Ukraine

„Politische Lügen sind mir zuwider“/ Interview mit dem ukrainischen Schriftsteller Andrej Kurkow

Mit dem Roman „Picknick auf dem Eis“, in dem der arbeitslose Schriftsteller Viktor einem Pinguin aus dem Zoo Asyl gewährt und in eine mysteriöse Mordserie verwickelt wird, wurde der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow in Deutschland als ironischer Beobachter des postkommunistischen Verfalls bekannt. Sein neuer Roman, „Die letzte Liebe des Präsidenten“, entstand kurz vor der orangefarbenen Revolution in Kiew. Es ist ein prophetisches und politisches Buch, das einiges der späteren Ereignisse vorwegnahm. Am 26. August erscheint das Buch nun auch auf Deutsch im Diogenes-Verlag. n-ost- Korrespondentin Tatjana Montik hat es gelesen und den Autor in seiner Wahlheimat Kiew getroffen.

Andrej, wie entstand die Idee für das Buch „Die letzte Liebe des Präsidenten“?

Kurkow:
Eine Weile beschäftigte mich intensiv eine Frage: Warum sieht man die ukrainischen Präsidenten nie lächeln? Können unsere Präsidenten etwa nie glücklich werden? Dann beschloss ich, dieser Frage in einem neuen Roman auf den Grund zu gehen.

Hat Dein Held im Roman mehr vom alten Präsidenten Leonid Kutschma oder doch mehr von seinem Gegenspieler, dem neuen Präsidenten und strahlenden Helden der orangefarbenen Revolution, Wiktor Juschtschenko?

Kurkow: Er ist eine dritte Variante, in einem gewissen Sinne besser als die Beiden. Mein Held ist sehr mutig. Er ist gewiss hundertmal besser als Kutschma, und er ist ein ganzer Mann und kein Freund von folkloristischem Kunstkram wie Juschtschenko. Und er behandelt seine Nächsten nicht wie Kleinkinder. Als ordentlicher Präsident traut er zwar niemandem richtig, denn in jedem Freund sieht er einen potenziellen Feind (lacht). Aber er ist ein ganzer Mann, und das spürt man besonders deutlich in den tragischen Episoden.

Wie wird Dein Held Präsident und warum?


Kurkow: Präsident wird er rein zufällig, weil er mit Frauen kein Glück hat. Dennoch wird er letztendlich von einer Frau gerettet.

In dem Roman, der ja in der Ukraine schon im Frühjahr 2004, also lange vor der Revolution herauskam, ist vieles vorweggenommen, was später tatsächlich passierte.

Kurkow: Ja, ich habe zum Beispiel die Vergiftung des Präsidentschaftskandidaten zwischen den Wahlrunden und seine Hauterkrankung erwähnt.

Funktioniert vielleicht die ukrainische Politik nach den Szenarien von Andrej Kurkow?

Kurkow: Das glaube ich nicht. Bloß liegen all diese Sachen einfach auf der Hand.

Wie liefen die Recherchen zu diesem Buch?

Kurkow: Mein Vorteil ist: Ich kenne viele Politiker persönlich. Und ich lese Zeitungen - wie jeder andere Mensch auch. Viele meiner Freunde haben Zugang zu den hohen Staatsämtern und sie berichten mir zum Beispiel über die Ereignisse, die noch zu erwarten sind. Mich interessieren aber weniger die puren Ereignisse, sondern viel mehr die Verhaltensweisen der Menschen hinter den politischen Kulissen.

Im vergangenen Herbst standest Du an der Seite der orangefarbenen Revolution. Heute hört man auch Kritik aus deinem Munde. Spürst Du vielleicht doch eine gewisse Enttäuschung?

Kurkow: Von der Revolution habe ich mich nie blenden lassen. Ich war einfach dort, wo jeder nüchtern denkende Ukrainer zu jener Zeit gewesen ist – auf dem Majdan (Anm. Platz im Zentrum von Kiew). Ich wollte auf keinen Fall zulassen, dass ein Mensch mit krimineller Vergangenheit unser Präsident wird. Mit Wiktor Janukowitschs Amtsantritt wäre aus der Ukraine ein zweites Weißrussland geworden, und der Westen hätte auf der Stelle unserem Land den Rücken gekehrt. Russland hingegen hätte uns mit Freuden empfangen - heim ins Reich.

Ist die Ukraine nun auf einem guten Weg?


