Ukraine

Juschtschenko entlässt Regierung

Die Euphorie nach der gelungenen orangefarbenen Revolution und dem Machtwechsel in Kiew ist im Rekordtempo geschwunden. Nach nicht einmal 225 Tagen Amtszeit wurde es Viktor Juschtschenko zu bunt. Der ukrainische Präsident, dessen Gesicht immer noch von dem mysteriösen Giftanschlag gekennzeichnet ist, entließ am Donnerstag die von der Revolutions-Heldin Julia Timoschenko geführte Regierung. "Wir dürfen nicht zulassen, dass die Ideale der Revolution in Frage gestellt werden", sagte Juschtschenko und räumte ein, dass viele Ukrainer enttäuscht von der neuen Führung sind. Grund dafür ist seiner Ansicht nach, dass der Regierung der "Mannschaftsgeist" abhanden gekommen sei. "Innerhalb der Regierung haben sich Blöcke gebildet, von denen jeder sein eigenes, unverständlich Spiel hinter den Kulissen spielt", erklärte Juschtschenko. Ständig sei er in den letzten Monaten damit beschäftigt gewesen, Konflikte zu schlichten.

Tatsächlich herrschte in der ukrainischen Führung seit Wochen Hauen und Stechen - vor allem in der Form von gegenseitigen Korruptionsvorwürfen. Auf der einen Seite der Barrikaden stand Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko, auf der anderen der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates Petro Poroschenko, der Juschtschenkos Partei "Unsere Ukraine" angehört.

Julia Timoschenko soll ihre Abberufung im engeren Kreis mit den Worten kommentiert haben: "Jetzt hat Juschtschenko mich zum dritten Mal verraten." Ihre Entlassung könnte auch in Zusammenhang mit den für Frühjahr 2006 geplanten Parlamentswahlen stehen. Tymoschenko hat bereits klar gemacht, dass sie im Wahlkampf nicht Seite an Seite mit Juschtschenkos Leuten kämpfen werde. Die 44-jährige ist im Volk laut Umfragen inzwischen deutlich populärer als der Präsident. Zu Wochenbeginn war sie beim 15. Internationalen Ökonomischen Forum im polnischen Krynica zum "Menschen des Jahres in Zentral- und Osteuropa" gewählt worden. Mit der Entlassung der Regierung scheint das Bündnis zwischen den beiden populärsten Führern der "orangen Revolution" endgültig zerbrochen.

Juschtschenko berief noch am gleichen Tag den im Westen unbekannten Juri Jechanurow - er leitete bisher die Verwaltung in der Industrieregion Dnjepopetrowsk - zum neuen Ministerpräsidenten und beauftragte ihn eine neue Regierung zu bilden. Entlassen wurde auch Geheimdienstchef Aleksandr Turtschinow. Zum neuen Geheimdienst-Chef ernannte Juschtschenko den bisherigen stellvertretenden Geheimdienstchef Igor Drischtschanow.

Wladimir Putin erklärte auf einer Pressekonferenz in Berlin, man solle die Situation in de Ukraine nicht dramatisieren. Er habe mit Juschtschenko telefoniert. An einer Entlassung der Regierung sei - insbesondere in Hinblick auf den zugespitzten Kampf wegen der nahenden Parlamentswahlen - nichts Ungewöhnliches.

Am Sonnabend war bereits der Leiter der Präsidialverwaltung Oleksander Sintschenko zurückgetreten. Dieser begründete seinen Rücktritt mit der "Korruption im Umkreis des Präsidenten". Namentlich nannte Sintschenko den Vorsitzenden des ukrainischen Sicherheitsrates, Poroschenko, der wegen seiner unternehmerischen Aktivitäten im Konditoreigewerbe auch "Schokoladenkönig" genannt wird. Der 39-jährige Unternehmer galt schon vor dem Machtwechsel als "der orangefarbene Oligarch", obgleich er neben einer Schokoladenfabrik nur das Wirtschaftsleben einer relativ unbedeutenden Kleinstadt in der Westukraine beherrschte. Nun wird er aber von den verschiedensten Seiten beschuldigt, den Drogenhandel an der moldawischen Grenze zu kontrollieren, mit unsauberen Mitteln um ein Einkaufszentrum in Moldawien zu kämpfen. Am Donnerstag früh trat Poroschenko zurück, um wie er sagte, die Ermittlungen gegen ihn nicht zu behindern. Unmittelbar nach dem Rücktritt des "Schokoladenkönigs" entzog das ukrainische Parlament Poroschenko die Immunität.

Alter Streit im Lager der Revolutionäre

Zwischen der Revolutions-Ikone Timoschenko und dem "Schokoladenkönig" und Revolutions-Finanzier Poroschenko gab es schon unmittelbar nach dem Sieg der "orangenen Revolution" Streit um den Posten des Ministerpräsidenten. Dazu kommen offensichtlich später wirtschaftliche Interessen, welche die neue Führung eigentlich aus der Regierung heraus halten wollte. Gestritten wurde insbesondere um die ehemaligen Staatsbetriebe, welche sich in den 90er Jahren Oligarchen aus dem Umkreis des früheren Präsidenten Leonid Kutschma angeeignet hatten. Poroschenko beschuldigte die Ministerpräsidentin der Korruption in Zusammenhang mit der Reprivatisierung der Stahlfabrik "Nikolski sawod ferrostalow". Die Ministerpräsidentin soll sich für die Interessen der Investorengruppe "Privat" aus Dnjepopetrowsk stark gemacht haben.

Die Ukrainer stehen heute vor dem Scherbenhaufen der "orangenen Revolution". Die Revolutionäre waren angetreten, um den Einfluss der Oligarchen auf die Staatsmacht zu beenden. Jetzt haben viele Ukrainer den Eindruck, dass die neue Elite ebenfalls ein Auge auf die Reichtümer des Landes geworfen hat.

Noch ist völlig offen, wie es nun weitergeht. Viktor Juschtschenko steht vor dem Problem, dass beinahe alle wichtigen Mitstreiter aus Revolutions-Zeiten an der entlassenen Regierung beteiligt waren - und er keine Alternative zu ihnen hat. Dies zeigt sich auch daran, dass er einen weitgehend unbekannten Gouverneur zum Interims-Regierungschef ernannte. Juschtschenko erklärte sogar, er könne sich eine Beteiligung von Julia Tymoschenko auch an der neuen Regierung vorstellen. Damit aber würde der Präsident sich in den Augen der Wähler und auch der ausländischen Beobachter unglaubwürdig machen.


Weitere Artikel