Kater Leopold und ein orangenes Lied
„Wo man singt, da lass dich nieder.“ – Dieses Sprichwort nehmen die Demonstranten, die seit über einer Woche für den ukrainischen Oppositionsführer Wiktor Juschtschenko auf die Straße gehen, sehr ernst. Sie singen mit Begeisterung, texten bekannte Lieder um oder komponieren gar ganz neue. Da kann es passieren, dass aus dem Demonstrationsspruch „Zusammen sind wir stark, uns kann man nicht trennen.“ plötzlich ein ganzes Lied wird.
Die Gruppe Grin Dzholy hat aus dem Sprechchor einen Rap-Song gemacht und flugs auf CD gebrannt. Nun schallt er in steter Regelmäßigkeit an den Plätzen der Demonstrationen aus den Lautsprechern. Der Text ist einfach: Zwischen den Refrainzeilen werden die Wörter „Wahlfälschung“, „Putin“ und „Kutschma“ ins Publikum geworfen und postwendend verneint. Es folgen die Worte „Juschtschenko“ und „Präsident“, welche natürlich bejaht werden. Der Name des verachteten Regierungskandidaten Wiktor Janukowitsch passt nicht ins Skandierungsschema und kommt somit nicht im Lied vor. Das wichtigste ist: Die Melodie geht ins Ohr und regt die Füße zur Bewegung an – wichtig bei den herrschenden Minusgraden auf den Straßen und Plätzen.
Mit der Farbe Orange als Symbol der Opposition hat es der Zufall gut gemeint. Es existiert nämlich ein altes sowjetisches Kinderlied mit dem Titel „Orangenes Lied“. Ein kleiner Junge singt davon, dass er seit zwei Tagen zeichnet, und weil seine Lieblingsfarbe orange ist, zeichnet er eben alles auf seinen Bildern in Orange: Orangener Himmel, orangenes Meer, orangene Mütter für orangene Kinder. Sein Opa ermahnt ihn zwar, dass dies doch Unsinn sei. Doch als der kleine Junge diesem die Sonne zeigt, erkennt auch dieser, dass die Welt durchaus orange sein kann.
Als Arkadi Arkanow, der 1933 geborene russische Schriftsteller, diesen Text verfasste, ahnte er sicher nicht, dass es im Jahr 2004 in der Ukraine eine Wiedergeburt erleben und die Farbe Orange für Hoffnung und Demokratie stehen würde. Beide Lieder werden auf dem einzigen oppositionellen Fernsehsender, Kanal 5, oft gespielt und mit fröhlichen Bildern von den Demonstrationen unterlegt.
Ein weiteres Kinderlied spielt sich gerade in die Herzen der Revolutionäre: „Freundschaft beginnt mit einem Lächeln“. Dieses Lied entstammt dem sowjetischen Trickfilm „Kater Leopold“. Regierungschef Janukowitsch hatte in einer seiner Reden der letzten Tagen Oppositionsführer Juschtschenko als „Kater Leopold“ bezeichnet, was als Beleidigung gedacht war. Kommentar der Bevölkerung: „Janukowitsch scheint Kater Leopold nicht zu kennen, denn sonst hätte er gewusst, dass ein Vergleich mit diesem keine Beleidigung sondern ein Kompliment ist.“ Seitdem sieht man die sowjetische Trickfilmfigur auf Kanal 5 in regelmäßigen Abständen immer wieder auf dem Bildschirm.
In den letzten Tagen gewinnt in der Ukraine fast alles an Symbolik. Die Menschen orientieren sich an Fraben, an dem Blau der Regierungspartei und am Orange der Opposition. In jedem Fleckchen Orange vermutet man nun ein Ja für Juschtschenko. Selbst wenn es sich nur um eine Getränkeflasche handelt, die zufällig einen orangenen Deckel hat und nicht aus politischer Überzeugung sondern aufgrund von Durst gekauft wurde.