Polen

Zwischen zwei Polen

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Im Polnischen gibt es den Begriff „dziennikarstwo tozsamosciowe“. Das Deutsche hat dafür kein Äquivalent. Wörtlich ließe er sich mit „Identitätsjournalismus“ übersetzen. Damit sind Medien gemeint, deren Linie mit der Meinung großer gesellschaftlicher Gruppen oder einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht übereinstimmt. Diese gesellschaftlichen Gruppen legen eine solche Identität erst fest.

Das Phänomen des „Identitätsjournalismus“ findet man auch außerhalb Polens. Es ist für eine Reihe westlicher Länder typisch, deren politische Landschaft gespalten ist. So hat beispielsweise in den USA die Feindschaft zwischen Republikanern und Demokraten ein Ausmaß erreicht, das früher undenkbar gewesen ist.


In zwei Lager gespalten

Aber ich spreche von Polen. Dieses Land ist in zwei Lager gespalten, die einander nicht ausstehen können. Manchmal schlägt diese Abneigung in Hass oder gar Verachtung um. Ja, wir können hier von einem Kampf zwischen Linken und Rechten sprechen, zwischen Konservativen und Liberalen, allerdings ist die Bedeutung dieser Begriffe in Polen etwas anders gewichtet als in anderen Ländern.

Diese Spaltung gibt es schon seit Beginn der 1990er Jahre – und die Medien waren immer direkt davon betroffen. Beide Lager waren übrigens lange darum bemüht, sich nicht miteinander zu überwerfen, die andere Seite nicht zu beleidigen oder zu verleumden. Wobei man dabei nicht so sehr das gegenüberstehende Lager als solches im Blick hatte als vielmehr die eigenen Bekannten, die eine andere Position vertraten als man selbst.


Der Absturz

Eine wichtige Rolle spielte dabei, dass es ein Nachrichtenmodell gab ähnlich dem des BBC, das sich der Neutralität verschreibt. Es gebot, Fakten von der Analytik zu trennen und die Analytik vom Kommentar. Das gelang nicht immer, aber die meisten Journalisten waren wenigstens darum bemüht, sich bei ihrer Arbeit an diesem Modell zu orientieren.

Diese Phase endete jedoch 2010, als der polnische Präsident Lech Kaczyński bei einem Flugzeugabsturz in Smolensk ums Leben kam. Der Konflikt spitzte sich so zu, dass Brüche unumgänglich waren.

Sogar jene Menschen, die ungeachtet ihrer unterschiedlichen politischen Ansichten jahrelang befreundet gewesen waren, redeten nun nicht mehr miteinander. Das passierte sogar innerhalb von Familien. Die letzten Präsidenten- und Parlamentswahlen verstärkten diese Spaltung nur noch.


„Dem Feind Schmerzen zufügen“

Besonders stark ist sie in den polnischen Medien zu spüren. „Einst schrieben Journalisten Artikel, um jemanden von etwas zu überzeugen. Heute arbeiten wir, um dem Feind Schmerzen zuzufügen.“ Zu diesem trostlosen Schluss kam ein in Polen bekannter Journalist und guter Freund von mir. Diese Veränderungen machen sich auf sehr unterschiedliche Weise bemerkbar, und sie treffen einen hart.

Früher war der typische Intellektuelle bestrebt, mehr als nur eine Zeitung zu lesen. Er wollte sich Informationen aus verschiedenen Quellen holen – manchmal sogar aus den gegnerischen –, um sich seine eigene Meinung bilden zu können.

Heute sind solche Menschen selten geworden, auch unter Journalisten. Die Menschen wollen sich nicht mit Medien abgeben, die von der eigenen Meinung abweichende Positionen vertreten.


Medien sollen Emotionen bedienen

Die größte Gefahr besteht darin, dass sich dieser Prozess stetig verschlimmert. Es ist so weit gekommen, dass die Polen inzwischen eine Reihe von Zeitungen verschmähen, die um eine ausgewogene Berichterstattung bemüht sind. Vor allem wollen die Menschen, dass „ihre“ Zeitung aktiv die eigenen Emotionen bedient.

