Schlepperbanden sind das größte Problem
Von Dorothee Krings
Polen hat bereits an der künftigen EU-Außengrenze aufgerüstet. Doch im Osten des Landes ist die Grenzsicherung eine Sisyphusarbeit. Das wirtschaftliche Gefälle Richtung Ukraine stellt die technisch aufgerüsteten Grenzbeamten vor immer neue Herausforderungen. Und auch vor die Frage, wie mit denen umzugehen ist, die vom täglichen Schmuggel in einer der ärmsDorohusk (n-ost). Schon vor dem Eingang des Gemüsemarktes im ostpolnischen Städtchen Chelm stehen Männer und Frauen in billige Steppmäntel gehüllt. Monoton murmeln sie vor sich hin, was sie in ihren Plastiktüten anzubieten haben: Papierosy – zu deutsch: Zigaretten. Genauer: geschmuggelte Westzigaretten aus der Ukraine für etwa 20 bis 40 Cent die Schachtel. Selbst für Polen billige Ware also. Früher hielten die Ukrainer die Zigarettenstangen offen in der Hand. Seit der EU-Beitritt Polens durch die Bürgermehrheit beschlossene Sache ist, wird nur noch Geflüster, was nun verboten ist. Den ganzen Tag stehen die Schmuggler vor dem Eingang und hoffen auf ein Geschäft. Wer in die Markthalle will, drängelt an ihnen vorbei ? jeder Gemüseeinkauf ein Grenzgang.
Einige Studenten aus der Grenzstadt Chełm schlendern vorbei. Zwei von ihnen waren schon einmal in der wenige Kilometer entfernten Ukraine. Die eine begleitet regelmäßig Reisegruppen über die Grenze, die andere hat von ihrem ersten Ausflug genug: „Es ist sehr arm dort, aber die Leute sind freundlich“.
Die bereits sichtbare Grenze liegt etwa eine viertel Stunde Autofahrt von Chełm entfernt. Die Straße dorthin führt durch Dörfer, in denen neben Einfamilienhäusern im Plattenbaustil und neuen Fertighäusern mit prestige-verheißendem Säuleneingang noch viele alte Holzhäuser stehen. Vorgärten, in denen die letzten Schneeschollen gegen das Frühjahr kämpfen, schaffen ein wenig Distanz zur schlecht asphaltierten Durchgangsstraße. Über die rumpelt der Verkehr nach Dorohusk. Der Grenzübergang liegt auf einer Brücke über den Fluss Bug und gehört samt einem 460 Kilometer langen Abschnitt zur polnischen Ostgrenze, die von Chełm aus kontrolliert wird. 1800 Beamte sind dort im Einsatz, sie arbeiten am Übergang und entlang der grünen Grenze, die größtenteils in der Mitte des Flusses verläuft. Der polnische Staat und die Europäische Union haben in den vergangenen Jahren viel investiert, um diesen Landstrich unter Kontrolle zu bringen. Für die Einheiten wurden neue Motorräder, Jeeps, Motorschlitten, Nachtsichtgeräte angeschafft und die Zahl der Patrouillezentralen mit Fuhrpark und Schäferhundzwingern verdoppelt. So gibt es inzwischen etwa alle 25 Kilometer eine kleine Kommandozentrale. Sieben Patrouilleboote auf dem Bug sollen pünktlich zum EU-Beitritt im Mai nach Verdächtigem suchen. Auch am Grenzübergang Dorohusk wurde großzügig gebaut, neue Abfertigungsanlagen, neue Verwaltungsgebäude, moderne Überwachungskameras. Sogar Geigerzähler sind an jedem Kontrollhäuschen angebracht. „Erst vor kurzem haben wir damit einen Laster rausgefischt, der hatte Pilze aus Tschernobyl geladen, die haben geleuchtet, so verstrahlt waren die.“, sagt Oberst Andrzej Wόjcik. Seit ein paar Jahren ist er für Presseanfragen abgestellt, denn das Medieninteresse an der Ostgrenze ist groß. „Wir hatten schon die ganze Welt hier“, erzählt Wόjcik stolz und rattert geübt die Zahlen runter, die man gewöhnlich von ihm wissen will. Das größte Problem seien professionelle Schlepperbanden: Fast 10 Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr die polnische Ostgrenze passiert, knapp 20 000 Menschen wurde die Einreise verweigert, den meisten fehlten Dokumente. An Schmuggelgut wurden vor allem Zigaretten, Alkohol und Drogen, gefunden, aber auch DVDs, Waffen und Ikonen. Das teuerste Auto, das verschoben werden sollte, war ein Mercedes im Wert von 150 000 Euro, die größte Haschischladung wog zwei Tonnen. „Solche spektakulären Funde sind gut, das schreckt Kriminelle von dieser Grenze ab“, sagt Wόjcik.
