EU-Verfassung ist gut für die Karriere
Wroclaw (n-ost). Das Verhältnis der ehemaligen Sowjetstaaten zu Europa könnte unterschiedlicher nicht sein: Litauen, das wie seine beiden baltischen Nachbarn vor gut einem Jahr der EU beigetreten ist. Die Ukraine, die nach der Orangen-Revolution im Herbst auf einen Beitritt in den Euro-Bund hofft. Und Weißrussland, wo den Menschen per Staatspropaganda Europa als chaotisch und bedauernswert vermittelt wird. Trotzdem fühlen sich junge Journalisten aus allen drei Ländern als echte Europäer und versuchen, mit ihrer Arbeit zu vermitteln, was Europa ist. MDZ-Redakteurin Dana Ritzmann traf die Kollegen aus Kaunas, Odessa und Minsk während eines internationalen Journalistensymposiums in Wroclaw.
Vytautas Gaizauskas, 43 Jahre, Kaunas-Korrespondent der litauischen Wirtschaftszeitung "Verslo Zinios" (Business News)
Hast du den Eindruck, dass Litauen heute europäischer ist, als noch vor einem Jahr?
Das ist schwer zu sagen. Wenn man es mit dem Bruttoinlandsprodukt eines Landes vergleichen würde, dann könnte man sagen, der Europafaktor ist seit dem EU-Beitritt um etwa acht Prozent gewachsen. Das zeigt, dass unser Land europäischer ist, aber eben nur minimal. Acht Prozent sind nicht 50 Prozent. Allerdings sind diese Veränderungen besonders im wirtschaftlichen Bereich sichtbar.
Welche Rolle spielen die Medien in diesem Prozess?
Wie gesagt, Zeitungen und Fernsehen informieren in erster Linie. Und wir Journalisten sind die Experten. Mein Vater kommt beispielsweise zu mir und fragt mich, wie er am besten an EU-Gelder zur Sanierung seines Landwirtschaftsbetriebes kommt. Junge Leute wollen wissen, wo sie im Ausland studieren können und welche Programme es dafür gibt. Für die Geschäftsleute sind die Veränderungen im Handel am wichtigsten. Als mit dem EU-Beitritt Litauens die Zollschranken wegfielen, konnten Importeure und Exporteure erstaunliche Mengen an Zeit und Geld sparen, das ist ein großes Thema in der Businesswelt. So hat jeder seine eigenen Themen, die für ihn von Bedeutung sind - und die Medien spiegeln all diese Prozesse wieder.
Wie siehst du deine Aufgabe als Journalist, deine Leser über Europa zu informieren?
Um ehrlich zu sein, die Leser unserer Zeitung gehören zur intellektuellen Elite Litauens, denen muss man Europa nicht mehr erklären. Wahrscheinlich kennen sie selbst mehr Details als ich. Worin meine Aufgabe besteht? Am wichtigsten ist es für unsere Zeitung, über Geschäftsbeziehungen in Litauen und mit europäischen Partnern zu berichten und über mögliche Perspektiven für die litauische Wirtschaft.
Fühlst du dich als Europäer?
Ja! In meiner Familie bin ich so etwas wie der EU-Experte, weil ich auch beruflich viel mit dem Thema zu tun habe. Ich habe sogar die Verfassung gelesen, auf Englisch und in der litauischen Übersetzung, weil ich glaube, dass das vielleicht mal wichtig für die Karriere ist.
Marina Rachlej, 25 Jahre, Reporterin bei der weißrussischen Nachrichtenagentur "BelaPAN" in Minsk
Was bedeutet für dich Europa?
Unterstützung füreinander, gleiche Möglichkeiten für alle, gemeinsame Werte, Vielfalt an Kultur und Meinungen - und offene Diskussionen.
Fühlst du dich als Europäerin?
Ja! Aber ich glaube, dass ist nicht so normal in meinem Land. Wahrscheinlich liegt es an der Bildung, ich habe viel gelesen. Man könnte es vergleichen, mit der Dolmetscherausbildung in der Sowjetunion - obwohl die Leute nie im Ausland waren, sprachen sie oft fehlerfrei und ohne Akzent Deutsch oder Englisch. So kann ich mich aufgrund meines Wissens über Europa auch dazugehörig fühlen, ohne wirklich mittendrin zu sein.
Welche Aufgaben haben deiner Meinung nach Journalisten bei der Integration Weißrusslands in Europa?
Es ist ziemlich wichtig, ein objektives Bild zu vermitteln und überhaupt über alles, was so vor sich geht zu berichten. Zum Beispiel schreiben wir oft darüber, welchen Einfluss bestimmte Brüsseler Entscheidungen auf unser Land haben und was es bedeutet, ein guter Nachbar für Europa zu sein.
