Russland

RLW #37: Gastronomischer Imperialismus

Liebe Leserinnen und Leser, wie kommt es eigentlich, dass die Russen ihre gastronomischen Gelüste am liebsten in ukrainischen oder georgischen Restaurants ausleben? Oder, wenn das Geld nicht reicht, in zentralasiatischen Imbissen? In der Ukraine leben doch lauter Faschisten, und in Georgien lauter politisch unzuverlässige Elemente. Hat Russland etwa keine herrliche Nationalküche, auf die jeder Russe stolz sein kann?

Nein, weil es keine russische Nation gibt, und nie gegeben hat, schreibt der Publizist Maxim Gorjunow. Donnerschlag! Nun, so neu ist die Erkenntnis nicht. Was bedeutet sie aber für die Vorlieben der Russen? Ganz einfach. „Die russländische Küche ist die Küche eines Imperiums“. Für die kulinarischen Traditionen des russischen Kernlandes interessieren sich die Russen kaum. Der Magen fordert Exotik, von der Peripherie des alten Imperiums in die Hauptstadt gekarrt. Worüber der Russe politisch nicht verfügen kann - anders als in den guten alten Tagen - das verleibt er sich ein. Ganz wörtlich.

Der Russländer geht zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot in jedes beliebige zentralasiatische Freßlokal. Dort nagt er genüßlich an getrocknetem Pferdefleisch, so fest wie die Sohle eines Armeestiefels, er lobt den Pilaw mit gelber Mohrrübe aus Samarkand … Sein Hauptmotiv dabei, freudianisch ins Unterbewuste verdrängt - die Ekstase der Eroberung. Mit jedem Biss kostet er den herben, niederträchtigen Geschmack des klassischen imperialen Pogroms. Und während er kaut, vor Genuss die Augen rollend, ziehen vor seinem geistigen Auge Bilder von Heldentaten russischer Militärs vorbei. Sie haben schöne grüne Uniformen und Waffen und schauerliche Masken. Wie höflich und flott haben sie diesen ukrainischen Maulaffen eine ganze Halbinsel weggenommen! Und mit ihrem Draufgängertum haben sie den Medien der zivilisierten Völker richtig Angst eingejagt!

Wahr und wahrhaftig, solche Hochgefühle vermag kein russischer Brei auszulösen. Den kocht auch zuhause niemand. Stattdessen: Pilaw aus Usbekistan oder ukrainischen Borscht. Wenn russische Gerichte eines Tages solche Begeisterung auslösen, schreibt Gorjunow, hat Russland sein imperiales Erbe aufgearbeitet. Und keinen Tag eher.

Die Aufarbeitung des imperialen Erbes steht in Russland tatsächlich nicht auf der Agenda. Dafür die Gefahr der Homosexualisierung der jungen Russen, die es entschieden zu bekämpfen gilt. Wohlgemerkt: eine Gefahr der Homosexualisierung durch Tiere! Beziehungsweise… Moment. Durch die Berichterstattung über Tiere. Männliche Tiere, die zusammen in einem Gehege leben. Die Rede ist natürlich von der so genannten ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Bock und einem Tiger in einem Safari-Park in Russisch-Fernost. Haben sich die beiden etwa verschworen, um gemeinsam „Homo-Propaganda“ zu betreiben? Ein Jurist aus Nowosibirsk hält das für sehr wahrscheinlich, und hat sich deshalb an die Staatsanwaltschaft gewandt, mit der Bitte, den Fall zu prüfen. Denn, wie der Mann in seiner Anfrage schrieb: „Welche Art von Beziehung die beiden pflegen, ist unbekannt“. Nun, vielleicht ja gar keine mehr?

Von Fragen zu Gewissheiten, liebe Freunde der skurrilen Russland-Meldungen! Zu freudigen Gewissheiten, jedenfalls für Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin. Die Stadt Moskau hat im vergangenen Jahr mit Arbeitserlaubnissen für ausländische Gastarbeiter mehr Geld verdient als mit Steuern von Ölfirmen, die ihre Zentrale in Moskau haben. Ganze elf Milliarden Rubel brachten die überwiegend aus Zentralasien stammenden Migranten der russischen Hauptstadt ein, die Straßenkehrer, Bauarbeiter und Taxifahrer, all die Menschen in Jobs, für die sich die Russen zu fein sind - noch. Die saftigen Gewinne gehen auf die Tatsache zurück, dass die „Gastarbeitery“ anders als die russischen Ölfirmen ihre Steuerlast nicht über sämtliche Firmenstandorte verteilen können. Und sowieso sind sie ganz physische Personen - was viele Moskauer leider nicht wahrhaben wollen.

„Russland letzte Woche“ ist ein eklektischer Rückblick auf die Vorgänge da drüben im Osten, geschrieben von Pavel Lokshin in Kooperation mit n-ost. Für Abonnenten jeden Montagmorgen als Newsletter und auf ostpol.

Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und unter lokshin@n-ost.org.


Weitere Artikel