seine Geschicke selbst in die Hand. Dort wird kontrovers diskutiert, es überwiegen die Beiträge gegen die Königsmacht und das falsche und verdorbene höfische und Adelsleben, das einige Binnenerzählungen anschaulich machen. Zum Ende des Romans stirbt der König und wird vom Volk in würdiger Weise bestattet. Die Schlusssätze lassen nicht nur Sabiba und das Volk, sondern, ganz zuletzt, auch die Armee hoch leben.
Aufgrund seiner literarischen Qualität wäre der Roman sicher nicht in Übersetzung erschienen. Dem Inhalt kann man jedoch einiges abgewinnen, er schließt an die europäische Aufklärung an: Es wird, zuerst theoretisch von der Protagonistin, dann praktisch in der Volksversammlung, eine politisch-soziale Utopie entworfen, im Namen der Freiheit, gegen die bestehende, lediglich durch Erbfolge legitimierte Macht. (Juden allerdings haben keinen Platz in diesem Gemeinwesen: eine antisemitische Karikatur, ein 'Geldjude', wird aus der Volksversammlung verjagt.) In ihren staatstheoretischen Erörterungen zeichnet Sabiba das Leitbild eines volksnahen Herrschers und einer Gesellschaft, in der Klassenunterschiede keine Bedeutung haben. Für orientalische Verhältnisse höchst bemerkenswert ist die emanzipierte Rolle der Frau, die die Protagonistin verkörpert und einfordert. Es finden sich tiefsinnige Erörterungen über die Liebe in diesem Roman. Die Erzählung als Ganzes zeigt sich tief verwurzelt in nicht nur arabischen geistigen Überlieferungen und durchdrungen von einer Jahrtausende alten Kultur, der – und diese Anmerkung muss erlaubt sein, ohne sofort den Stempel 'Antiamerikanismus' aufgedrückt zu bekommen – die US-amerikanischen Eroberer und Besatzer des Irak nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen haben und die sie offensichtlich auch gar nicht interessiert.
Gesetzt, dass "Sabiba und der König" wirklich von Saddam Hussein verfasst wurde: Was der Klappentext als Möglichkeit aufwirft, nämlich dass die Taten dessen, den man vor allem als brutalen Politiker wahrzunehmen gewohnt ist, nach der Lektüre leichter verständlich werden, kann sicher verneint werden. Vielmehr hätte man (wieder einmal) ein Beispiel dafür, dass Brutalität und Kultiviertheit in einer Person vereint sein können.

– Ende – 

Thomas Keith


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