„Die Ukrainer können Europa viel mehr geben als sie von Europa erwarten…“ / Interview mit Ruslana Lyschitschko
Die ukrainische Sängerin Ruslana Lyschitschko ist durch den Sieg beim letzjährigen Eurovision Song-Contest in der Türkei mit ihrem Lied „Diki Tanzi“ (Wilde Tänze) international bekannt geworden. In ihrem Heimatland gilt Ruslana seit diesem Triumph als Volksheldin, vergleichbar nur mit dem Fußballspieler Andrej Schewtschenko und den boxenden Brüdern Klitschko. Ähnlich wie die Klitschkos hat Ruslana die orange Revolution und Präsident Wiktor Juschtschenko aktiv unterstützt und an den großen Demonstrationen auf dem Maidan-Platz in Kiew teilgenommen. Im Vorfeld des diesjährigen Eurovision Song-Contest am 21. Mai in Kiew sprach n-ost-Korrespondentin Tatjana Montik mit der Sängerin.
Was hat sich in deinem Leben durch den Sieg beim Grand Prix 2004 verändert?
Lyschitschko: Meine Band und ich haben innerhalb eines Jahres praktisch die ganze Welt bereist. Meine Platte ist sogar in Ägypten und in den Arabien zum Superhit geworden! Tatsächlich hat sich mein Leben seit Istanbul komplett verändert. Wichtig ist für mich allerdings, trotz der ganzen Veränderungen dieselbe Person zu bleiben, die ich schon immer gewesen bin: offen und aufgeschlossen gegenüber allen Menschen. Ich glaube, bisher ist es mir gelungen.
Was unterscheidet die Ukraine des Jahres 2004 und die Ukraine von heute?
Lyschitschko: Vor der Revolution lebten wir in einer düsteren postsowjetischen Zeit, und die Ukrainer haben an ihren Kräften gezweifelt. Und dann kam der Durchbruch! Heute hat unser Land atemberaubende Perspektiven, und das Geschäftsleben hat große Impulse bekommen. Solche Pläne zu schmieden wie heutzutage, hätte sich die Mehrzahl der Menschen im vorigen Jahr gar nicht getraut, denn sie wäre damals zum Scheitern verurteilt gewesen.
Hast du nicht den Eindruck, dass dein Sieg bei der Eurovision 2004 die orangefarbene Revolution eingeleitet hat?
Lyschitschko: Für das Selbstbewusstsein der Ukrainer hat mein Sieg bestimmt eine wichtige Rolle gespielt. In Istanbul haben meine Band und ich überall mit uns die ukrainische Fahne herumgetragen, um zu betonen: Gesiegt hat die ganze Ukraine! Für unser Land war das eine großartige Werbung! Wir haben die Welt auf uns aufmerksam gemacht, und die Ukrainer haben dadurch mehr Glauben an ihre eigenen Kräfte bekommen. Und in der Revolution wurden von den Menschen genau diese Eigenschaften gefragt.
Wer war der Motor Eurer Revolution?
Lyschitschko: Es waren die Jugendlichen! Sie waren es, die das Bild der Ukraine in der Welt komplett umgekrempelt haben! Und heute bleibt unsere Jugend und insbesondere die Studentenschaft tätiger und aktiver als je zuvor. Das ganze Land ist wie von einem Dornröschenschlaf erwacht. Heute erleben wir eine Entwicklung wie in einem beschleunigten Film. Ich bete nur darum, dass wir keine Enttäuschungen erleben und dass das revolutionäre Potenzial uns unseren Weg effektiv zu ebnen hilft.
Was haben Deine Erfahrungen bei den Demonstrationen auf dem Maidan-Platz Dir persönlich gegeben?
Lyschitschko: Der Maidan war für mich eine wahnsinnig positive Erfahrung! So viel Freude hatte ich in meinem Leben noch nie erfahren. Stellen Sie sich vor, Sie gehen auf einen Platz – und sehen dort eine Million hoffnungsvoller Augen, und das, obwohl die Menschen nicht wussten, wie alles enden würde. Auf dem Maidan kamen Vertreter aller sozialen Schichten zusammen – sowohl jene mit den kleinen kaputten Autos wie auch jene mit ihren teueren Rolls-Roys. Sie alle hatten ein Ziel: für ihre verletzten Rechte zu kämpfen.
