Russland

Zu Besuch bei Dschingis Khan


Moskau (n-ost). Pünktlich zur Touristensaison wartet Moskau mit einer neuen Sehenswürdigkeit auf: ein Wachsfigurenkabinett im Stile von Madame Tussaud’s in London. In einer ehemaligen Industriellenvilla am nördlichen Rand der Innenstadt wird die vielseitige russische Geschichte anhand bekannter Gesichter veranschaulicht: Dschingis Khan, Katharina die Große, Tschaikowski und Tschechow sind nur einige der ausgestellten Figuren. Wer will kann im Sessel zwischen dem Zeitung lesenden Rentner Boris Jelzin und einem äußerst jugendlich wirkenden Wladimir Schirinowski fürs Foto Platz nehmen.

Dicke blaue Pfeile symbolisieren den Vorstoß auf Moskau, kleine rote die Verteidigung Russlands. Die Geographie des Krieges. Vor der Karte versucht ein milde dreinblickender General Schukow mit versöhnlicher Geste dem ihm gegenüber stehenden Hitler einen Lösungsvorschlag unterbreiten zu wollen. Eine Inszenierung der Historie, denn tatsächlich sind sich die beiden „Feldherren“ nie begegnet.

Der Rundgang durch Moskaus neues Wachsfigurenkabinett ist eine historische Entdeckungsreise: Begrüßt durch den prachtvoll gekleideten Fürsten Wladimir, trifft man auf den die Slawen unterwerfenden Dschingis Khan und seine Kumpanen, auf den ruhmreichen Alexander Newskij und einen arrogant dreinschauenden Napoleon. Im Saal der Poeten Puschkin, Dostojewskij und Anna Achmatowa in trauter Runde, Gogol textet in Kaminnähe, wo die Entwürfe in Flammen aufgehen. Richtig spannend wird es allerdings erst, wenn der Initiator des Museums, Alexej Afanessow, anfängt zu erzählen.

Vor 17 Jahren habe er das erste Mal die Idee für ein russisches Wachsfigurenkabinett gehabt, sagt der Künstler. Bis zur Revolution hatte es einige im Land gegeben. Die Kunst, mit Wachs berühmte Persönlichkeiten nachzubilden, hatte Peter der Große aus Europa mitgebracht. In der Sowjetzeit ging die Wachskunst gänzlich verloren und erst 1990 eröffneten die ersten Ausstellungen wieder in Moskau und St. Petersburg. Mit neun Figuren fing Afanessow damals in einem 100-Quadratmeter-Saal auf dem Ausstellungsgelände Sokolniki an. Jetzt zog man in die grüne Villa am Prospekt Mira, denn inzwischen ist die Anzahl der lebensgroßen Wachspuppen auf über 100 angewachsen, jede von ihnen ist handgearbeitet, ein Original Moskauer Wachsbildnerkunst. Drei bis sechs Monate dauert es, bis eine Figur fertig ist. Dabei entwickelt der Museumschef selbst die Figur anhand originaler Vorlagen – Fotos, Bilder, Berichte - je nachdem, was es gibt. Mit Papier und Bleistift bastelt er mit dem jeweiligen Künstler solange an der Vorlage herum, bis sie perfekt ist. „Wenn das Wachs erst mal gegossen ist, wird es furchtbar teuer, etwas zu verändern“, sagt Afanessow. Dabei sind lediglich die sichtbaren Teile aus dem modellierbaren Fett, alles was unter den Kostümen steckt, sind Gestänge aus Metall und Pappe. Zuletzt wird jedes Barthaar einzeln angeklebt, ein Friseur stutzt die Perücken. Die Kleidung ist nicht minder aufwendig als die Gesichtzüge und Handbewegungen.

Der Museumschef Afanessow ist ein wandelndes Geschichtsbuch. Er kennt hunderte von Legenden und Anekdoten, sogar die Schuhgröße von Peter dem Großen (39). Seine Wachsfiguren hält er für die besten der Welt, was die Qualität angeht und auch preislich seien sie um ein Vielfaches günstiger als in Paris oder London. In seinem Museum kommen nur die Figuren zur Ausstellung, die ihm als „echt“ genug erscheinen. Auch wenn er zugibt, dass die Wachsbildnerei Kunst ist und die Figuren bis zuletzt Geschmackssache. Sein Anspruch allerdings: „Ich möchte, dass die Besucher reinkommen und voller Erstaunen ausrufen, wie echt jemand aussieht.“ Sein größter Fehlschlag bisher: Der große Sänger und Schauspieler Wladimir Wysotskij, in vielen Denkmälern und Bildern überall in Russland verewigt. Dreimal habe er eine Figur anfertigen lassen, Freunde und Verwandte des Sängers getroffen, und dreimal hat er letztlich das fertige Objekt verworfen. Jetzt arbeitet er an Trotzkij und Fabergé, dem Kosmosforscher Zylkowskij und Regisseur Eisenstein. Und irgendwann dazu kommen soll auch der Hund des Verhaltensforschers Pawlow, der bisher noch allein an einem Tisch mit Reagenzgläsern sitzt.

Musej Woskowych Figur, Prospekt Mira 25, täglich: 11 bis 19 Uhr, Eintritt: 250 Rubel

*** Ende *** 

Dana Ritzmann


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