Russland

Tod in Workuta


Moskau (n-ost) – Es war ein feiger Mord. Am Donnerstagmorgen klingelte es an der Wohnungstür von Ljudmilla Schorowlja. Als die 55-jährige Menschenrechtlerin die Tür öffnete schoss ihr ein Unbekannter Attentäter ins Gesicht. Auch der 21-jährige Sohn wurde getötet.

Ljudmilla Schorowlja ist in der nordrussischen Stadt Workuta bekannt für ihr Engagement als Bürgerrechtlerin. Mit ihrer Hilfe bekamen viele Bürger zuviel gezahlte Wohnungsbetriebskosten von der Stadtverwaltung zurück. Nach den Worten von Igor Saschin, der die Menschenrechtsorganisation „Memorial“ in der nordrussischen Republik Komi leitet, sei die Ermordete mehrmals unter Drohungen aufgefordert worden, ihre Tätigkeit einzustellen. Die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ljudmilla Aleksejewa erklärte, Frau Schorowlja habe wie alle Menschenrechtler sehr bescheiden gelebt. Vermutlich sei sie wegen ihrer Tätigkeit als Anwältin für die Bürger ermordet worden.

Im Gespräch mit der Internetzeitung „Komiinform“ erklärte der Ehemann der Ermordeten, aus der Wohnung sei nichts verschwunden. Er wollte jedoch nicht ausschließen, dass die Attentäter Dokumente mitgenommen haben. Konstantin Schorowl, der 21jährige Sohn der Menschenrechtlerin, wurde erschossen im Wohnzimmer. Nach den Aussagen der Ermittler soll er noch Widerstand geleistet haben. Der stellvertretende Innenminister der nordrussischen Republik Komi, Wladimir Sulajew, erklärte, erfahrene Ermittler seien mit der Aufklärung des Mordes an Frau Schorowlja beschäftigt.

Es ist das zweite Mal innerhalb eines Jahres, dass unbekannte Attentäter russische Menschrechtler direkt in der Wohnungstür töten. Im Juni 2004 wurde der bekannte Völkerkundler Nikolai Girenko in St. Petersburg von Unbekannten erschossen. Auch Girenko war nach einem Klingeln an die Tür gegangen. Sein Körper wurde aber bereits von Kugeln getroffen, bevor er die Tür öffnen konnte. Der 64jährige Girenko trat in Skinhead-Prozessen als Experte auf. Die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ljudmilla Alexejewa, erklärte, der Mord an Girenko, habe einer faschistischen Gruppe genützt. Die Täter wurden bis heute nicht gefasst.

Swetlana Gannuschkina, Mitglieder der Moskauer Menschrechtsorganisation „Memorial“ und international anerkannte Expertin für Flüchtlingsfragen erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax, russische Bürgerrechtler bekämen ständig Drohungen von rechtsextremen Gruppen. Vor kurzem habe die „National-Staatliche Partei Russland“ (NDPR) auf ihrer Internetseite eine Liste von 50 Personen veröffentlicht. Diese Personen seien „keine Freunde Russlands“, habe es dort mehrdeutig geheißen. Die NDPR ist auch in deutschen Neonazi-Kreisen ein Begriff, wie verlinkte Internetseiten beweisen.

Menschenrechtler und Ausländer mit dunkler Hautfarbe leben in Russland zunehmend gefährlich. Nachdem in den vergangenen Jahren Skinheads mit Überfällen auf tadschikische und aserbaidschanische Gastarbeiter sowie afrikanische Studenten für Schlagzeilen sorgten, macht jetzt die organisierte rechtsradikale Szene mit Gewalttaten von sich reden. Erst am 12. Juni explodierte kurz vor Moskau eine Drei-Kilo-Bombe unter einem Zug, der aus Grosny kam. Vier Waggons entgleisten, 42 Menschen, vor allem Tschetschenen, wurden verletzt. Zwei Wochen nach dem Attentat wurden zwei mutmaßliche Täter, der 48jährige Unternehmer Wladimir Wlasow und der 47jährige Techniker Michail Klewatschow verhaftet. Die Staatsanwaltschaft des Moskauer Gebiets eröffnete gegen die beiden Männer aus Moskau ein Verfahren wegen Terrorismus. Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft gehören die beiden Verhafteten der Organisation „Russische Nationale Einheit“ (RNJe) an. Die RNJe strebt die Schaffung eines Staates an, in dem nur Slawen wohnen. In den Wohnungen der beiden Verdächtigen fand man extremistische Literatur und chemische Mittel zum Bau von Bomben.


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Ulrich Heyden



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