Russland

Ritters süße Ziele

Schon einmal hatten sich die Schwaben nach Russland aufgemacht. Um sich etwas aufzubauen, in einem Land, das auf den Arbeitseifer und Fleiß der Süddeutschen zählte. Das jüngste Kapitel im Buch der gemeinsamen Geschichte beginnt mit einer Grundsteinlegung. Am 19. Februar begann der Schokoladenfabrikant Alfred Ritter symbolisch mit dem Bau einer neuen Produktionsstätte im Gebiet Tschechow.

Tschechow (n-ost) „Ich bin überzeugt, dass wir für unsere Fabrik keinen besseren Ort hätten finden können“, sagt Ritter zuversichtlich in die eisig kalte Winterluft. Der Februar formt Kondenswölkchen aus den feierlichen Worten des Firmenchefs, der eigens für die Grundsteinlegung aus dem schwäbischen Waldenbuch angereist war, gemeinsam mit seiner Schwester und weiteren Managern des traditionsreichen Familienbetriebes.
Seit mehr als 90 Jahren produziere man die quadratisch-praktisch-gute Schokolade in der Nähe von Stuttgart und vertreibe sie von da aus in mehr als 60 Länder der Welt, erzählt Geschäftsführer Olaf Blank. Jetzt gelte es für die sportliche Süßigkeit eine neue Heimat zu finden. Die Wahl sei dabei auf Russland gefallen, „weil die Menschen hier etwas von Schokolade verstehen“, formuliert der Geschäftsmann fast poetisch. Doch dass ausgerechnet das Land der Wodkatrinker und Kaviaresser auserkoren wurde für die erste Rittersport-Fabrik außerhalb Deutschlands hat auch handfeste wirtschaftliche Gründe. Zum einen die hohen russischen Importzölle, die trotz steigender Nachfrage nach den bunten Schokoladenquadraten in Moskau und Petersburg den Gewinn der Produzenten schmälern. Da mache es einfach keinen Sinn, die Produkte aus Deutschland einzuführen, sagt Ritter, Firmenchef in dritter Generation. Einzig sinnvolle Alternative: Produktion im Ausland. Eine solche aufzubauen, sei heutzutage allerdings sehr teuer, betonte Blank. Russland jedoch sei im Hinblick auf das Preisniveau noch verhältnismäßig günstig. Und auch der offensichtliche wirtschaftliche Aufschwung mache das Land für Investitionen attraktiv. Ein „Window of Opportunities“ habe sich da aufgetan, dass man nicht achtlos zuschlagen dürfe, sondern zur Kommunikation nutzen müsse.
So soll die neue Schokoladenfabrik nicht nur eine der modernsten in ganz Europa werden, sondern sie soll auch „ein Ziegelstein im Gebäude des neuen Russland“ sein, hob Quirin Wydra hervor. Der Geschäftsführer der Handelsgesellschaft Mawy, die unter anderem den Vertrieb von Rittersport in Russland organisiert, hatte sich ganz besonders für den Aufbau einer Fabrik engagiert. Hatte er doch erlebt, wie begeistert die Schokolade aus dem Schwabenland in Russland angenommen wurde. Aus dem vor gut zwei Jahren eingerichteten Testmarkt entwickelte sich ein stabiler Wachstumsmarkt: 20 Millionen Dollar setzte Rittersport im vergangenen Jahr in Russland um, im Vergleich zu 2002 wuchs der Umsatz um 80 Prozent. In Moskau gehört Rittersport mit einem Marktanteil von sieben Prozent inzwischen zu den führenden Marken und ist in 70 Prozent der Lebensmittelläden der Hauptstadt zu kaufen, sagt Geschäftsführer Blank. Zwar sei der Anteil Russlands am Gesamtumsatz der Firma (2001: 235 Millionen Euro) mit gerade mal drei Prozent noch gering, doch bedeute Russland „Zukunft für unser Unternehmen“, so der Geschäftsführer, der es für realistisch hält, dass der Umsatzanteil in den nächsten Jahren auf zehn bis 15 Prozent anwächst.
Schwere Baufahrzeuge stehen am Straßenrand, das geschäftige Auf- und Abfahren einer Raupe bildet die Geräuschkulisse zu den feierlichen Reden der angereisten Administrativen: der Außenwirtschaftsminister aus Moskau, der Bürgermeister von Tschechow, der Gouverneur lässt sich entschuldigen. Über dem tiefgefrorenen Bauplatz flattern die Fahnen der beteiligten Firmen im Februarwind. 25 bis 30 Millionen will die Alfred Ritter GmbH hier investieren. So soll demnächst erst einmal das Grundstück gekauft werden, mehrere Hektar gleich gegenüber dem Ortseingangsschild von Tschechow. 1954 wurde die Stadt etwa anderthalb Stunden südlich von Moskau gegründet, heute ist sie stolz auf ihre Sportler. 23 schicke man in diesem Jahr zur Olympiade nach Athen, als Doping hätten sie wahrscheinlich Schokolade im Gepäck, scherzt der Bürgermeister. Einen riesigen Sportpalast nebst Eishalle für die Hockeymannschaft hat er kürzlich mitten in die Stadt bauen lassen. Die gleiche Glasbau-Firma, die den blau-glänzenden Turntempel in Tschechow hochgezogen hat, ebenso wie die Stahl- und Glaskonstruktion der Moskauer DaimlerChrysler-Niederlassung oder den Einkaufskomplex „Atrium“, soll auch die Rittersport-Fabrik bauen. Nächstes Jahr um diese Zeit sollen die Bauarbeiten beginnen, damit im Jahr 2006 die Produktion anlaufen kann: 15 000 Tonnen Schokolade am Anfang, später mindestens das doppelte.
Kritische Stimmen behaupten, dass man sich ziemlich viel Zeit lasse. Doch Blank betont, dass das Engagement in Russland langfristig angelegt sei, dass es gelte, eine lange Tradition aufzubauen, „so wie wir das mit unserer Schokolade auch gemacht haben“.
Tschechow sei dafür ideal, betont der Verwaltungschef der Stadt, die deshalb den Zuschlag der Schwaben bekommen habe, weil man hier von Anfang an eine „hervorragende Zusammenarbeit“ erfahren habe, betont Alfred Ritter. 150 bis 200 Arbeitsplätze haben die Schokoladenfabrikanten aus Deutschland den russischen Behörden versprochen. Ganz sicher nicht zu Lasten des Arbeitsmarktes in Waldenbuch, wie Ritter auf Nachfrage betont. Die Stellen die in Russland entstehen, werden im Zusammenhang mit dem neuen Werk neu geschaffen. Dass dadurch im Stammwerk Arbeitsplätze verloren gingen, sei lediglich ein Gerücht. Im Gegenteil, auch in Waldenbuch würde man investieren - acht Millionen Euro seien kürzlich in den Traditionsbetrieb geflossen und 80 neue Mitarbeiter angestellt worden (insgesamt etwa 790), um die gestiegene Nachfrage nach Rittersport-Schokolade zu bewältigen, erklärt Geschäftsführer Blank. In dem neuen Werk in Russland werde lediglich für den russischen Markt und eventuell für die angrenzenden GUS-Staaten wie Kasachstan oder die Ukraine produziert. Alle anderen Länder werden weiterhin aus dem Schwabenland beliefert.