Hat diese Revolution Dich selbst verändert?
Lyschitschko: Oh ja! Ich glaube, die positive Energie des Maidans, tief in mir gespeichert zu haben. Und ich bin menschlicher geworden und habe einen neuen Glauben an die Zukunft meines Landes gewonnen. Ich bin einverstanden mit jenen, die behaupten: In jenem Monat kam Gott runter auf unseren Maidan und er hat unseren Menschen Hilfe und Beistand geleistet.
Trägt Wiktor Juschtschenko den orangefarbenen Schal, den du ihm geschenkt hast?
Lyschitschko: Zum Tragen ist dieser Schal viel zu lang – an die 15 Meter. Aber der Präsident hält ihn in Ehren. Er weiß: Das Stricken daran wurde in Warschau angefangen, er wurde dann auf dem Weg von Warschau über Lemberg nach Kiew weitergestrickt – von den Menschen, die unsere Revolution unterstützten. Den fertigen Schal durfte ich an Wiktor Juschtschenko auf der großen Bühne auf dem Maidan überreichen. Beim Anblick des Schals standen dem Präsidenten die Tränen in den Augen! Und wir, die wir alle, 30 Personen, die in dem Augenblick auf der Bühne waren, wickelten diesen Schal um uns, und auch wir weinten vor Glück.
Meinst Du, die Revolution in der Ukraine schwappt noch auf weitere Länder über, zum Beispiel auf Weißrussland?
Lyschitschko: Die Energie unserer Revolution hat oder wird sich zweifelsohne auf andere Länder übertragen. Denn das ist eine Kraft, die sich nicht mehr aufhalten lässt. Ich bete nur um eins: Dass die Veränderungen in anderen Ländern auch so friedlich passieren wie bei uns – ohne Blut und ohne Waffen.
Was erwartest Du Dir persönlich von dem diesjährigen Wettbewerb?
Lyschitschko: Das Entscheidende in diesem Jahr: Es ist ein Jubiläums-Contest – 50 Jahre Eurovision! Ich wünsche mir, dass unsere Gäste ihr Herz an die Ukraine verlieren, hier bei uns viele neue Freundschaften schließen, sich verlieben und Bünde fürs Leben schließen und immer wieder zurückkommen. Das wäre meine Traumvorstellung! Wir bereiten ein solches Fest vor, dass ganz Europa in der Ukraine zusammenkommt und sich hier bei uns vereinigt.
Läuft man da nicht Gefahr, dass nach dem Contest noch mehr Ukrainerinnen ihre Heimat verlassen?
Lyschitschko: Tatsächlich sind die Ukrainerinnen derzeit in Europa in aller Munde, leider oft in den negativen Schlagzeilen - wie etwa jetzt in Deutschland im berüchtigten Visa-Skandal. Die Geschichten über die Ukrainerinnen in den Bordells oder als Schwarzarbeiterinnen sind meiner Meinung nach bis ins Unmögliche übertrieben! Glaubt mir: Unsere Mädchen werden uns nach der Eurovision nicht abhanden kommen! Alleine auf dem Maidan haben sich in der orangefarbenen Revolution so viele Liebespaare gefunden, so viele Hochzeiten wurden gleich dort gefeiert! Bei einigen davon bin ich zu Gast gewesen. Ukrainische Männer und unsere Revolution werden ukrainische Mädchen in der Ukraine zurückhalten.