In letzter Zeit waren alle Versuche, in Polen eine ausgewogene Medienberichterstattung aufzubauen, zum Scheitern verurteilt. Der Grund dafür ist immer derselbe: Jede dieser Publikationen hatte zu wenig potentielle Käufer.

Gleichzeitig wurden erfolgreich Projekte umgesetzt, welche von Anfang an auf eine bestimmte Leserschaft abzielten. Es gelang ihnen nicht nur, deren Emotionen widerzuspiegeln, sondern sie verstärkten sie auch noch.

Und dieser Prozess betraf nicht nur die Neuerscheinungen am Markt, sondern auch jene Medien, die es schon viele Jahre gibt.


Kein intellektueller Austausch

Es ist traurig, aber heute gibt es innerhalb Polens keinen intellektuellen Austausch mehr. Vor zwei Jahren gab es in der polnischen Gesellschaft zwei große Geschichtsdiskussionen, welche für die ganze Nation von gewaltiger Bedeutung waren.

In der einen Diskussion ging es darum, inwieweit Polen ein Land des Adels und der Gutsbesitzer ist. Wie haben Adel und Gutsbesitz den Nationalcharakter der Polen geprägt, wie fühlten und fühlen sich die Leute, deren Vorfahren nicht dem Adel entstammten?

In der anderen Diskussion ging es darum, ob die polnische Regierung 1939 die richtige Entscheidung getroffen hätte: Hätte man vielleicht nicht lieber mit Hitler gemeinsame Sache machen sollen, wo doch die westlichen Verbündeten Polen nicht geholfen, sondern das Land betrogen und verraten hatten?

Allein an wichtigen, programmatischen Artikeln zu beiden dieser Themen gab es jeweils mehr als 30.

Wie sich vielleicht schon vermuten ließ, wurde die erste Diskussion in den linksliberalen Zeitungen und die zweite in den rechtsgerichteten geführt. Aber darum geht es nicht. Dass das eine oder andere Thema einen bestimmten Kreis von Menschen mehr interessiert, ist nicht verwunderlich. Das Problem liegt woanders: Nicht einmal Journalisten, im Medienbereich tätige Intellektuelle, wussten, dass überhaupt eine solche Diskussion im gegnerischen Lager geführt wird – sie wussten es einfach nicht!


Wir verstehen einander immer weniger

Es scheint so, als ob wir mit jedem Tag mehr und mehr nicht in einem, sondern in zwei Polen leben würden – und wir verstehen einander immer weniger. Ich weiß nicht, womit diese Spaltung enden wird. Aber eins ist klar: Sie bringt nichts Gutes mit sich.

Nach den Parlamentswahlen im Herbst 2015 hat sich die Lage in Polen zunehmend verschärft. Und die Medien, welche mit den gegnerischen politischen Lagern verquickt sind, nehmen innerhalb dieser Lager in der Regel die radikalste Position ein.

In der klassischen Presse ist es noch nicht vorgekommen, aber bei Facebook und Twitter überzogen einige Journalisten einander sogar mit Beleidigungen. Das hatte es bis vor kurzem noch nicht gegeben.

Schwer zu sagen, wo es im heutigen Polen noch Diskurse gibt, die den Staatsgedanken und nicht offensichtlich und unverhohlen parteiische Ideen in den Mittelpunkt rücken. In den Medien jedenfalls wird man diese Art von Debatten zuallerletzt finden.


Aus dem Russischen von Anna Burck, n-ost



wSieci

Die Wochenzeitung wSieci richtet sich an konservative und nationalistische Leser. Ehemalige Journalisten der Tageszeitung Rzeczpospolita und des nationalkonservativen Wochenmagazins Uwazam Rze hoben 2012 wSieci aus der Taufe. Unter ihnen war auch Tomasz Wroblewski, der 2012 bei der Rzeczpospolita als Chefredakteur gehen musste, nachdem sein fehlerhafter Artikel über den Flugzeugabsturz von Smolensk erschienen war.

Quelle: Medienindex eurotopics



In der Reihe Stereoscope diskutieren Journalisten aus unterschiedlichen Medienwelten. Die Reihe wird finanziert von der Robert Bosch Stiftung sowie aus Geldern des Auswärtigen Amts.

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