Ukraine

„Es gibt keine Siege ohne Niederlagen“

Vor einem halben Jahr war es nahezu unmöglich, mit diesem Mann einen Interview-Termin zu bekommen. Damals war Wiktor Janukowitsch noch ukrainischer Premierminister und aussichtsreicher Kandidat für den Präsidentenposten. Janukowitsch galt als Zögling des scheidenden Präsidenten Leonid Kutschma und als Mann Moskaus. Seine Wahlkampagne wurde üppig aus der Staatskasse und von den reichsten Industrie-Oligarchen des Landes finanziert. Dann ging das Volk, in orangene Tücher gehüllt, auf die Barrikaden und erzwang eine Wiederholung der Präsidentenwahl, die der Kandidat Janukowitsch verlor. Mittlerweile ist der Freundes- und Helferkreis des Ex-Präsidentschaftskandidaten gewaltig geschrumpft und sogar für Interviews hat Janukowitsch wieder Zeit.

Anna German, seine Presseberaterin, zeigt sich überaus glücklich über das Treffen. Früher, so erklärt sie, habe der damalige Präsident Leonid Kutschma nahezu alle Kontakte des Premierministers zur ausländischen Presse unterbunden. Im Übrigen sei sie froh, dass ihr Chef am Ende doch kein Präsident geworden sei. Andernfalls wäre er zu Kutschmas Marionette mutiert.
Eine Stunde dauert es, bis sich die Beinahe-Marionette blicken lässt. Der Händedruck fällt kräftig aus. In der Realität unterscheidet sich Janukowitsch von dem aus dem ukrainischen Fernsehen gewohnten Bild nur wenig: Die Größe seiner Statur flößt Ehrfurcht ein. Entsprechend groß sind der Saal und der Konferenztisch dimensioniert, an dem wir Platz nehmen.

„Wir haben bei der Wahl im Dezember keine Niederlage erlitten. Der Hauptgrund dafür, dass wir unseren Sieg nicht verteidigen konnten, ist das kaputte Rechtssystem“, stellt Janukowitsch gleich klar. Nein, für Niederlagen ist dieser Mann nicht gemacht. Sein Selbstbewusstsein ist unerschütterlich. Wenn er über sich redet, verwendet Janukowitsch ein majestätisches „wir“. Er spricht langsam, legt oft lange Pausen mitten im Satz ein. Besonders schlecht ist er auf den polnischen Ex-Präsidenten Lech Walesa zu sprechen. Dieser sei „einer der Ausführenden eines Geheimplanes“ gewesen. „Er sollte unseren Sieg auf keinen Fall zulassen.“ Die Verhinderung eines Bürgerkrieges sei sein, Janukowitschs, Verdienst gewesen. „Keine Macht ist Menschenopfer wert. Ich selbst habe meine Anhänger davon abgehalten, Gewalt anzuwenden.“

Vernichtend fällt das Urteil über Leonid Kutschma aus. Dessen „Verrat“, sei der schlimmste gewesen. In Kutschmas schmutzigem Spiel sei er, der Premier, nur eine von vielen Schachfiguren gewesen. Letztendlich habe sich der Ex-Präsident in seinen Machenschaften selbst nicht mehr so richtig ausgekannt. „Kutschmas Pläne waren absolut verworren.“ Mittlerweile sei der Kontakt zu seinem einstigen Ziehvater völlig abgerissen.

Immer noch glaubt Janukowitsch an sein politisches Comeback. Im ukrainischen Parlament hat er die Oppositionsführung übernommen. Derzeit keine leichte Aufgabe, denn der Janukowitsch-Partei laufen seit der orangenen Revolution die Mitglieder davon. Besonders Gewitzte schafften es noch zwischen den insgesamt drei Wahlgängen die Fronten zu wechseln. Mit der Macht seien auch die einst großzügigen Geldspenden der ostukrainischen Industrie-Oligarchen verloren gegangen, ärgert sich Janukowitsch. Jetzt müssten die Parteimitglieder eben selbst in die Parteikasse einzahlen.

Das Geld wird dringend gebraucht: Im Frühjahr 2006 stehen in der Ukraine Parlamentswahlen an. Welche Strategien seine „Partei der Regionen“ im Wahlkampf wählen wird, darauf weiß der Oppositionsführer noch keine Antwort. Er kündigt aber an, dass seine Partei im Falle eines Sieges eine Balance herstellen werde, mit der neuen Macht und deren „stümperhafter Politik“.

Besonders geißelt Janukowitsch die Entfernung seiner Anhänger aus dem Staatsdienst: „Dabei werden alle Normen der Demokratie verletzt. Bei uns herrscht die absolute Gesetzeslosigkeit.“ Die neue politische Doppelspitze aus Präsident Juschtschenko und Premierministerin Julia Timoschenko trage die Schuld an steigender Inflation und sinkenden Konjunkturwerten. Juschtschenko habe es geschafft, die Bevölkerung innerhalb von nur 100 Tagen verarmen zu lassen. „Und diese Prozesse werden sich in diesem Jahr noch verschlimmern.“ Mit keinem Wort erwähnt Janukowitsch dabei die leeren Staatskassen, die er hinterließ. Er steht im Verdacht über 600 Millionen Euro während seiner Amtszeit aus dem Staatsbudget entwendet zu haben. Zudem hatte er vor der Wahl ohne Gegenfinanzierung großzügig Renten und Stipendien der Studenten erhöht, Hauptgrund für den gegenwärtigen Anstieg der Inflation.

Wie er es geschafft hat, trotzt seiner Niederlage sein inneres Gleichgewicht wieder zu finden? „Es gibt keine Siege ohne Niederlagen“, sagt Janukowitsch philosophisch. Und: „Ich habe in meinem Leben viel durchgemacht. Deshalb bin ich überzeugt: Von einer Niederlage kann man nur dann sprechen, wenn man seinen Prinzipien nicht treu bleibt.“ Noch sei nicht entschieden, ob er noch einmal für das Amt des Präsidenten kandidiere. „Das wird mir das Leben diktieren.“

Die Zeit sei abgelaufen, wird dann signalisiert. Gleich beginne online ein Live-Chat zwischen Janukowitsch und seinen potenziellen Wählern. Ob der Ex-Kandidat dabei selbst die Fragen der Internetnutzer beantwortet, bleibt offen. Wichtiger ist der demokratische Schein. Denn Demokratie wird in der Ukraine heute wieder ganz groß geschrieben.


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