Du hast bereits erwähnt, dir sei der Visa-Skandal in Deutschland bekannt…
Lyschitschko: Natürlich! Auf meiner Deutschland-Tournee habe ich genug davon gehört. Was ich in diesem Zusammenhang von den Ukrainern sehr gerne sagen möchte ist: Bitte übertragt das Schlechte, was in diesem Skandal über unsere Menschen bekannt geworden ist, nicht auf unsere ganze Nation. Ihr müsst wissen: In der Ukraine ist der Familienkult neben der Heimatliebe das allererste, was einem Kind von Geburt an angeimpft wird. Familienbeziehungen stehen für uns an der ersten Stelle. Deshalb ist es ungerecht, aufgrund einiger Fälle unsere Ukraine zu einem Armuts- und Elendssumpf abzustempeln, wie das in Deutschland im Moment getan wird. Ich wünsche, Deutschland würde nach wie vor zur Ukraine stehen, so wie in den Zeiten unserer Revolution, als Deutschlands moralische Hilfe für uns eine der wichtigsten war. Bitte sät keine Feindschaft zwischen unsere Völker und stoppt diese üble schwarze PR-Kampagne!
Was verbindet Dich mit Deutschland?
Lyschitschko: Meine Mutter hat zwölf Jahre in Potsdam gelebt, einer der Tänzer aus meiner Truppe ist in Jena geboren. Viele meiner ukrainischen Freunde leben in Berlin, Frankfurt und in Hamburg. Ich telefoniere oft mit Wladimir Klitschko, der sich überwiegend in Hamburg aufhält. Ich liebe die Musik von Bach und von Beethoven und …die von Rammstein. Demnächst fahre ich nach Deutschland mit Konzerten. Ich habe großes Respekt vor der deutschen Nation und möchte ihr aufrichtig ein großes Glück wünschen.
Soll die Ukraine deiner Meinung nach in die EU aufgenommen werden oder doch lieber unabhängig bleiben?
Lyschitschko: Meine Liebe zu Europa ist dermaßen groß, dass ich für mein Land nichts anderes wünsche als eine Mitgliedschaft in der großen europäischen Familie. Nur ein Beispiel: Zu Silvester kletterten mein Vater und ich auf einen Berg in den Karpaten und nahmen eine ukrainische und eine europäische Fahne mit. Mit diesen zwei Fahnen habe ich mich von meinem Vater fotografieren lassen. Das ist meine Politik, die Politik von Ruslana. In unserer Mentalität sind wir Ukrainer längst in Europa angelangt. Und eins müsst Ihr noch wissen: Wir können Europa viel mehr geben als wir von Europa erwarten.
Ist Kiew auf die Eurovision vorbereitet?
Lyschitschko: Die Vorbereitung darauf begann bereits am Tag nach meinem Sieg. Jedermann scheint mir, sich damit zu beschäftigen – von einfachen Menschen, die das Thema heiß diskutieren, bis hin zum Bürgermeister von Kiew und dem Präsidenten. Es gibt so viele Ideen und Projekte, die in diesem Zusammenhang stehen! Ich habe manchmal den Eindruck, dass sogar die Kindergartenkinder sich darüber den Kopf zerbrechen, was man bei uns während der Eurovision noch veranstalten könnte. Die Eurovision ist für die Ukraine in diesem Jahr wahrscheinlich das Ereignis schlechthin. Natürlich nach unserer Revolution (lacht).
Wenn wir die Eurovision nicht in der Ukraine stattfinden würde, warum, glaubst du, sollten die Menschen aus Europa trotzdem in dein Land kommen?
Lyschitschko: Die Ukraine wohl ist eine der letzten wirklich exotischen Ecken in Europa. Seinen Gästen bietet mein Land viel Abwechslung: eine alte und reiche Geschichte, wunderschöne Naturlandschaften, erholsame Kurorte, romantische Schwarzmeerstrände und heilende Wasserquellen sowie einmalige Traditionen und Gebräuche. Die Gastfreundschaft der Ukrainer ist zumindest auf dem postsowjetischen Raum allgemein bekannt! Unvergesslich wäre für Euch etwa eine Hochzeit, die man meinem Bergvolk aus den Karpaten, den Huzulen, erlebt. In den Karpaten kann man außerdem wunderbar Skifahren. Und Geschäftsleute dürfen eins nicht außer Acht lassen: die wirtschaftlichen Potenziale meines Landes sind enorm!...