Anschwellendes Reisefieber
Hätten sich Tschechen und Slowaken nicht entzweit, die führenden europäischen Billigflieger Easyjet und Ryanair wären vielleicht nie von Osten her herausgefordert worden. Denn als der Österreicher Christian Mandl und der Belgier Alain Skowronek ihren Traum von der eigenen Fluglinie wahr machten, kam ihnen zugute, dass es in der Slowakei keinen nationalen Flugbetreiber gab. Die vormalige tschechoslowakische Linie war zur „Czech Air“ mutiert, konzentrierte sich ganz auf Prag und überließ die Slowakei sich selbst. Skowronek und Mandl, damals in ihren Endzwanzigern, versprachen Leben in den verwaisten Flughafen der slowakischen Hauptstadt zu bringen. 2001 gründeten sie in Bratislava (Preßburg) „SkyEurope“ nach dem Muster der so genannten Billigflieger: Kurze Strecken, preiswerte Flughäfen, keine Papiertickets, standardisierte Flotte, kein Bordservice, keine Extras – und wirklich billig sind die Flüge nur für Frühbucher.
Dabei hatten die Jungunternehmer ursprünglich vor allem sparsame Österreicher im Auge: Wien ist nur 50 Kilometer von Bratislava entfernt. Doch längst machen die zunehmend reiselustigen Osteuropäer selbst das Gros der Kunden aus. Im Sommer begrüßte die Firma den zweimillionsten Kunden. Geht es nach den Börsenplänen, wird SkyEurope bald sechs Millionen Menschen im Jahr transportieren. Gestern wurden die Aktien der Fluggesellschaft erstmals in Warschau und Wien gehandelt. Nach Expertenschätzungen dürfte das Börsengewicht des Neulings fast dem der österreichischen Fluglinie „Austrian Airlines“ entsprechen. „Wir sind heute de facto der nationale Flugbetreiber der Slowakei“, sagt Jaroslaw Sopuch vom SkyEurope-Management.
Und der größte Billigfluganbieter Mittelosteuropas: Von firmeneigenen Drehkreuzen in Warschau, Krakau, Budapest und Bratislava aus fliegt SkyEurope mit derzeit 15 Flugzeugen in 16 Länder, wobei Ost-West-Verbindungen dominieren. Unlängst bestellte die Firma 32 weitere Boeing 737-700. Der Durchbruch kam im vergangenen Jahr, als sich das Passagieraufkommen – ausgehend von niedrigem Niveau – fast verfünffachte. „Wir wollen Ryanair Konkurrenz machen“, wird Gründer Mandl zitiert.
Auch die etablierten Anbieter bauen derzeit eifrig ihr Streckennetz Richtung Osteuropa aus, weil die Märkte im Westen Anzeichen von Sättigung zeigen. SkyEurope aber verfügt über einen Vorteil, der in einer Branche, in der das Senken der Kosten das A und O ist, möglicherweise entscheidet: Weil die Firma ausschließlich aus Osteuropa heraus operiert, profitiert sie von den dort niedrigeren Kosten, und von geringen Löhnen ihrer 700 Beschäftigten. Angst vor litauischen oder slowakischen Piloten müssten Kunden nicht haben, beruhigt Luftfahrt-Experte Heiko Schulz von der Münchner Beratungsfirma Monitor Group: „Die haben oft eine militärische Ausbildung. Wer einen russischen Kampfflieger beherrscht, kommt auch mit einer Boeing zurecht.“
Nach dem Börsengang will SkyEurope Frequenzen erhöhen und neue Ziele ansteuern. Denn pro Kopf fliegt der Durchschnitts-Osteuropäer noch immer viel seltener als sein Kompagnon im Westen. Das Management kalkuliert, dass sich das nach und nach angleicht. Und das überdurchschnittliche Wirtschaftswachstum im Osten macht das anschwellende Reisefieber der Polen, Ungarn oder Slowaken auch finanzierbar.
Schon sicherte sich SkyEurope den Zugang zum noch nicht liberalisierten bulgarischen und rumänischen Markt: Ab Dezember fliegt das Unternehmen von Bratislava nach Bukarest und Sofia. Mittelfristig sei auch die Expansion in die Ukraine oder nach Russland denkbar. Wie ernst auch das Billigflieger-Establishment den Senkrechtstarter nimmt, zeigt die gereizte Reaktion des Branchenprimus Ryanair: Der warf zeitgleich mit dem Börsengang des Konkurrenten europaweit vier Millionen Gratis-Tickets auf den Markt.
*** Ende ***
Jan Pallokat