Chodorkowski tritt in Hungerstreik
Moskau (n-ost) - „Ich bin aus Solidarität mit meinem Freund Platon Lebedew in den Hungerstreik getreten. Er weiß, dass er nicht alleine ist.“ Michail Chodorkowski, der ehemalige Chef des Ölkonzerns Jukos, bleibt ein unbequemer Gegner des Kreml, obwohl er nun seit fast zwei Jahren im „Untersuchungsgefängnis Nr. 1“ (im Volksmund „Matrosenstille“) einsitzt.
Mit dem Hungerstreik, bei dem der ehemalige Ölmagnat nicht nur Nahrung sondern auch Wasser verweigert, reagiere er auf Schikanen der Justizbehörden, teilte Chodorkowski über die Website khodorkovsky.ru mit. Sein gemeinsam mit ihm verurteilter Geschäftsfreund Platon Lebedew sei in einen drei Quadratmeter großen „Karzer“ gesperrt worden.
Lebedew habe den Hofgang verweigert, begründete die Anstaltsleitung ihre Maßnahme.
Nach Angaben von Chodorkowski ist Lebedew dagegen schwer krank und habe schon seit einem Jahr nicht mehr die Kraft, sich am Hofgang zu beteiligen. Chodorkowkis Geschäftsfreund – er leitete die mit dem Jukos-Konzern verbundenen Bank „Menatep“ - leidet an Bluthochdruck, Hepatitis B und urologischen Problemen.
Im Mai waren Chodorkowski und Lebedew nach einem umstrittenen Gerichtsverfahren wegen Steuerhinterziehung und Betrug zu neun Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Das Verfahren werteten Beobachter als Antwort des Kreml auf die politischen Ambitionen des Öl-Magnaten. Chodorkowski hatte Liberale und Kommunisten finanziell unterstützt.
Kreml-kritische Zeitungen wie die „Nowyje Iswestija“ bringen die Maßnahmen der Gefängnisleitung gegen seinen Freund Lebedew mit der möglichen Duma-Kandidatur Chodorkowskis in Verbindung. Die Behörden reagierten als verlängerter Arm des Kreml.
Liberale Politiker, wie Irina Chakamada und Vertreter der „Union der rechten Kräfte“, hatten vorgeschlagen, dass Chodorkowski sich im liberalen Moskauer Wahlerkreis Nr. 201 für ein Duma-Mandat bewirbt. In dem Wahlkreis liegt die Moskauer Universität, verschiedene Institute und ausländische Unternehmen. Hier geht auch Putin wählen. Liberale Politiker wie Michail Sadornow, der jetzt sein Abgeordnetenmandat im Wahlkreis 201 niederlegen will, um in eine Bank zu wechseln, fuhren hier Spitzen-Ergebnisse von über 25 Prozent ein. Bei einer Umfrage von „Radio Echo Moskwy“ sprachen sich 86 Prozent der Hörer für eine Kandidatur des Häftlings Chodorkowski aus.
Der ehemalige Jukos-Chef kann kandidieren, weil das Berufungsverfahren noch nicht abgeschlossen und das Urteil gegen ihn noch nicht rechtskräftig ist. Russlands prominentester Häftling erklärte, er sei überzeugt, dass man ihn nicht zur Wahl zulasse. Aber wenn er darum gebeten werde, werde er auf jeden Fall kandidieren. Der stellvertretende Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, Oleg Weljaschow, erklärte, Chodorkowksi habe „das Recht an der Wahl teilzunehmen“, die Frage sei nur ob er als Kandidat zugelassen werde.
Chodorkowski bezeichnet die Karzer-Strafe für Lebedew als Rache für zwei Veröffentlichungen. In der Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ – einem Gemeinschaftsprojekt von „Wall Street Journal“ und „Financial Times“ - hatte sich Chodorkowski für eine „linke Wende“ in Russland ausgesprochen. Damit sich Russland friedlich entwickelt, müsse eine breite sozialdemokratische Koalition an die Macht, die Linke (Kommunisten und linke Nationalisten) als auch Liberale („Jabloko“, Irina Chakamada, Wladimir Ryschkow) einschließe. Die Linken in den Regierungen Osteuropas hätten „Freiheit und Gerechtigkeit versöhnt“ und damit schwere innere Krise in ihren Ländern verhindert.
Chodorkowskis Anwalt Anton Drell konnte gegenüber „Radio Echo Moskwy“ nicht exakt sagen, wann sein Mandant seinen Hungerstreik begonnen habe. Wenn der ehemalige Jukos-Chef die Gefängnisleitung sofort von seiner Absicht unterrichtet hätte, „hätte man ihm die Durchführung des Hungerstreiks verweigert,“ so der Anwalt. Juri Kalinin, der Leiter der russischen Gefängnisverwaltung, erklärte, von einem Hungerstreik sei ihm nichts bekannt.
Nach den russischen Gesetzen könnte Chodorkowski per Magensonde ernährt werden. Zur Tages-Zwangs-Ration „für Häftlinge in Friedenszeiten“ gehören 50 Gramm Grießbrei, 800 Milliliter Milch, 200 Gramm Fleisch, 30 Gramm Butter, „zwei große Eier“, Zucker, Salz und Ascorbinsäure.
Putin-Gegner in Ungnade
Die Präsidentschaftswahl 2008 wirf ihre Schatten voraus. Nicht nur ex-Jukos-Chef Chodorkowksi auch andere bekannte Moskauer Liberale, die sich auf die Wahl vorbereiten, werden von den Behörden zur Zeit arg bedrängt. Der ehemalige Schachweltmeister Garry Kasparow, der die Kandidatur eines gemeinsamen demokratischen Kandidaten für die Wahlen vorbereiten will, wurde bei seiner Wiedereinreise nach Russland eine halbe Stunde auf dem Flughafen „Domodedowo“ festgehalten. Die Beamten berieten sich am Telephon mit ihren Vorgesetzten. Ein Verwandter Kasparow´s will gehört haben, wie ein Geheimdienstbeamter am Telefon sagte, „Ich kann doch einem Bürger Russlands nicht die Einreise verweigern.“
Gegen den ehemaligen Ministerpräsident Michail Kasjanow, der seine Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen angekündigt hat, hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Kasjanow soll sich eine Staats-Datscha auf ungesetzlichem Wege angeeignet haben. Der Ex-Premier greift Putin jetzt frontal an. In einem Aufsatz für ein in Großbritannien erschienenes Buch, erklärte Kasjanow, in Russland seien „fast alle wichtigen Charakteristika eines modernen demokratischen Staates verschwunden.“ Der Ex-Premier, der seine Karriere unter Jelzin als Finanzminister begann, fordert, die von Putin abgeschaffte Direktwahl der Gouverneure wieder einzuführen und einen zentralen russischen Fernsehkanal in privater Hand zuzulassen.
In der Umgebung des Kreml-Chefs wird unterdessen beraten, wie man Wladimir Putin auch nach dem Ablauf der zweiten Amtszeit am Gipfel der Macht halten kann. Im Gespräch sind verschiedene Modelle, eine Verfassungsänderung, die eine dritte Amtszeit ermöglicht, die Wahl von Putin als Präsident einer Union von Russland und Weißrussland sowie eine Aufwertung des Amtes des Ministerpräsidenten, welches Putin dann übernehmen könnte.
*** Ende ***
Ulrich Heyden