Ukraine

Kontrollierte Nachrichten

Dass Medien Macht haben, Meinungen und Menschen beeinflussen können, ist keine Neuigkeit. In der Ukraine kann man zurzeit mitverfolgen, wie diese Beeinflussung seitens der Fernsehmedien erfolgt. Im ukrainischen Fernsehen gibt es derzeit nur einen oppositionellen Kanal - Kanal 5. Alle anderen Fernsehsender liegen in der Hand der Regierung und unterliegen somit strenger Zensur. Während auf den Straßen in Kiew, Lwiw, Charkiw und anderswo die Menschen in Orange für den Kandidaten der Opposition demonstrieren, strahlen die Nachrichtenkanäle der regierungsgelenkten Sender Diskussionen und Gesprächsrunden aus einem blau-weißem Studio aus, in dem nur Leute anwesend sind, die vom Sieg des Regierungskandidaten Wiktor Janukowitschs überzeugt sind.

Ab und zu erfolgt die Einblendung einer Hotline-Nummer. Nie hört man aber einen Anruf live über den Sender. Stattdessen erscheint regelmäßig eine Dame mit auf Zetteln notierten Aussagen der Bürger am Telefon. Diese Aussagen können durchaus auch Gedichte zu Ehren Janukowitschs sein: „Er denkt mit dem Herzen, er handelt mit Pfeffer...“ Die im Russischen poetisch klingende Formulierung in Reimform verliert in der deutschen Übersetzung jegliche Poesie und gewinnt regelrecht ein gewisses Maß an Doppeldeutigkeit. Seit Sonntag wird auf dieser blau-weißen Bühne der Sieg Janukowitschs immer und immer wieder betont und gefeiert.

Verschiedene Fernsehsprecher reden auf die Zuschauer in Kiew ein: „Eltern, schickt eure Kinder in die Schule, statt auf die Straße! Was ihr tut, ist unverantwortlich! Was sollen die Kinder so lernen? Eltern, erfüllt eure Pflichten und schickt eure Kinder in die Schulen, damit sie lernen und in Ruhe und Sicherheit aufwachsen können!“
Ähnliche Apelle erfolgen an die Studenten.

Bilder von den Demonstranten sieht man dagegen nicht. Weder aus Kiew, schon gar nicht aus anderen Städten. Keine Bilder von Protesten, keine von aufgezogenem Militär.

Am Morgen des Besuchs des EU-Beauftragten für die Außenpolitik, Javier Solana, gab es folgende Nachricht, ebenfalls ohne Bild: „Der in die Ukraine eingeflogene EU-Kommissar hat unserem Präsidenten Viktor Janukowitsch zum Sieg gratuliert.“ Diese Nachricht läuft auf drei Kanälen gleichzeitig. Nichts von angekündigten Sanktionen, nichts von den Forderungen des Auslands um Überprüfung und Neuzählung der Ergebnisse.

Der oppositionelle Kanal 5 sieht anders aus: Moderatoren in Alltagskleidung, Gesprächspartner mit orangenen Kleidungsstücken. Bilder! Tatsächlich Bilder aus Kiew! Und aus anderen Städten, Lwiw, Poltawa, Sumy. Überall sind Demonstrationen für Juschtschenko zu sehen. Es gibt aber auch Bilder der Gegendemonstrationen.
Am Donnerstagabend kam dann die Nachricht, der Stadtrat Charkiws habe Wahlfälschungen zugegeben. Ganz stimmte auch diese Nachricht nicht, er war nur die Bitte an Kiew erfolgt, die Ergebnisse rechtsgemäß zu überprüfen. Die geschickte Kameraführung beider Sender lässt je nach Interessse die Demonstrationen der Gegenseite als 20-Personen-Veranstaltungen aussehen.

Während die Regierungskanäle munter weiter senden, hat Leonid Kutschma, aus dem Amt scheidender Präsident, bereits die Schließung von Kanal 5 angekündigt, falls der Sender nicht dazu übergehe, „seriöse“ Nachrichten zu übertragen. Sollte der 5. Kanal tatsächlich abgeschaltet, was in Teilen der Ostukraine schon lange vollzogen sein soll, so reduzieren sich die Informationsquellen völlig auf die „blauen“ Kanäle.

Immerhin scheint es unter dem Eindruck der anhaltenden Proteste nun auch in den staatlich kontrollierten Fernsehsendern zu gären. Die Mitarbeiter des Senders „Odin + Odin“ haben sich in der Zwischenzeit öffentlich dazu verpflichtet, objektive Nachrichten zu übertragen und beiden Seiten Platz zur Meinungsäußerung zu geben. Sie wollen sich nicht von der Zensur beeinflussen lassen. In den Abendnachrichten waren tatsächlich erstmals Bilder aus anderen Städten mit Interviews von Anhängern beider Parteien zu sehen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer im finsteren ukrainischen Pressewesen.


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