Präsident, Premier und Popsternchen: Die drei Superstars der Ukraine
Auf dem Kiewer Maidan, Schauplatz der so genannten orangenen Revolution im vergangenen November, herrscht heute geschäftiges Treiben. In wenigen Tagen wird die ukrainische Hauptstadt Austragungsort des Songcontests Eurovision 2005 sein. Für diesen Event der leichtverdaulichen Popmusik putzt sich die ukrainische Hauptstadt ordentlich heraus. Besonders im Zentrum werden die Straßen sauber gekehrt oder sogar neu asphaltiert, Blumenkübel und Bordsteine werden frisch angestrichen, neue Cafés und Restaurants schießen wie Pilze aus dem Boden. Der Schlagerwettbewerb ist ein nationales Ereignis, schließlich war die Gewinnerin im vergangenen Jahr eine Ukrainerin. Und die erfolgreiche Ruslana war noch dazu eine der großen Stützen der orangenen Revolution.
Der Maidan ist für die Straßenhändler der beste Standort. Hier, vor der hohen Weltuhr am Eingang ins Hauptpostamt, gibt es immer Verkaufsstände mit Souvenirs, Büchern und diversen Andenken an die Ukraine. Vom bevorstehenden Grand Prix, zu dem in Kiew Musikfans aus aller Welt erwartet werden, versprechen sich die Souvenirverkäufer ein Rekordgeschäft. „Hoffentlich kommen wir an unseren Umsatz vom November heran“, schwärmt die 22-jährige Straßenverkäuferin Marina. Auf ihrem Tisch liegen diverse Revolutionsdevotionalien: orangene T-Shirts mit aufgedruckten Portraits des Präsidenten, schwarz-orangene Pullover, wie sie im November die Premierministerin trug, CDs mit Revolutionsliedern sowie Pins und Portraitsfotos von Juschtschenko und Timoschenko, auf denen sie einträchtig strahlen. Die Traumzahlen von einst werde man es jedoch kaum noch einmal erreichen können, meint Marina. Bis zu 13 000 Griwnja (knapp 2000 Euro) täglich hätten sie im November, als Zehntausende auf den Straßen waren, dazu Hunderte Journalisten und Schaulustige den Maidan aufsuchten, abends in der Kasse gehabt.
Gleich neben dem Stand von Marina handelt Swetlana Wiktorowna, eine 62-jährige Rentnerin aus Kiew. Da sie von ihren monatlichen 70 Euro Rente in der Hauptstadt kaum überleben kann, muss auch sie Souvenirs verkaufen. Hauptsächlich Portraits und Kalender mit den Köpfen des Präsidenten und der Premierministerin hält sie in allen erdenklichen Ausführungen bereit. Für ein großes A4-Bild im Plastikrahmen muss man rund drei Euro ausgeben, kleinere sind schon für 50 Cents zu haben.
Wie die Geschäfte laufen? „Nicht mehr so gut wie früher“, meint Swetlana Wiktorowna seufzend. Die Konkurrenz sei einfach zu stark. Außerdem habe man hier in der Nähe einen Laden eröffnet, der sich stolz „Revolutionsmuseum“ nennen darf. Er liegt gleich unten, in der ‚truba’ (Rohr), so wird im Kiewer Slang die U-Bahn-Unterführung am Maidan genannt. In diesem „Museum“ ist tatsächlich eine beeindruckende Auswahl an „Revolutionsartikeln“ zu finden –Poster, Ansichtskarten, Wand- und Tischkalender, DVD’s, CD’s, Tassen, Kugelschreiber, schicke Pullis, T-Shirts usw. Verkäufer Vitalij (27) sagt, „am besten gehen die Juschtschenko-Portraits weg, egal in welchem Format“. An guten Tagen verkaufe er bis zu 30 Stück. An freien Tagen kommen die Menschen aus den Vororten, hohe Umsätze garantiert.
Die Portraits von Julia Timoschenko erfreuen sich vor allem bei Männern großer Beliebtheit. „Sie ist unsere Sexgöttin“, meint der Händler mit ernster Mine. Genauso, wie Popsternchen Ruslana, Gewinnerin der Grand Prix in Istanbul. Während die vom Bergvolk der Huzulen abstammende Ruslana die „wilde“ Seite der Ukraine verkörpert, macht Premier Timoschenko die Lady-Figur. Die beiden Frauen sind in aller Munde, Beiträge über sie beherrschen die Schlagzeilen der ukrainischen Presse. Trotzdem, den Präsidenten können sie nicht toppen: Die Frauen seien zwar attraktiv, aber trotzdem nicht das Staatsoberhaupt, so Vitalij. Außerdem kämen in letzter Zeit viele zu ihm, die auf die rigorose Politik ihres Ministerkabinetts nicht gut zu sprechen seien, so Vitalij, der Händler. Viele Menschen, vor allem Rentner, sind von Inflation und hohen Lebensmittelpreisen hart getroffen. Dennoch, 62 Prozent vertrauen der neuen Regierung, so eine neue Umfrage der Nachrichtenagentur Interfax . Zum Vergleich: Jutschtschenkos Amtsvorgänger Kutschma brachte es gerade mal auf 8 Prozent!
Der ukrainische Politologe Wladimir Fessenko meint, dass sich das Tandem Juschtschenko-Timoschenko auf eine perfekte Weise ergänzt. Die Premierministerin zeigt sich energisch und manchmal radikal, der Präsident gibt die nötige Wärme und Geborgenheit. Das kommt an. Kein Wunder also, dass mit Portraits und Postern, in der Regel simple Fotomontagen, nicht nur Büroräume, sondern mit Vorliebe auch private Wohnungen geschmückt werden.
Eine alte Babuschka, Natalja Andrejewna (78) aus dem Kiewer Vorort Browary, die gerade in Kiew ihre Enkel besucht, ist ebenfalls nach einer „anständigen Abbildung“ von Wiktor Juschtschenko auf der Suche. All jene, welche sie bisher an Zeitungskiosken gesehen habe, hätten ihr nicht zugesagt, klagt die Rentnerin. Auf ihrem Wunschportrait müsse Juschtschenko genauso aussehen wie sie sich ihren Präsidenten vorstellt: „gutherzig, lächelnd, jung und schön“. Ein solches Bild findet Natalja Andrejewna endlich bei der Verkäuferin Marina vor dem Eingang ins Hauptpostamt. Darauf ist Wiktor Juschtschenko noch ohne seine krankhafte Verunstaltung im Gesicht dargestellt. In der Ecke des Bildes eine persönliche Widmung des Präsidenten: „Für eine blühende und demokratische Ukraine! Vom ganzen Herzen!“ Dass sie zusammen mit Juschtschenko ein solches Land aufbauen werden, darauf vertrauen heute die meisten Ukrainer. Die plastikumrahmten Bilder stehen da wie für ein Bekenntnis.