Mazedonien

Gefangen in den eigenen vier Wänden

Ein kleines, gelb gestrichenes Haus mit Flachdach. Ein paar Blumentöpfe säumen den zwei Meter langen Betonweg vom Gartentor zur Haustür. Dahinter beginnt das Gefängnis von Tomislav Kezarovski, dem nach Einschätzung der OSZE-Medienbeauftragten Dunja Mijatovic einzigen politischen Gefangenen in Südosteuropa. Sein Lebensraum: 30 Quadratmeter und ein kleiner Garten. Jeder Tag hält einen Schreckmoment für ihn bereit: Wenn die Polizeistreife vor der Tür hupt, muss er binnen Sekunden vor die Tür treten. Um diesen Moment nicht zu verpassen, darf sich Kezarovski tagsüber nicht hinlegen.

Seit fast einem Jahr ist der Journalist inhaftiert, nach gut fünf Monaten in Untersuchungshaft kam er im November 2013 in den Hausarrest. Am 24. Oktober beginnt nun sein Berufungsprozess: Ein Strafgericht hatte den Journalisten im Oktober 2013 für schuldig befunden, in einem seiner Artikel die Identität eines Gerichtszeugen offengelegt zu haben, der in einem Schutzprogramm war. Das Gericht verurteilte ihn zu viereinhalb Jahren Haft, unter Protest von Organisationen wie „Reporter ohne Grenzen“, die in dem Urteil einen Versuch sahen, den investigativen Journalisten Kezarovski einzuschüchtern.


Kezarovski darf keine Interviews geben, keine Mails schreiben

Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung im Mai 2013 recherchierte Kezarovski gerade zu dem mysteriösen Tod des regierungskritischen Verlegers und Journalisten Nikolas Mladenov im März 2013. Deshalb sieht die OSZE-Medienbeauftragte Dunja Mijatovic in dem Urteil den Versuch, Druck auf mazedonische Journalisten auszuüben: „Es verletzt die Pressefreiheit, wenn Reporter für ihre journalistische Arbeit strafrechtlich verfolgt werden“, sagte sie kurz nach seiner Verurteilung.

Nachdem Kezarovski Berufung gegen sein Urteil eingelegt hatte, wurde ihm eine Art Schweigegebot auferlegt. Er darf niemanden von der zermürbenden Zeit im Gefängnis erzählen. Er hat Interviewverbot, darf keine Mails schreiben, nicht in den sozialen Medien posten. Außerdem dürfen mazedonische Journalisten nicht über ihn berichten.

Viele kommen ihn trotzdem besuchen – der Slogan „Freiheit für Keza“ ist Symbol für den Widerstand gegen eine Regierung geworden, die zunehmend diktatorische Züge trägt. „Mehr als 40 Redakteure wurden in den vergangenen vier, fünf Jahren versetzt, viele Medien wurden eingestellt“, sagt Zoran Richliev vom unabhängigen Mediennetzwerk Balkan Investigative Reporting Network (BIRN). Er selbst habe seinen Posten als Chefredakteur verloren und sei von einem Tag zum anderen zum Mindestlohn in der Sportredaktion beschäftigt worden, als er nicht der vorgegebenen Linie folgen wollte.


Fast alle Medien unter staatlicher Kontrolle

Fast alle Medien seien unter staatlicher Kontrolle, kritisiert Richliev: „Sie gehören den Politikern, ihren Verwandten oder Oligarchen. Einige gehören auch Offshore-Companies.“ Die übrigen seien von staatlichen Anzeigen abhängig, um zu überleben. Zudem dürfen Journalisten nur mit Zustimmung ihres Chefredakteurs einer Gewerkschaft beitreten.

„Wir beobachten eine dramatische Einschränkung der Pressefreiheit, aber auch offene Polizeigewalt gegen Journalisten, gerade erst in diesem Sommer“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Deshalb wurde Mazedonien in der Rangliste zur Pressefreiheit 2014 von Reporter ohne Grenzen auf den 123. Platz von insgesamt 180 verwiesen. Vor fünf Jahren war es noch der 34. Platz. Mihr hält es für skandalös, dass Mazedoniens Entwicklung so wenig kritisiert wird, obwohl es sich um einen EU-Beitrittskandidaten handelt.

Tomislav Kezarovski tigert indes jeden Tag zwischen Fernsehen, Computer und Garten hin und her. Er hat gesundheitliche Probleme, darf aber nicht zum Arzt. Er, der zahlreiche Preise für seine investigativen Geschichten bekommen hat und immer unterwegs war, ist arbeitslos. Und mit ihm die ganze Familie: Sein im Nachbarhaus wohnender Bruder und Kezarovskis Frau, die beide in staatlichen Einrichtungen arbeiteten, sind ihre Stellen los. Seine vierzehnjährige Tochter erlebt Repressionen in der Schule. Auf die traditionelle Klassenfahrt nach dem Abschluss der achten Klasse ist sie deshalb nicht mitgefahren.


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