Russland vs. EU - Der große Bruder im Osten wirft den beitrittswilligen Balten Knüppfel
Russland vs. EU
Der große Bruder im Osten wirft den beitrittswilligen Balten Knüppfel
zwischen die Beine
Von Vivi Bentin (vivster@gmx.de)
Vilnius (n-ost) Geht der Kalte Krieg in eine neue Runde? Während die
EU-Politiker versuchen, neue und alte Länder innerhalb der europäischen
Familie auf Kuschel- und Harmoniekurs zu bringen, wird das Murren östlich
der neuen Unionsgrenze immer lauter. In einem „Non-Paper“ der russischen Regierung an die EU-Kommission von Anfang Februar heißt es, Russland werde die EU-Erweiterung im Mai nur unterstützen, wenn Brüssel eine Reihe von Forderungen zur Sicherung russischer Interessen in Mittel- und Osteuropa erfülle. So verlangt Moskau in 14 Punkten unter anderem den Aufschub höherer Importzölle auf bestimmte russische Güter, die Aufhebung von Begrenzungen für russische Energieexporte, höhere Getreideimport-Quoten und leichteren Marktzugang für Stahlprodukte.
Diese wirtschaftlichen Forderungen sind aber nicht alles. „Russland versucht mit allen nur möglichen Mitteln, den Mitgliedsstaaten das Leben schwer zu machen und Länder und Themen gegeneinander auszuspielen“, zitiert das Papier einen osteuropäischen Diplomaten. So hat Russland den Vorstoss unternommen, den bereits bestehenden Energie-Dialog mit der EU an den Fortschritt der Verhandlungen ueber andere politisch umstrittene Fragen zu koppeln.
Eine davon ist der Status der russischen Minderheiten in den baltischen
Ländern. Das ist vor allem in Lettland ein Problem. Dort leben 30 Prozent
Russen, die immer wieder ueber Diskriminierung klagen. Bisher sieht es nicht so aus, als ob den russischen Anspruechen nachgegeben wuerde: Erst vor wenigen Tagen, Anfang Februar 2004, wurde ein Gesetz verabschiedet, nach dem auch in den russischen Schulen Lettlands mindestens 60 Prozent des Unterrichts auf Lettisch stattfinden muss.
Ein anderes kniffliges Thema ist die Forderung Russlands nach Visa-Freiheit
bei Reisen in die EU. Brüssels Reaktion auf die russischen Forderungen ist
bisher verhalten. Der außenpolitische Sprecher der Kommission Diego de Ojeda bestätigte, dass Visa-Verhandlungen in absehbarer Zeit nicht auf der
Tagesordnung stünden. Die offizielle Begründung lautet, das russische
Pass-System entspreche technisch nicht den EU-Standards. Inoffiziell ist
aber klar, dass ein politischer Affront wäre, jetzt mit Russland über Visa zu verhandeln, nachdem gerade erst verschiedene EU-Länder Übergangsfristen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus den Beitrittsstaaten verabschiedet haben.
Aber nicht nur die Forderungen, auch die Methoden Russlands bereiten der
EU-Kommission Kopfzerbrechen. Mit dem Ziel, die verschiedenen
Generaldirektionen gegeneinander auszuspielen, ging das neuste Papier an die Bruesseler Handelsexperten, obwohl eine andere Direktion schon vorher mit einem Teil der Probleme befasst war. Diese muessen jetzt, Doppelarbeit hin oder her, eine eigene Stellungnahme verfassen.
Letzten Endes handelt es sich bei diesem Streit mit der EU nur um ein neues
Kapitel in der langen Geschichte Moskauer Forderungen nach einem „Sonderweg
à la russe“. Auf ähnliche Art und Weise, mit Drohgebärden in letzter Minute, hatte der Koloss versucht, den NATO-Beitritt der ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen zu verhindern. In dem Fall ein Eigentor fuer Russland: Die USA griffen den drei baltischen Republiken kräftig unter die Arme und sorgten fuer deren baldige Einladung in die Verteidigungs-Club. Im Frühjahr 2004 werden alle drei feierlich in die transatlantische Allianz aufgenommen.
Ende
Vivi Bentin