Kurkow: Ganz eindeutig! Natürlich könnten die Verbesserungen schneller kommen, aber man darf eins nicht vergessen: Das ukrainische Volk hat eine enorme Angst vor einer starken Hand. Eine starke Hand war in unserer Geschichte immer die von Moskau. Und mein Held im Roman heißt nicht von ungefähr Präsident Bunin. (Anm: Name eines früheren russischen Nobelpreisträgers) Parallel mit ihm regiert in Russland – nach einer kleinen Unterbrechung – wiederum Präsident Wladimir Putin, der erneut gegen die Ukraine Ränke schmiedet. Und trotzdem versucht der ukrainische Präsident Bunin, mit Moskau Freund zu bleiben.

Ist für Dich das Arbeiten nach der Revolution einfacher geworden?

Kurkow: Seit der Revolution habe ich mich noch nicht richtig an die Arbeit gesetzt. Die Revolution macht die Menschen faul. Die Menschen beginnen auf etwas zu warten. In der Revolution tauschen die Menschen ihr Bedürfnis nach Stabilität gegen abenteuerliche Erwartungen ein. Ich muss langsam zur Stabilität zurückkehren.

Vielleicht bist Du inzwischen selber reif für die Politik?


Kurkow: Oh nein, obwohl man mir solche Angebote recht oft unterbreitet. Aber ich lehne sie höflich ab. Wir haben eine Politik der Mannschaften, und ich bin ein Individualist und durch keine Fraktionsdisziplin zu binden. Und dazu kommt: Ich kann für ein hohes Ziel nicht lügen. Für meine eigenen kleinen Ziele wäre ich vielleicht noch dazu in der Lage, wenn es natürlich niemandem schaden würde, aber politische Lügen sind mir zuwider. Und diese Lügen sind bei uns Gang und Gäbe.

Könnte Dich auch die hübsche Premierministerin Julia Timoschenko zu einem Roman inspirieren?


Kurkow: Diese Idee hatte ich bereits - als Timoschenko noch unter Kutschma im Gefängnis saß. Damals wollte ich ihr tatsächlich einen Roman widmen. Ich verrate jetzt ein Geheimnis: Ich hatte sogar einen Titel für diesen Roman bereit: „Die Frau, die nicht rostet“. Darunter verstehe ich eine mutige Frau, die immer das letzte Wort hat. ‚Nicht rostend’ heißt auch nicht alt werdend und immer perfekt funktionieren. ‚Nicht rostend’ bedeutet auch, sie ist aus Stahl und lässt sich nicht biegen. Das war und bleibt mein Verständnis des Charakters von Julia Timoschenko. Einen Roman unter diesem Titel werde ich bestimmt noch schreiben, aber nicht mehr in einer starken Anlehnung an Timoschenko, denn sie hat das nicht mehr nötig.

Wie wird Deine Heimat in, sagen wir, fünf Jahren aussehen?


Kurkow: Das Land wird dynamischer werden. Die Namen vieler heutiger Politiker werden in Vergessenheit geraten. Es wird wahrscheinlich eine neue Bewegung entstehen - für die Ukraine außerhalb der EU. Diese Bewegung wird sich darum bemühen, die Ukraine weder von Russland, noch von der EU noch von den USA beeinflussen zu lassen. Und wir werden engere Kontakte knüpfen mit den baltischen Staaten und der Türkei. Große Impulse wird die Landwirtschaft erhalten. Es werden viele westliche Banken ins Land kommen, die nicht nur mit Unternehmen, sondern auch mit Privatkunden arbeiten werden. Die Zinsen für Immobilienkredite werden niedriger und das Leben insgesamt wird teuerer...

Und zurück zu Deinem neuen Buch: Wird Dein Präsident letztendlich glücklich?


Kurkow: Nein, er wird es nicht. Der Mensch, der in der Sowjetunion geboren und aufgewachsen ist, kann kein glücklicher ukrainischer Präsident werden, denn er regiert ein virtuelles Land. Er regiert die unabhängige Ukraine, als wäre sie noch eine sowjetische Republik. Anstatt lediglich die demokratischen Prozesse zu steuern, kommandiert er die Leute aus seiner Umgebung herum. In einer freien Gesellschaft gelten aber ganz andere Spielregeln. Deshalb wird mein Held ein typischer unglücklicher und sogar von Frauen ungeliebter Präsident.


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