Die Tragik der ukrainischen Schwarzarbeiter
Die deutsche Begeisterung über den Sieg der Demokratie in der Ukraine ist im Visa-Skandal untergegangen. Wieder einmal steht die Ukraine da als Westeuropas Hauptlieferant von Schwarzarbeitern und Prostituierten. Der Ruf nach einem restriktiveren Visa-Verfahren und nach stärkeren Kontrollen an der Ostgrenze Polens wird laut. Dabei geraten die Menschen aus dem Blick. Menschen wie die Buchhalterin Bogdana aus dem westukrainischen Lemberg, für die Europa die Hoffnung für ein besseres Leben ist.
Ein eigenes, gemütliches Haus, wie die aus dem Westfernsehen – das war schon Bogdanas Traum, als sie noch ein junges Mädchen war. Bis heute bleibt dieser Traum unerfüllt. Derzeit lebt die 45-jährige Buchhalterin mit ihren zwei erwachsenen Söhnen und einer kleinen Tochter in einem 20 Kilometer vom ostgalizischen Lemberg entfernten Dorf. Ihr Haus nennt Bogdana treffend „unser Schuppen“. Es hat überhaupt keinen Flur und besteht aus einer schmalen Küche gleich am Eingang, und zwei kleinen, ineinander übergehenden Kammern. „Der Schuppen“ ist 20 Jahre alt und voll gestopft mit alten Möbeln. Ein kleiner Anbau an die Küche ersetzt der Familie das Bad und beherbergt einen alten Herd und eine Badewanne, die jedoch nicht an die Wasserleitung angeschlossen ist. Wasser muss man sich vom Brunnen holen, von der anderen Seite der Dorfstraße etwa 200 m vom Haus entfernt. Gut, dass ihre Söhne erwachsen sind, sonst hätte sie sich längst zu Tode abgeschleppt, klagt Bogdana. Eine Toilette gibt es nur draußen.
Geheizt wird mit Hilfe eines kleinen Gasofens, der in der kalten Jahreszeit kaum genug Wärme abgibt. Besonders morgens, wenn in den langen Winternächten die dünnen Wände die Kälte von draußen hineinlassen. Deshalb lässt Bogdana in der Früh, bevor die Familienmitglieder aufstehen, Wasser in einen großen Eimer auf der Gasflamme aufkochen. Das erfüllt zweierlei Zwecke: Verdünnt mit dem kalten wird das Heißwasser zur allmorgendlichen Körperreinigung verwendet, während die aufsteigenden Wasserdämpfe der Wohnung die gewünschte Wärme geben.
Vor sieben Jahren begann Bogdanas Traum vom Aufstieg, vom Geldverdienen im goldenen Westen. Damals war sie mit ihrem letzten Kind schwanger. Weil das Geld knapp war, blieben gegen den Hunger nur Milch, Kartoffeln und weißes Brot. „Als die kleine Olena zur Welt kam, habe ich mir geschworen: Meine Tochter wird sich immer satt essen und keine Not leiden“, erinnert sich Bogdana.
Um diesen Vorsatz zu erfüllen verließ sie ihren Mann und die Kinder und fuhr zum Arbeiten ins Ausland. Illegal, versteht sich. Genau wie Hunderttausende ihrer Landsleute auch. Allein in Polen sollen sich 300 000 Ukrainer als Schwarzarbeiter verdingen. Wer mutig ist, fährt weiter, nach Spanien, Portugal, Italien, Deutschland oder Österreich, arbeitet auf Baustellen, als Erntehelfer oder als Dienstmädchen. Es sind meist einfache Leute wie Bogdana. Im Westen der Ukraine ist der von ihnen importierte Wohlstand unübersehbar. Neue Häuser werden gebaut, Restaurants mit westlichem Standard eröffnen, Europa, so scheint es, arbeitet sich Kilometer für Kilometer nach Osten vor. Die Wirtschaft der Ukraine ist im vergangenen Jahr stärker gewachsen als in jedem EU-Land, auch dank des Geldes der Emigranten.
