Russland

Damoklesschwert Ölpreis

Moskau ist in diesem Winter mehr denn je eine Stadt der Widersprüche. Die noblen Restaurants und Bars im Zentrum sind wie immer von Geschäftsleuten, Politikern und hohen Beamten bevölkert. Man gibt sich selbstbewusst, das Auftreten ist lässig, die Krise bleibt vor der Tür. Und auf den Straßen reihen sich die teuren Geländewagen und Limousinen im notorischen Moskauer Stau.

Und doch schiebt sich ein Gefühl der Verunsicherung wie eine dunkle Wolke über die Stadt: Denn von den digitalen Anzeigetafeln der zahlreichen Wechselstuben leuchten in grellem Rot immer neue Tiefstände des Rubels.


Am Öl hängt Putins Beliebtheit

Putins Popularität stützte sich in den vergangenen 15 Jahren zu einem erheblichen Teil auf die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation für große Teile der Bevölkerung. Verschlechtert sich nun die Lage der Russen, könnte dies die Zustimmungswerte für Putin zum Bröckeln bringen. Zudem finanziert sich der russische Staatshaushalt zur Hälfte aus dem Energiesektor. Die russische Regierung hat mit einem Ölpreis von 50 Dollar pro Barrel kalkuliert. Doch der aktuelle Preis liegt nur noch rund 30 Dollar, während er Anfang 2015 noch über 50 Dollar betrug.

Die Firmen im Öl- und Gassektor haben bereits jetzt mit gesunkenen Einnahmen zu kämpfen. So hat die Gazpromaktie seit Anfang des Jahres über 15 Prozent an Wert verloren. Dabei dominiert Gazprom, der größte Gasproduzent weltweit, die russische Gasproduktion mit 470 von 635 Milliarden Kubikmetern gesamter Förderung.


Hoffnung China

Gazprom, das auch auf dem Ölmarkt aktiv ist, leidet nicht nur unter den gesunkenen Preisen, sondern ebenso unter Problemen mit den Transitländern, vor allem mit der Ukraine. So hat der ukrainische Konzern Naftogaz vor Kurzem verkündet, die Durchlitungsgebühren für russisches Erdgas zu erhöhen. Auch die Streitigkeiten Russlands mit der Türkei drohen zu einer Belastung zu werden, denn die Türken sind der zweitgrößte Abnehmer von Gazprom außerhalb der postsowjetischen Staaten.

Gazprom setzt nun, wie große Teile der russischen Wirtschaft, immer stärker auf den chinesischen Markt. Rosneft, der bedeutendste russische Ölkonzern, leidet noch unmittelbarer unter den gefallen Energiepreisen. Doch das Unternehmen gibt an, dass auch bei den jetzigen Preisen die Rohölförderung noch absolut profitabel sei.

Trotzdem sind die negativen Effekte auf das Wachstum des Landes nicht zu übersehen. So räumt der Minister für Außenwirtschaft der Stadt Moskau, Sergej Cheremin, in einem Interview mit dieser Zeitung ein: „Die Probleme werden durch die frühere, einseitige Orientierung auf Rohstoffe hervorgerufen. Dadurch treffen die gesunkenen Ölpreise die russische Wirtschaft jetzt sehr hart.“


Fatale Abhängigkeit

Damit spricht Cheremin das Grundproblem der russischen Wirtschaftspolitik an. Russland hat es in den Jahren hoher Ölpreise und starker Wachstumsraten verpasst, seine Wirtschaft zu diversifizieren. Zwar wurde ein Staatsfonds geschaffen, in den Gelder aus den Ölexporten flossen. Doch Unternehmen aus anderen Branchen empfingen nur sehr geringe staatliche Unterstützung. So hat die Abhängigkeit Russlands von Öl und Gas seit Putins Amtsantritt im Jahr 2000 noch weiter zugenommen: Sie stehen für über die Hälfte der russischen Exporteinnahmen.

Russlands gegenwärtige Probleme sind deshalb auch eher auf die zu große Abhängigkeit von Energieexporten als auf die Sanktionen des Westens zurückzuführen, die die EU und die USA wegen des Ukrainekonflikts verhängt haben. Allerdings betont Cheremin: „Auch die Finanzsanktionen der EU sowie die mangelnde Liquidität des russischen Bankensektors haben einen gewissen negativen Einfluss“. Russische Banken wie die VTB Bank und die Gazprombank mussten bereits im vergangenen Jahr von der Regierung gestützt werden.

Zu den genannten Problemen kommt der stark gesunkene Rubelkurs. Ein Euro stand zuletzt bei 92 Rubel und kommt damit seinem absoluten Höchststand gegenüber dem Rubel vom Dezember 2014 wieder sehr nahe. Die russische Führung sieht allerdings auch einen Vorteil in der Rubelschwäche. Denn die große Mehrzahl der russischen Exporte, vor allem die Rohstoffe, werden in Dollar abgerechnet. Dagegen erfolgen die Ausgaben des russischen Staates auf Rubelbasis. Die Realeinkommen der Russen gingen aber 2015 um 10 Prozent zurück. Für sie wird der Einkauf von Lebensmitteln im Supermarkt daher immer teurer.

2016 wird deshalb ein Jahr der Wahrheit für Putin: Es wird sich zeigen, ob er endlich ernsthafte Schritte unternimmt, um die fatale Abhängigkeit des Landes von Öl und Gas zu reduzieren.


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