Kleine Firmengeschichte (für eine BOX!!!)

1912: Gleich nach ihrer Hochzeit eröffnen Alfred und Clara Ritter in Bad Cannstadt bei Stuttgart eine Schokolade- und Zuckerwarenfabrik.

1926: Vier Jahre bevor die Firma aus Platzgründen ins idyllische Waldenbuch umzieht, wird der erste Firmenlastwagen angeschafft.

1932: Clara Ritters Idee, eine quadratische Schokoladentafel herzustellen, die in jede Jackentasche passt, ohne zu zerbrechen, wurde vom Rest der geschäftstüchtigen Familie begeistert aufgenommen und so entstand Ritter’s Sport Schokolade.

1960: Der Sohn der Firmengründer, Alfred Otto Ritter, beschließt, sich auf die Produktion von Schokoladenquadraten zu konzentrieren. Zehn Jahre später entsteht die Marke Ritter Sport und der Slogan „Quadratisch. Praktisch. Gut“.

1976: Kurz nachdem die bunte Verpackung eingeführt und der Umsatz über die 100 Millionen Mark Marke geklettert ist, wird das legendäre Knick-Pack eingeführt und zu einem unverkennbaren Markenzeichen.

1982: Je größer das Unternehmen, umso kleiner die Produkte: Ritter Sport Mini kommt auf den Markt, gefolgt von diversen Diät-Sorten. Der Umsatzrekord beträgt mehr als eine halbe Milliarde DM Ende der 90er Jahre.

2004: Grundsteinlegung in Tschechow/Russland für das erste Schokoladen-Werk außerhalb von Deutschland.


Fotos:

Nummer 1880: Ritter und Schwester Marli Hoppe-Ritter

1874: Ritter legt Grundstein

1866: Wydra unterschreibt Dokument zur Grundsteinlegung, im Hintergrund Alfred Ritter

1863: Porträt Alfred Ritter vor wehenden Firmen-Fahnen

1853: Eröffnung allgemein mit Firmenvertretern und Lokalpolitikern

1856: Segnung der Baustelle durch Vater German

1848: Geschäftsführer Olaf Blank demonstriert den Knick-Pack

1847: Die Führungsriege: Quirin Wydra, Geschäftführer der Vertriebsgesellschaft Mawy, die Firmeninhaber Marli Hoppe-Ritter und ihr Bruder Alfred, Geschäftsführer Olaf Blank



Ende – 

Dana Ritzmann


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