Bosnien-Herzegowina

Lichtblicke im verfassten Chaos

Neue Fabrikhallen in Weiß und Rot, hohe metallene Silos, dahinter die Ruine einer alten Festung: in Bileca, im hintersten Winkel Bosniens, hat Henkel für neun Millionen Euro ein Werk für Baustoffe errichtet. 30 Leute arbeiten hier. Für den Düsseldorfer Konzern mit 47.000 Beschäftigten sozusagen ein Fliegenschiss, für diese Region aber ein Segen. Bileca liegt zwar nur gut 60 Kilometer vom kroatischen Touristenmagneten Dubrovnik an der Adria entfernt, hierher in den serbischen Teil von Bosnien verirrt sich aber höchstens mal ein Mensch, der die benachbarte malerische Stadt Trebinje besichtigen möchte.

Auch 20 Jahre nach dem Ende des Krieges ist das Investitionsklima schlecht in Bosnien und Herzegowina – das Weltwirtschaftsforum setzt das Land auf Rang 111 von 140 Ländern. Doch immer wieder wagen sich Firmen aus Deutschland, das wichtigster Handelspartner ist, in das kleine Land mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern. Da ist der Industriegas-Hersteller Messer, der mehrere Niederlassungen hat. Oder der bayerische Milchverarbeiter Meggle, der in Bihac in Westbosnien gerade für sechs Millionen Euro eine zweite Molkerei gebaut hat.

Meggle verkauft seine Produkte auf dem Balkan und profitiert jetzt davon, dass Bosnien Milch in die EU exportieren darf. Auch bei Henkel sieht man den Standortvorteil. „Unsere Rohstoffe, Sand und Zement, sind schwer, und unser Produkt ist schwer. Da müssen wir nah am Kunden sein. Und den sehen wir in Bosnien, aber auch im angrenzenden Kroatien, Montenegro und Albanien“, sagt Firmensprecher Holger Elfes. Dort gebe es „großen Renovierungsbedarf“.


Die Teilstaaten drohen mit Abspaltung

Für Bosnien gilt das auch politisch. Der Friedensvertrag von Dayton hat am 14. Dezember 1995 den dreijährigen Bürgerkrieg beendet – 100.000 Menschen sind dabei ums Leben gekommen, zwei Millionen vertrieben worden. Dayton hat aber auch ein Land geschaffen, das kaum zu überschauen ist, mit 14 Regierungen und 14 Parlamenten. Der gemeinsame Staat ist schwach, stark sind die kroatisch-bosnische Föderation und die serbische Republik. Die Muslime, die unter dem Krieg am meisten gelitten haben, sehen sich nach wie vor bedrängt. So wünschen sich die Nationalisten auf kroatischer Seite ihre eigene unabhängige Entität im Staate. Die kroatischen Bosnier haben auch kroatische Pässe, dürfen also auch in Kroatien wählen, wo sie als sichere Bank der rechtskonservativen Partei HDZ gelten.

Auf der anderen Seite droht Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska, allenthalben mit einem Referendum zur Unabhängigkeit seines Teilstaats. Dass er dabei aber nicht auf die Unterstützung Serbiens zählen darf, hat der Belgrader Premier Aleksandar Vucic unmissverständlich klargemacht. Anfang November tagten zum ersten Mal die Kabinette Serbiens und Bosniens gemeinsam in Sarajevo, unter Ausschluss der bosnischen Teilstaaten – Dodiks Referendum war kein Thema. Wenn in dieser Woche (14. Dezember) in Brüssel die ersten beiden Verhandlungskapitel zum EU-Beitritt Serbiens eröffnet werden, dann hat das sicher auch damit zu tun, dass Belgrad Sarajevo entgegenkommt.


Berlin rechnet mit Wachstum


Sobald der serbische Premier Aleksandar Vucic aus Brüssel zurückkehrt, wird er erneut Milorad Dodik bremsen müssen. Der hat gerade der Justiz die Zusammenarbeit aufgekündigt, weil Ermittlungsbeamte aus Sarajevo in der Republika Srpska fünf Männer unter dem Verdacht der Kriegsverbrechen festnahmen, ohne die Behörden in Banja Luka einzubeziehen. Das Verfassungsgericht in Sarajevo wird bisher schon häufig von beiden Teilstaaten ignoriert. Aktuelles Beispiel: das Gericht hat den Gründungsfeiertag der Republika Srpska am 9. Januar für verfassungswidrig erklärt. Worauf Dodik prompt ankündigte, den staatlichen Feiertag auf jeden Fall weiterzufeiern.

Das Verfassungsgericht nennt in seiner Mehrheitsentscheidung das Datum diskriminierend für die anderen Ethnien. Der 9. Januar 1992, als die bosnischen Serben ihren eigenen Staat ausriefen, gilt vielen Muslimen als der Tag, an dem die Vertreibung der Nicht-Serben aus der Republika Srpska begann, verbunden mit Mord und Vergewaltigung. Schließlich sollten sich im Krieg alle drei großen Volksgruppen dieser Mittel bedienen.

Ein Lichtblick im Bosnien von heute ist, trotz der komplizierten politischen Struktur, die Wirtschaft. Berlin rechnet in diesem Jahr in Bosnien mit einem Wachstum von mehr als zwei Prozent, 2016 sogar von mehr als drei Prozent. Mit der Autobahn zum Wallfahrtsort Medjugorje hat das Land gerade Anschluss ans kroatische und damit europäische Fernstraßennetz erhalten. Eine Autobahn, die übrigens mithilfe der EU entlang der Küste weiter nach Montenegro, Albanien und ins griechische Patras verlängert werden soll. Dann sitzt das Henkel-Werk in Bileca direkt an der Schnellstraße.


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