Glaubst du, dass sich Weißrussland zwischen Europa und Russland entscheiden muss?
Bei uns ist es so, dass die Menschen glauben, dass sie nichts entscheiden können. Bei Wahlen zum Beispiel, machen alle nur ihre Kreuzchen hinter die Namen, deren Gesichter sie am besten kennen. Die Richtung wird von unserem Präsidenten vorgegeben und per Staatspropaganda vermittelt. In Bezug auf Russland bedeutet das, dass das Land immer noch der Große Bruder ist und über Europa heißt es, dass die Menschen dort nur neidisch sind, auf die Errungenschaften Weißrusslands. Meinungsfreiheit und Demokratie sind in Belarus Fremdworte und Menschenrechte werden missachtet.
Wie ist es, als Journalistin unter diesen Bedingungen zu arbeiten?
Wenn man versucht, objektiv zu sein, dann denkt der Staat, man ist gegen ihn und behindert alles, was man tut. Bespitzelung, Verfolgung, Bedrohung, Angst um das eigene Leben - das gehört eigentlich zum Alltag. Wer das nicht aushält, dem bleibt nichts anderes übrig, als ins Ausland zu fliehen. Trotzdem gibt es natürlich unglaublich viel zu berichten und es gibt auch immer wieder kleine Erfolge. Für mich ist der Job extrem interessant und spannend!
Welche Perspektive siehst du für dich in Europa?
Es ist schwer, in Weißrussland zu leben. Aber in Europa gibt es auch niemanden, der auf mich wartet. Ich kann nur hoffen, dass sich auch bei uns irgendwann etwas ändert. Man sagt "Erst die Revolution, dann die Revolution", das bedeutet, dass es den Menschen erst so schlecht gehen muss, dass sie protestieren und dann ist Raum für Veränderungen und Reformen da. Das wird irgendwann so kommen, aber wann, kann man schwer sagen.
Karina Beygelzimer, 30 Jahre, Leiterin des Nachrichtenbüros in Odessa bei einer Medienholding, die unter anderem die Zeitungen "Argumenty i Fakty Ukraina" und "Komsomolskaja Prawda Ukraina" in der Ukraine herausbringt.
Wie hat die Orangen-Revolution das Verhältnis der Ukraine zur EU verändert?
Vor der Revolution gab es eine Zweiteilung der Ukraine: Der Osten fühlte sich mehr zu Russland hingezogen, während sich der Westen eher an Europa orientierte. Nach der Revolution hat unser Präsident klar gesagt: Wir wollen ein gutes Verhältnis zu Russland, aber wir gehen nach Europa.
Was heißt für dich Europa?
In erster Linie denke ich wohl an die europäische Kultur, die so reich ist und voller Traditionen. Europa ist eine Art Kulturinsel - gar nicht geographisch, sondern eher von der Mentalität. Ich finde, man spürt sofort, wenn man in Europa ist.
Fühlst du dich als Europäerin?
Das ist eine schwierige Frage. Ich bin oft in Deutschland, habe Praktika gemacht und eine Weile dort gelebt und wenn ich mit meinen deutschen Freunden zusammen bin, dann fühle ich mich als Teil der deutschen Gesellschaft und damit auch als Teil von Europa. Aber auch in der Ukraine gibt es immer mehr Europäisierung - nicht nur mobile Märkte, sondern auch mobile Menschen, die sich kennen lernen und voneinander lernen und gemeinsam an ihrem Europa bauen. Aber die Ukraine ist noch weit von dem wirtschaftlichen Niveau der westlichen Länder entfernt und es gibt tonnenweise Stereotypen, die noch aus der Sowjetzeit stammen. Da hilft kein Radiergummi, um die zu beseitigen, sondern einzig und allein die Zeit und wechselseitige Kontakte.
Glaubst du, als Journalistin auf das Zusammenwachsen Einfluss nehmen zu können?
Ich schreibe viel über Beziehungen zwischen den Menschen, zum Beispiel mit Österreichern und Deutschen. Gerade zum 9. Mai habe ich viel über Völkerverständigung geschrieben und meine, dass das eines der wichtigsten Themen überhaupt ist. Aufgrund meiner Artikel sollen die Menschen miteinander in Kontakt kommen, sich austauschen und etwa übereinander erfahren. Wir berichten über das Leben im Ausland, über Politik und Soziales, auch über Probleme, die es gibt.
Wie siehst du deine Zukunft in Europa?
Ich möchte vor allen Dingen ohne Visa überall hinreisen können und hoffe, dass sich das schnell ändert. Außerdem wünsche ich mir, dass unser Land in Zukunft nicht nur rein geographisch zu Europa gehört. Da wird einiges passieren und das macht die Arbeit als Journalistin noch interessanter.
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