Doch neben der Schmuggelei beschäftigen vor allem illegale Einwanderer die Grenzschützer. 493 Menschen versuchten im vergangenen Jahr, über die grüne Grenze nach Polen zu gelangen. Sie kommen aus den Nachbarländern Belarus und Ukraine, aber auch von sehr weit her - aus China, Vietnam, Afghanistan, dem Irak, auch einen „afrikanischen Kanal“ habe es lange gegeben, erzählt der Presseoberst. „Die Menschen werden bis an die Grenze gebracht und auf der anderen Seite schon erwartet, das ist alles vorher organisiert.“ Einmal haben die Grenzschützer 46 Männer im doppelten Boden eines Lkw gefunden. „Das war im Juni, wenn wir die nicht entdeckt hätten, wären sie gestorben.“
Wόjcik ist überzeugt von der Notwendigkeit seines Jobs. Fragen nach Problemen kontert er mit Sprüchen wie: Probleme haben die, die wir erwischen. Doch wenn man ihn nach den vielen Familien auf beiden Seiten der Grenze fragt, für die der illegale kleine Grenzverkehr die einzige Einnahmequelle ist, ändert sich sein Tonfall. „Hier in der Gegend gibt es wenig Arbeit. Wir behandeln die Menschen mit Würde, aber wir müssen unsere Pflicht tun.“
Diese Aufgabe wird nicht leichter werden, denn die ökonomischen Unterschiede zwischen Polen und dem östlichen Nachbarland werden weiter auseinander klaffen. Experten in Warschau und Brüssel vergleichen dieses Stück künftiger EU-Außengrenze längst mit der zwischen den USA und Mexiko: „Da gibt es auch in erster Linie ökonomische Gründe, die Grenze zu überwinden – viel mehr als politische“, so ein Regierungsberater.
Doch zumindest im Osten Polens hat man verstanden, dass es für die Stabilität in der Region unerlässlich ist, Kontakte auch über die neue EU-Grenze hinweg zu pflegen. Darum gibt es in Lublin seit ein paar Jahren ein polnisch-ukrainisches Stipendienprogramm, das es ukrainischen Studenten ermöglicht, in Polen zu promovieren. Polnische Wissenschaftler um den Historiker Jerzy Kłoczowski bemühen sich zusammen mit Weißrussen, Ukrainern und Litauern, die komplizierte und oft tragische Geschichte der Region zu thematisieren – mit großen Schwierigkeiten, „da wurden viele Tabus zum ersten Mal offen diskutiert“.
Doch solange die Grenze ein derart steiles ökonomisches Gefälle markiert, werden Schmuggler weiter Papierosy und Spiritus in Plastiktüten heranschleppen, Alkohol in ihre Autoreifen pumpen, Zigaretten einzeln in die Gummidichtungen der Zugfenster schieben. Und wenn sie den Bug hinter sich haben und nicht erwischt worden sind, stehen sie vor der Gemüsehalle in Chełm und bieten offen heimlich feil, was sie über die Grenze schaffen konnten.
ENDE