Rumänien

„Politik als Fassade der Mafia“

n-ost: Für Ihre traumwandlerische Art, mit der Sie Ihre Romantrilogie „Orbitor“ geschrieben haben, bekommen Sie am Mittwoch den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. In Ihrem Werk lassen Sie einen kommunistischen Wendehals erschrocken sagen: „Mein Gott, was haben wir getan? Wir haben die rumänische Revolution gefickt.“ Ist das Ihre Essenz von der rumänischen Revolution für ein europäisches Lesepublikum?

Mircea Cartarescu: Von meinem Werk könnte in der Tat das erfindungsreiche Bild bleiben, dass die rumänische Revolution, die ich als Riesenfrau darstelle, in einer Orgie von zwergenhaften Politikern eingenommen wird. Es ist mein Zorn über die rumänische Revolution, die zwar die widerwärtige Welt des Kommunismus beendete, doch mit der wir auch belogen wurden.

Inwiefern?

Cartarescu: Unsere Revolution war zwar ein Volksaufstand, der jedoch in einem Staatsstreich kommunistischer Hinterbänkler endete. Sie wollten den Diktator Ceausescu stürzen, nicht aber den Kommunismus beenden. Aus der kommunistischen Nomenklatura hat sich unsere politische Riege formiert, sie wurden Medieneigentümer oder Geschäftsmänner. Sie haben Rumänien unter sich aufgeteilt, wie einen Kuchen, aus dem sich jeder die Rosinen pickte.

Und heute?

Cartarescu: Dieses Prinzip funktioniert bis heute. Doch inzwischen steht diese Nomenklatura vor Gericht oder büßt bereits Gefängnisstrafen ab, für diese enorme Korruption, die sie zu verantworten haben. Auf diese Prozesse haben wir Rumänen fast ein Vierteljahrhundert lang sehnsüchtig gewartet.

Regierungsnahe rumänische Medien haben vor zwei Jahren eine Schmutzkampagne gegen Sie gefahren und Ihnen vorgeworfen, Ihr internationales Renommee künstlich auf Kosten der rumänischen Steuerzahler aufgebaut zu haben, weil Ihre Werke mit Geldern des rumänischen Kulturinstituts übersetzt wurden. Sie haben sich daraufhin als politischer Kommentator der rumänischen Tagespolitik aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Hat man Sie mundtot gemacht?

Cartarescu: Nein, mich lässt die einheimische Politik inzwischen weitestgehend kalt, weil sie mich über die vielen Jahre so enttäuscht hat. Inzwischen weiß ich, dass Politik bei uns nur die Fassade einer parteiübergreifenden Mafia ist. Unsere Parteien vertreten weder Ideologien noch Werte, sondern nur die persönlichen Interessen ihrer Politiker. Ich bin nicht mehr bereit, weder Kraft und Zeit noch mein gottgegebenes Schriftstellertalent für die regelmäßige Analyse dieser Politik zu opfern. Ich konzentriere mich inzwischen nur noch auf meine Literatur und fühle mich seither wie neugeboren.

Die Jury für den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung begründet die Preisvergabe damit, dass Ihre Trilogie ein „monumentales und alle Grenzen sprengendes Prosa-Werk“ sei. Es heißt über Sie, Sie schreiben wie im Rausch.

Cartarescu: Ich benutze beim Schreiben einen Trick. Ich suche in meinem Inneren den Punkt, von dem aus ich die größte Perspektive auf die Dinge habe. Wenn ich diesen Punkt gefunden habe, schreibt sich das Buch fast wie von allein. Mein Verstand steht dabei jedoch unter einem riesigen kreativen Druck, so dass ich oftmals denke, hoffentlich verliere ich ihn nicht dabei. Das ist ernst gemeint – viele Autoren sind im Wahnsinn gelandet. Deshalb treibe ich es nicht auf die Spitze damit.

Sie sind in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Preisen im Ausland geehrt worden. Wie reagiert Ihr einheimisches Publikum auf diese internationale Anerkennung?

Cartarescu: Bücher erreichen in Rumänien in der Regel nur eine geringe Auflage. Bei uns spricht man schon bei einer 2.000er-Auflage von einem Bestseller. Das liegt auch teilweise daran, dass wir einheimischen Autoren in der Regel nur wenig Wertschätzung genießen. Meine Landsleute gehen davon aus, dass jemand, der aus Rumänien kommt, es nicht weit bringen kann. Sie sagen, der Prophet ist im eigenen Land nichts wert. Als wahre Künstler werden vor allem ausländische Schriftsteller gesehen, Haruki Murakami beispielsweise oder Amos Oz.

Woran liegt das?

Cartarescu: Es liegt in unserer Natur, dass wir das geringste Selbstbewusstsein in Europa haben. Wir glauben allen Ernstes, dass alles, was von Außen kommt, besser ist, als wir selbst. Das ist eine riesige Torheit, die wir noch überwinden müssen.

Im Dezember 2014 haben Sie von der Preisverleihung erfahren. Überrascht es Sie, dass man Sie für den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung ausgewählt hat?

Cartarescu: Ich kannte diesen Preis gar nicht. Als ich die Liste mit den bisherigen Preisträgern sah – Claudio Magris oder Imre Kertesz – habe ich mich geschmeichelt gefühlt. Die Auszeichnung hat als wichtigen Aspekt die europäische Verständigung, das macht sie individueller und interessanter. Ich verstehe den Preis nicht nur als Auszeichnung für mein literarisches Werk, sondern auch dafür, dass ich immer an Europa geglaubt habe, und dass mir meine Zugehörigkeit zu Europa wichtiger ist als die zu meiner Nation. Ich habe mich immer als europäischen Schriftsteller gefühlt.


Zur Person:

Der 59-jährige Bukarester Mircea Cartarescu ist einer der renommiertesten rumänischen Schriftsteller. Seine „Orbitor“-Trilogie - ein Familien- und Gesellschaftsporträt von Rumänien - hat sich in seinem Land bislang 160.000 Mal verkauft – eine ungewöhnliche hohe Auflage für Rumänien. Die drei Teile „Die Wissenden“, „Der Körper“ und „Die Flügel“ schrieb Cartarescu in einem Zeitraum von 14 Jahren. Sie sind inzwischen auch ins Deutsche übersetzt, wenngleich der Autor in Deutschland noch weitgehend unbekannt ist, aber als Geheimtipp gilt. Für seine Trilogie erhält der Schriftsteller am Mittwoch den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Der Leipziger Preis wird seit 1994 vergeben und ist mit 15.000 Euro dotiert. Er gehört zu den wichtigsten Literaturauszeichnungen in Deutschland. Der Preis wird vom Land Sachsen, der Stadt Leipzig, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. und der Leipziger Messe ausgelobt.


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