Rückkehr der Repression
Die Mauer der Polizisten ist undurchdringlich. Eine Front aus Helmen, Sturmhauben, Knüppeln und Schildern. Wer diesseits der Absperrung steht, ist eingekesselt. Schon fahren wenige Meter entfernt die„Awtosaki“, die berüchtigten Gefangenentransporter mit den vergitterten Fenstern, vor. Wo sie halten, stieben die Menschen auseinander. Doch wen die Sonderpolizei zu fassen bekommt, wird in die Transporter gezerrt und abgeführt. Ein Mann, der sich wehrt, fällt zu Boden.
Ausgerechnet an einem Tag mit Schneefall sollte der „Belarussische Frühling“, wie die Oppositionsmedien die friedlichen Sozialproteste zuletzt bezeichnet hatte, vorerst beendet werden. Es sind brutale Szenen, die sich dieser Tage in Minsk abgespielt haben. Der seit Wochen geplante Protest in der Minsker Innenstadt, anlässlich des traditionell von der Opposition gefeierten „Freiheitstages“, war nur wenige Stunden davor von den Behörden verboten worden. Er wurde vom Sonderkommando „Omon“ zerschlagen.
Ursprünglich hatten sich die Proteste schon Mitte Februar an der so genannten „Sozialschmarotzer-Steuer“ entzündet. Bürger, die im Jahr länger als sechs Monate ohne Beschäftigung sind, müssen neuerdings eine jährliche Gebühr von 180 Euro zahlen. Die Steuer wurde zwar bereits 2015 beschlossen, doch erst am 20. Februar dieses Jahres endete die Zahlungsfrist für 470.000 Betroffene, so die Steuerbehörde. Bisher soll allerdings nur jeder Zehnte die Steuer gezahlt haben. Lukaschenko hat zuletzt angekündigt, die Steuer für dieses Jahr auszusetzen.
Doch inzwischen haben sich die Proteste auch auf andere Forderungen ausgeweitet und richten sich immer direkter gegen den Präsidenten Alexander Lukaschenko. „Wir kommen hier zu einer friedlichen Demonstration, und sie führen uns mit Polizisten ab?“ schimpft Sofia, eine Rentnerin. „Lukaschenko hat uns ein besseres Leben versprochen, aber er hat uns betrogen. Er sollte besser herkommen und hören, was ihm das Volk zu sagen hat, anstatt uns tausende Bullen auf den Hals zu jagen!“
Während das Regime den Protesten zu Beginn ratlos gegenüberstand, ist der Autokrat Lukaschenko inzwischen wieder zur Sprache der Gewalt zurückgekehrt. 200 Menschen wurden bereits im Vorfeld der angekündigten Protesten am Wochenende im ganzen Land festgenommen, bei den Protesten am Samstag sollen allein in Minsk 700 Menschen von der Polizei abgeführt worden sein. Auch in anderen Städten in Belarus ist es zu Verhaftungen gekommen. Der Oppositionspolitiker Mikalaj Statkewitsch, der bei den Protesten eine Führungsrolle einnehmen sollte, war gar drei Tage lang verschwunden. Am Montag wurde bekannt, dass er in einem Gefängnis des Geheimdienstes KGB festgehalten wurde. Dieser hatte zuvor wiederholt dementiert, etwas mit seinem Verschwinden zu tun zu haben.
Wenige Meter weiter steht Dina. Braune Locken, Nasenpiercing, freundliches Lächeln. Die 30-Jährige hatte Glück, sie wurden nicht festgenommen. Sie ist direkt von der Steuer betroffen, weil sie als Künstlerin keine fixe Arbeitsstelle vorweisen kann, erzählt sie. Es ist das erste Mal, dass sie an einer Demonstration teilnimmt. „Für den Sicherheitsapparat hat der Staat also Geld, und für die Bürger nicht?“ sagt sie. „Schande, Schande!“ skandieren die Menschen am Straßenrand, als die Busse, wieder mit neuen Festgenommenen gefüllt, an ihnen vorbeifahren.
In einem solchen Bus saß auch Juri Meljaschkewitsch. Bereits auf dem Weg zu den Protesten war der Politiker der Oppositionsbewegung „Für die Freiheit“ von der Polizei festgenommen worden. „Es wurden aber auch einfach Passanten mitgenommen, die nichts mit den Protesten zu tun haben“, erzählt Meljaschkewitsch. Auf der Polizeiwache habe er auch Menschen gesehen, die blutig geschlagen worden seien.
Derweil kursieren auch im Internet Videos von brutalen Festnahmen. Heute, einen Tag nach den Massenfestnahmen, sitzt der 36-Jährige jedoch wieder in einem Minsker Innenstadtcafé. Der Politiker hatte sich eigentlich schon auf mehrere Tage Haft eingestellt und war überrascht, dass er schon nach wenigen Stunden freigelassen wurde – ohne Erklärung der Polizei.
Es sind die schlimmsten Repressionen seit dem 19. Dezember 2010, als Demonstrationen am Wahlabend der Präsidentschaftswahl brutal von der Polizei niedergeknüppelt und Hunderte festgenommen wurden. Infolge der Repressionen verhängte die EU damals Sanktionen gegen das Regime.
Seit der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass hatte es eine Annäherung zwischen Minsk und Brüssel gegeben. Vor einem Jahr hatte die EU die Sanktionen aufgehoben, nachdem Lukaschenko zuletzt alle politischen Inhaftierten frei gelassen hatte. „Derartige Repressionen gegen die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit stehen im Widerspruch zur Demokratisierung und den internationalen Zusagen, zu denen sich Belarus verpflichtet hat“,so die EU in einem aktuellen Statement.
Wie es mit den Festgenommenen weitergeht, ist vorerst unklar. Zwar wurden 600 der 700 Festgenommenen wieder freigelassen, gegen die restlichen 100 beginnen heute in Minsk die Gerichtsverhandlungen.
Quellen:
- persönliche Gespräche mit Protestteilnehmern
- Statement der EU
- Videos und Foto der Festnahmen