Von Dorfnachbarn erfuhr Bogdana die Adresse eines Reisebüros in Lemberg, über das sie sich für 200 geliehene Dollar ein Touristenvisum für Deutschland besorgen ließ - das Vierfache eines ukrainischen Durchschnittslohns, aber auch für einfache Leute wie Bogdana gerade noch erschwinglich. Mit diesem Schengen-Visum reiste sie dann in Österreich ein. Ein Bekannter aus dem Dorf vermittelte ihr in Wien einen Job als Putzfrau.
Gearbeitet hat Bogdana vor allem bei Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die eher bereit waren, ihren illegalen Status zu akzeptieren. Umgekehrt bedeutete dies aber eine deutlich schlechtere Bezahlung als bei ihren Kolleginnen in österreichischen Haushalten.
Vom heutigen Tag gesehen, seien für sie, so Bogdana, Armut und Not in der Heimat doch viel weniger schlimm gewesen als die Gefahr, in einem fremden Land als Illegale von der Polizei aufgegriffen und nach Hause abgeschoben zu werden. In Wien habe sie unter einer ständigen Angst gelebt, erinnert sie sich heute. Alleine die Wohnung musste sie innerhalb von anderthalb Jahren dreimal wechseln, weil die Polizei ihren illegalen Leidensgenossen, vor allem Ukrainer und Moldawier, auf die Spur kam.
In Wien verdiente sie als Schwarzarbeiterin etwa 3 bis 4 Euro pro Stunde. 200 Euro musste sie davon monatlich für eine kleine Unterkunft in einem Wiener Arbeiterbezirk abgeben. Dafür, dass sie hauptsächlich illegale ukrainischen und moldawische Mieter beherbergte, kassierte die Vermieterin die doppelte Miete. Ihr Zimmer musste Bogdana mit zwei Frauen und drei Männer teilen. Unbequem sei es gewesen, aber eigentlich auszuhalten, erinnert sie sich. „Abends waren wir alle so müde, dass uns das gar nichts und niemand mehr stören konnte. Wir fielen wie tot alle um, um morgens wieder ganz früh aufzustehen“.
Zurück nach Hause ging sie, als ihr deutsches Touristenvisum längst abgelaufen war. Die Sehnsucht nach ihrer Familie und vor allem nach der kleinen Olena habe sie nicht mehr losgelassen, erzählt Bogdana. Mit vielen schönen Geschenken kam sie in ihr Dorf zurück, doch ihre Zeit im Westen forderte einen hohen Preis. Während Bogdanas Abwesenheit verfiel ihr damals arbeitslos gewordener Mann dem Alkohol und lieh sich bei den Nachbarn Geld. „Als ich heimkam, war der Rohbau unseres neuen Hauses nicht etwa vorangegangen. Schlimmer noch: Jaroslaw hat sogar die Bretter vertrunken, die wir fürs Dachhaus vorgesehen hatten“, sagt Bogdana mit Bitterkeit.
Ihre alte Arbeitsstelle im Lemberger Flughafen nahm sie gleich nach ihrer Rückkehr wieder auf. Hier arbeitet sie nun für umgerechnet 60 Euro im Monat. Ihren Mann Jaroslaw schickte sie nach Portugal zum Schwarzarbeiten. „Soll auch er mal etwas für seine Familie tun“. In ihren Träumen sieht Bogdana ihre Familie um sich versammelt, in ihrem neuen gemütlichen, zu Ende gebauten Haus. Dass die Jungen sich im Ausland verdingen müssen, während die Kleinen und die Alten, wie im Krieg, alleine zu Hause bleiben, das sei für die Ukraine eine Schande. „Juschtschenko hat uns versprochen, diese Schande loszuwerden. Deshalb haben wir ihn gewählt“, hofft Bogdana auf den neuen Präsidenten, den Helden der orangen Revolution.
Bogdanas Hoffnungen und Träume teilen Millionen andere Ukrainer. Von ihrer neuen Regierung erhoffen sie sich einen höheren Lebensstandard, einen gleichberechtigten Platz in Europa, neue Arbeitsplätze, und das Ende der Abwanderung. Es ist höchste Zeit: Seit ihrer Unabhängigkeit 1991 hat die Ukraine bereits zehn Prozent ihrer Einwohner an den Westen verloren - über fünf Millionen Menschen.