Bürgerinitiative für einen Mädchenmörder
Der verurteilte Kriegsverbrecher Juri Budanow erfreut sich nicht nur privilegierter Haftbedingungen, er soll auch zum Hoffnungsträger im Kampf gegen die Tschetschenen aufgebaut werden.
Von Wiktor Gussew (hamar-jal@gmx.de)
Uljanowsk (n-ost) Der Anschlag auf die Moskauer Metro, bislang letzter Terrorakt in einer Serie von Anschlägen, die Tschetschenen zur Last gelegt werden, löste in der Provinzhauptstadt Uljanowsk an der mittleren Wolga ein bemerkenswertes Echo aus: Eine Bürgerinitiative fordert die Freilassung von Oberst Juri Budanow, dem bekanntesten Militärverbrecher des Tschetschenienkrieges.
Der ehemalige Kommandeur des 160. Panzerregimentes der russischen Armee hat am 27. März 2000 im tschetschenischen Dorf Tangi-Tschu das 18-jährige Mädchen Elsa Kungajewa entführt und erwürgt. Das Gerichtsverfahren dauerte dreieinhalb Jahre und wurde aufmerksam von in- und ausländischen Beobachtern verfolgt. Am 26. Juli 2003 wurde Budanow zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Die „Empörung des Volkes” ließ nicht lange auf sich warten. Schon am 31. Juli 2003 gab eine Uljanowsker Initiativgruppe ihre Absicht bekannt, Budanow für die Parlamentswahlen zu nominieren, um ihn durch die Abgeordnetenimmunität vor dem Gefängnis zu retten. Ein entsprechendes Statement für die Presse blieb anonym. Es ist aber allgemein bekannt, dass hinter der Idee der Uljanowsker Gouverneur Wladimir Schamanow stand. Schamanow ist ein Tschetschenien-erfahrener General-Leutnant und Inhaber der höchsten Militärauszeichnung „Held Russlands”. Als direkter Vorgesetzter Budanows im zweiten Tschetschenien-Krieg forderte Schamanow während des ganzen Prozesses vehement einen Freispruch für den „ehrlichen russischen Soldaten” und betonte öffentlich seine Freundschaft mit dem Mädchenmörder.
Als dies alles nichts half, setzte Schamanow immerhin die Versetzung seines verurteilten Kameraden in ein Gefängnis in der von ihm regierten Region durch. Seit Herbst 2003 sitzt Budanow nun in der Strafanstalt JUI-78\3 in Dimitrowgrad, einer Kreishauptstadt 123 km östlich von Uljanowsk. Über die Haftbedingungen kann sich der Kriegsverbrecher kaum beklagen: das Gefängnis ist eine so genannte „rote Zone”, eine für Russland seltene Musteranstalt, die die örtliche Justizabteilung gerne Moskauer Inspektoren und europäischen Menschenrechtlern vorzeigt.
Der Anstaltschef Sergej Zechmestrenko betont, dass der Insasse Budanow seine Strafe unter den allgemein üblichen Bedingungen absitzt und keine Sonderrechte genießt. Auch Gerüchte, nach denen Wärter den Häftling mit militärischen Ehrenbezeugungen begrüßen, will der Anstaltsleiter nicht bestätigen. Hinter vorgehaltener Hand wird man in der Regionalen Abteilung für den Strafvollzug des Justizministeriums deutlicher. Demnach wird Budanow auf Gefängnisgelände ehrfurchtsvoll mit „Genosse Oberst” angeredet. Und selbst die Pressestelle der Strafvollzugsbehörde räumt ein, dass Mädchenmörder Budanow im Dezember 2003 zum „Organisator der Sportwettbewerbe und -veranstaltungen der Anstalt“ befördert wurde. Innerhalb der Anstaltshierarchie kommt dies einem Ritterschlag gleich.
Der ehrenamtliche Sportleiter der „roten Zone” verbietet es Journalisten, Fotos von sich zu machen: „Meine Mutter darf mich nie in Anstaltsuniform sehen.” Seine Verurteilung betrachtet der „Genosse Oberst“ weiterhin als ein Komplott tschetschenischer Terroristen mit den Moskauer Politikern: „Der arme Vater des toten Mädchens ist mit der ganzen Familie nach Norwegen ausgereist. Für wessen Geld, frage ich?”
Budanow fordert auch die Rückgabe seiner Militärauszeichnungen, die ihm gemäß russischer Gesetzgebung nach der Verurteilung weggenommen wurden: „Ich habe diese Orden nicht geschenkt bekommen, ich habe mein Blut für Russland vergossen. Keiner darf mir sie wegnehmen.” Nach den langen Gerichtsstrapazen fühlt sich Budanow müde, will von Journalisten nicht behelligt werden. Doch zugleich weiß er sich von Mütterchen Russland gebraucht: „Ohne mich und meine Freunde kann man die Tschetschenen nicht stoppen.”
Dieser Meinung sind auch die Organisatoren der „Bürgerinitiative“ zur Freilassung Budanows. Sie machen nun vehement für seine Freilassung mobil, versuchen die Öffentlichkeit mit Verweisen auf tschetschenische Anschläge dafür zu gewinnen. Hinter der „Bürgerinitiative”, die ursprünglich am 04.05.2001 als „Uljanowsker Verein der Veteranen von lokalen bewaffneten Konflikten“ gegründet wurde, steckt Gouverneur Schamanow. Finanzier ist die von ihm ins Leben gerufene persönliche Schamanow-Stiftung „Ordnung. Reformen. Sicherheit.” Schamanow ist neben seinem Posten als Gouverneur noch Doktor der psychologischen Wissenschaften. Promoviert hat der umtriebige Politiker zum Thema „Rehabilitierung von Militärangehörigen nach langen Kampfeinsätzen“.
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Wiktor Gussew