Separatistenführer: „Wir wollen Neurussland“

Rawil Chalikow ist „Vizepremier“ der selbsternannten „Volksrepublik Donezk“, dem von Separatisten besetzten Gebiet in der Ostukraine. Chalikow kommt aus Russland, ist in der Ukraine wegen „Terrorismus“ zur Fahndung ausgeschrieben und kommandiert die bewaffneten Milizen. Im Militärstab, einem Fabrikgelände außerhalb von Donezk, spricht der 45-Jährige über die kommenden Wahlen und die Absichten der Rebellen.
ostpol: Am Sonntag will ihre „Regierung“ Wahlen abhalten. Wie kann eine Abstimmung demokratisch sein, wenn in Donezk bewaffnete Milizen durch die Stadt marschieren und Angst verbreiten?
Rawil Chalikow: Die Bürger entscheiden nicht nur, welche Parteien ins Parlament kommen. Sie dürfen auch die Regierung direkt wählen, zum Beispiel den Premierminister. Das ist demokratischer als in den meisten westlichen Ländern. Übrigens verbreiten unsere Ordnungskräfte nicht Angst, sondern sorgen für Sicherheit.
ostpol: Petro Poroschenko hat Sonderrechte für die Rebellengebiete ins Spiel gebracht und schlägt dort Kommunalwahlen im Dezember vor. Würden Sie sich darauf einlassen?
Chalikow: Poroschenkos Vorschlag ist eine Provokation. Bei uns wird es keine Wahlen eines anderen Staates geben. Ebenso wenig geben wir uns mit Autonomie innerhalb der Ukraine zufrieden. Die Volksrepublik Donezk ist ein unabhängiger Staat.
ostpol: Sie kontrollieren nicht mal die Hälfte des Donezker Oblasts. Kann man das einen „Staat“ nennen?
Chalikow: Wir beanspruchen das ganze Gebiet Donezk, einschließlich der Städte Slowjansk, Kramatorsk und Mariupol. Derzeit steht dort die ukrainische Armee und ich betrachte das als okkupiertes Territorium. Wir werden alles tun, um die besetzten Gebiete zu befreien.
ostpol: Wollen Sie auch den Südosten der Ukraine erobern, also das Land, das russische Nationalisten als „Neurussland“ bezeichnen?
Chalikow: Auch die Schwarzmeerküste muss von der Okkupation befreit werden. Wir wollen Neurussland. Wie das Land in Zukunft heißt, ist aber zweitrangig. Mit der Restukraine möchten wir friedlich zusammenleben. Wir kämpfen nicht gegen das ukrainische Volk. Aber in Kiew wurde eine rechtmäßige Regierung gestürzt, es gab Tote, und das konnten wir nicht hinnehmen.
ostpol: Streben Sie eine Vereinigung mit der „Volksrepublik Lugansk“ an, wo Rebellen eigenständig herrschen?
Chalikow: Darüber denken wir nach. Ein gemeinsames Gremium, den Obersten Rat von Novorossija, gibt es schon. Wie es weitergeht, muss das Volk in einem Referendum entscheiden.
ostpol: Kann ihre „Volksrepublik“ überhaupt eigenständig überleben? Immerhin bekommen Rentner in Donezk ihr Geld noch aus Kiew.
Chalikow: Das stimmt. Wir bauen unsere Unabhängigkeit erst auf. Parlament, Regierung, Polizei und Gerichte gibt es schon. Die Orte außerhalb von Donezk werden von Bürgermeistern und Kriegskommandanturen verwaltet. Das Finanzministerium erhebt Steuern und die leiten wir an die Bürger weiter.
ostpol: Im September zahlten Separatisten umgerechnet 200 Euro in bar an Beamte und Lehrer aus. Woher kam das Geld, etwa aus Russland?
Chalikow: Wie gesagt, wir erheben Steuern. Politisch sind wir jedoch auf Russland angewiesen. Ich hoffe, dass sich Moskau für unsere Rechte in der Welt stark macht. Die Führung hat bereits erklärt, dass sie unsere Wahlen anerkennt. Jetzt muss uns Putin helfen, damit bald Frieden in Donezk herrscht.
ostpol: Aufgebrachte Bürger haben in Donezk protestiert, weil ihre Häuser in Trümmern liegen. Rebellen schießen auf den von der Armee besetzten Flughafen, diese feuert zurück und trifft Wohngebiete. Wann stoppen Sie die Attacken auf den Airport?
Chalikow: Der Flughafen gehört uns, den geben wir nicht auf. Armee und Kämpfer des Rechten Sektors schießen auf friedliche Bürger, nicht wir. Immerhin kontrollieren wir schon einen Großteil des Geländes. Leider haben sich die Ukrainer am Flughafen in unterirdischen Gängen verschanzt. Deshalb ist es schwer, die Konstruktion einzunehmen.
ostpol: Vieles deutet darauf hin, dass in der Ostukraine ein De-facto-Staat entsteht. In Donezk ansässige Unternehmen aber gehören regierungstreuen Oligarchen wie Rinat Achmetow. Was geschieht mit seinem Besitz und mit ausländischen Firmen?
Chalikow: Unser Land soll sich entwickeln und deshalb bin ich dagegen, (den Unternehmern) jetzt alles wegzunehmen. Wir laden Geschäftsleute ein, bei uns zu investieren. Die Volksrepubliken Donezk und Lugansk sind nicht von Kiew abhängig. Eher umgekehrt. Wir haben Kohle, Stahl und Chemieprodukte. Der Winter steht vor der Tür, da wird die Ukraine unsere Rohstoffe brauchen.