Litauen

Spiel mit dem Feuer

Vilnius (n-ost) Frage: „Wer regiert die Welt?“ Antwort: Die Juden und die Schwulen. Soweit zumindest die Meinung der litauischen Zeitung „Respublika“. Unter dieser Schlagzeile eine Karikatur: ein Mann mit Ohrringen und String-Tanga, wie man sich eben einen Schwulen vorstellt. Zu seiner Rechten der „ewige Jude“ mit Stirnlöckchen und listigem Gesichtsausdruck. Auf ihren Schultern ruht die Weltkugel. Ein Bild, wie es sich die nationalsozialistische Propaganda nicht besser hätte einfallen lassen können. Aber es ist das Jahr 2004, und wir sind in Litauen.

„Sie lügen, sie privatisieren, sie diktieren unsere Gedanken, sie missachten das Gesetz“, schreibt der Herausgeber der „Respublika“ Vitas Tomkus am 20. Februar in seinem Blatt - eigentlich eine der beiden großen und anerkannten Tageszeitungen Litauens. Und das war erst der Anfang. Denn seitdem ergeht sich Tomkus in seinen „Briefen an die Leser“ fast täglich in polemisch-provokativem Ton über diese beiden Minderheiten.„Die Juden sind durch die Erinnerung an den Holocaust geschützt, die Schwulen gelten als besonders ‚aufgeklärt’“, schreibt Tomkus. „Deshalb werde ich die Frage: ‚Wer regiert die Welt?’ nur teilweise beantworten. Andere, die das versuchen haben, stellen heute keine Fragen mehr.“

Damit erklärt er einen der Gründe für seine Schmutzkampagne: 1993 war der stellvertretende Herausgeber der „Respublika“, Vitas Lingys, unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Laut Tomkus eine Tat der „Vilnius-Brigade“, einer „Gangsterbande der jüdischen Mafia“, die den engagierten Journalisten mundtot machen wollte. Insbesondere beklagt Tomkus, dass sich die jüdische Gemeinde Litauens bis heute nicht öffentlich für dieses Attentat entschuldigt hat. Noch immer findet sich in jeder Ausgabe der Zeitung eine Gedenknotiz für den toten Kollegen, „ermordet auf Befehl krimineller und korrupter politischer Kräfte“.

Obwohl es heute in Litauen nur noch etwa 5500 Juden gibt, gehören diese zu einer der unbeliebtesten Volksgruppen. In einer Umfrage von Beginn des Jahres lagen sie auf dem zweitletzten Platz der Beliebtheitsskala - vor den Zigeunern. Auch haben viele Litauer den Besuch des Sprechers der israelischen Knesset Reuven Rivlin im September 2003 nicht vergessen. Dieser hatte damals in deutlichen Worten die Rehabilitierung von „Judenmördern“ beklagt und die Rückgabe jüdischen Besitzes gefordert.

Dennoch ist man sich einig, dass Tomkus zu weit gegangen ist. Der Direktor des Simon Wiesenthal Zentrums Efraim Zuroff tobte: „Dieser offensichtliche Antisemitismus ist mehr als geschmacklos, und wir fordern sofortige rechtliche Schritte gegen diese beschämenden Bemühungen, Rassenhass zu schüren.“ Ueberraschend ist allerdings, dass nach Erscheinen der ersten „Respublika“-Karikatur über zwei Wochen vergehen mussten, bevor die litauischen Politiker öffentlich Stellung bezogen. Und das auch erst, nachdem die EU-Botschafter bereits mit einer Demarche gedroht hatten. Schon war unter den Vertretern der Union hinter vorgehaltener Hand die Frage gestellt worden, ob man denn nach diesen Vorkommnissen den 1. Mai, sprich den EU-Beitritt Litauens, überhaupt noch feiern dürfe.

Umso leidenschaftlicher bedauert jetzt die litauische Führung ihr Verhalten. „Die Reaktion der litauischen Politiker und der Gesellschaft hätte sehr viel schneller und strenger ausfallen müssen“, gab der Präsident des Parlaments Arturas Paulauskas zu. So beantragte er nun eine Untersuchung des Falls durch den Nationalen Sicherheitsdienst und den Generalstaatsanwalt. Am 8. März beschloss das litauische Parlament (Seimas) einstimmig, seinen Vertrag zur Veröffentlichung von Gesetzestexten und offiziellen Dokumenten mit „Respublika“ zu kündigen. Gleichzeitig wetterte Premierminister Brazauskas: „Solche unverantwortlichen Handlungen sind nicht zu tolerieren und diskreditieren unseren Staat sowie unsere Nation.“

Der letzte Politiker, der Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus verurteilte, war der litauische Präsident Rolandas Paksas. Aber er vermied es, den Namen der Zeitung zu nennen, in der die Hetzartikel erschienen waren. Zum einen, weil er „Respublika" generell nahe steht, zum anderen, weil direkt neben den umstrittenen Zeichnungen Lobhymnen auf ihn und seine Arbeit prangten.

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