In löchrigen Schuhen in ein besseres Leben
Moskau (n-ost). Er lacht, wenn er singt, mal leise verschmitzt, mal kehlig und manchmal aus vollem Hals. Er mimt den betrunkenen Müller, über den er singt, und torkelt über die Bühne; und bei manch trauriger Weise hat man den Eindruck, dass das gesamte Schicksal Russlands in seinem tiefen Bass tönt – bis er schelmisch die Augenbraue hebt und ins Publikum strahlt. Leonid Charitonow ist Sänger und Schauspieler zugleich. Mit großer Gestik interpretiert er die russischen Volkslieder und Romanzen; dass er „nur“ auf der Bühne des Empfangssaals der Deutschen Botschaft steht und nicht etwa in einem der großen Konzertsäle in London oder New York, ist egal. An diesem Winterabend singt der fast 70-Jährige für einen guten Zweck, für das deutsch-russische Projekt „Phönix“, das sich um elternlose und vernachlässigte Kinder im Raum Moskau kümmert.
„Phönix“ wurde von Dorothea Volkert gemeinsam mit dem russischen Pädagogen Maxim Jegorow ins Leben gerufen. Für Volkert, die aus der Nähe von Heidelberg stammt, ist das Konzert „der Beweis dafür, dass scheinbar Unmögliches möglich werden kann, wenn man nur daran glaubt“. Schließlich war Sänger Charitonow einst ebenso hilflos, wie die Kinder, um die sich „Phönix“ kümmert. Als Waisenjunge hatte er sich einst mit löchrigen Schuhen von Irkutsk nach Moskau auf den Weg gemacht, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Charitonow hatte Glück, Talent und fand in seinem Namensvetter Leonid Breschnew einen Fan, der sich für seine Förderung einsetzte.
Solche Geschichten sind es, die Volkert motivieren. „Phönix“ geht auf die Deutsch-Russische Gesellschaft Kraichgau zurück, die im russischen Hungerwinter 1990/91 und noch viele Jahre danach bedürftige Menschen in Russland mit Spenden, Patenschaften und Hilfstransporten unterstützte. Dorothea Volkert ist die treibende Kraft. Die resolute Sozialpädagogin kommt seit 1996 regelmäßig nach Russland, jedes Jahr verbringt sie mehrere Wochen in Moskau und kümmert sich um Obdachlose, Waisenkinder, Alte und Kranke. Der ehemalige Mathelehrer Jegorow ist ihr wichtigster Verbündeter. Sie organisieren zusammen eine Suppenküche am Kursker Bahnhof in Moskau und verwirklichen die Idee von einem Zukunftsprojekt für Waisenkinder.
Im November 2001 kaufte „Phönix“ eine Doppelhaushälfte in Rogatschowo, etwa 80 Kilometer nördlich von Moskau. Inzwischen leben dort sieben ehemalige Straßenkinder mit zwei „Müttern“, ehemaligen obdachlosen Frauen, in einem typisch russischen Holzhäuschen mit blauen Fensterrahmen.
„Das ist unsere Familie“, sagt Jegorow stolz und zeigt den Besuchern in der Botschaft die Fotos von Serjoscha, Jana und den anderen Hausbewohnern. Der 30-jährige Pädagoge füllt so etwas wie die Vaterrolle in Rogatschowo aus. Er sieht selbst jeden Tag nach dem Rechten, erledigt Einkäufe und gibt Ratschläge. Aber auch die Kinder sind ein wichtiger Teil der Hausgemeinschaft. Jeder hat seine Aufgabe. Die Ziegen müssen gemolken werden und der Hasenstall ausgemistet, im Sommer muss der Garten bestellt, Obst und Gemüse geerntet und verarbeitet werden; nach den Schularbeiten ist der Abwasch zu erledigen, die Wäsche muss mit der Hand gewaschen werden.
„Mich überzeugen jedes Mal die Kinder“, sagt der deutsche Pfarrer Fridtjof Amling. „Wenn ich nicht wüsste, dass sie alle von der Straße kommen, man könnte es nicht erahnen.“ Die deutsche evangelische Gemeinde in Moskau unterstützt das Projekt. Im Herbst waren Vertreter der Gemeinde in Rogatschowo, um das Haus winterfest zu machen: die Wände wurden abgestützt, damit sie unter den Schneemassen nicht zusammenfallen, von innen wurden die Fenster isoliert und abgedichtet. Außerdem hatte die Ludwigshafener BASF acht Rechner für die Schule, in der die Phönix-Kinder lernen, gespendet.
Dorothea Volkert hofft, all ihren Zöglingen eine weiterführende Ausbildung zu ermöglichen. Weil es aber langsam eng wird in der Doppelhaushälfte, soll nun auch die andere Hälfte des Hauses saniert werden. Besonders wichtig sei fließendes Wasser und eine ordentliche Toilette statt des Plumpsklos, sagt Volkert. Das Benefizkonzert in der deutschen Botschaft sichert einen ersten Teil der Finanzierung. Beharrlich vergrößert sich so das einst im Kraichgau aus der Taufe gehobene Projekt „Phönix“. Wenn es nach Dorothea Volkert geht, ist das Ende noch lange nicht abzusehen. Sie möchte möglichst vielen Straßenkindern einen Platz schaffen, mit Wärme und Liebe und einem Funken Hoffnung auf ein besseres Leben.
Weitere Informationen unter: http://phoenixmoscow.gmxhome.de/
Wer das Projekt unterstützen möchte, kann sich wenden an: Dorothea Volkert, Tel.: 07263 2605, E-Mail: DorotheaVolkert@gmx.de
Spenden bitte an die Deutsch-Russische Gesellschaft Kraichgau e.V.:
Volksbank Schwarzbachtal
BLZ 672 624 02
Konto Nr. 44 777 07
Sparkasse Kraichgau
BLZ 663 500 36
Konto Nr. 21 705 051